Donegan redete schon längst nichts mehr. Mit verbissenem Gesicht hing er in seinem Sattel. Der Braune, den er gegen den in Douglas gestohlenen Grauschimmel irgendwo eingetauscht hatte, war kein besonders gutes Pferd. Träge zottelte er neben dem Falben her.
Wyatt hatte das Sioux-Pferd in Douglas gelassen. Immer wieder, wenn er den Blick auf das Gesicht des Verräters richtete, fiel ihm das unglückliche Mädchen ein, das in Douglas tot auf den Stufen der Treppe zum Hof gelegen hatte. Wyatt hatte den Mord an dem Richter für die schlimmste Tat Donegans gehalten. Jetzt wußte er, daß das menschliche Raubtier Donegan in Douglas das Maß seiner Schuld verdoppelt hatte.
Am Nachmittag hatte sich das Bild des Himmels kaum verändert. Es war nur noch drückender geworden. Den Männern drang der Schweiß aus allen Poren und rann an ihren Körpern hinunter. Das Atmen wurde von Stunde zu Stunde mühsamer. Die Pferde dampften und schnaubten bei jedem Schritt.
Plötzlich nahm Wyatt den Zügel hoch.
Der Falbe blieb sofort stehen.
Auch der Braune hielt inne.
Wyatt musterte im Nordosten den Himmel. Da zog sich ein leicht gebogener dunkler Strich aus den tiefhängenden Wolken zur Erde hin.
Wyatt musterte die Umgebung und entdeckte im Westen einen dunklen Fleck, der wie eine Waldkulisse aussah.
»Los, treiben Sie Ihren Gaul an, wir müssen machen, daß wir hier verschwinden! Da drüben dreht eine Windhose…«
Donegan warf einen finsteren Blick auf die wirbelnde Luftsäule und rührte sich nicht.
»Come on!« Wyatt trieb auch den Braunen vorwärts.
Im schleppenden Galopp und mit hechelnden Lungen näherten sich die Tiere der Waldkulisse.
Als sie ein paar Meilen herangekommen waren, erkannten sie eine kleine Wagenburg vor den Bäumen, zusammengesetzt aus vier großen Planwagen.
Die Leute hatten die Windhose auch gesehen und das einzig Richtige getan: eine Wagenburg gebaut. Sie hatten die Wagen im Kreis aufgestellt und fest miteinander verbunden, die Pferde in die Mitte genommen. Die beiden Reiter wurden von zwei Männern über eine Deichsel bugsiert und ins Innere der Wagenburg geführt.
»Das habt ihr gerade noch geschafft!« sagte der eine der beiden Männer, ein Holzfällertyp mit rotem Gesicht und breiter gedrungener Figur.
Wyatt stieg vom Pferd und blickte nach Osten. Das, was vor wenigen Minuten noch ein schwacher dunkler Strich in der Ferne gewesen war, hatte sich jetzt bis auf wenige Meilen genähert und glich einer grauen durchsichtigen Röhre von gewaltigen Ausmaßen. Je näher die Windhose kam, desto deutlicher vernahm man das ohrenbetäubende pfeifende Geräusch das sie verursachte.
Die Leute in der Wagenburg hatten die beiden Reiter nicht näher betrachtet, der nahende Wirbelsturm erforderte all ihre Aufmerksamkeit. Die Frauen steckten mit den Kindern in den Wagen, und die Männer banden die Pferde zusammen und liefen aufgeregt und rufend zwischen den Wagen hin und her.
Wyatt hatte Donegan, bevor sie die Wagenburg erreichten, den Lasso abgenommen und die Hände freigegeben. Aber er hielt sich dicht an der Seite des Verbrechers.
Jetzt standen sie neben einem der Hinterräder eines Wagens und blickten auf die immer größer werdende, sich rasend schnell in ihren Formen verändernde Wirbelsturmsäule.
»Wenn Sie sich von meiner Seite entfernen, Donegan, schieße ich sofort!« mahnte der Marshal den Gefangenen.
Der grinste. »Hoffentlich haben Sie keine Gelegenheit mehr dazu.« Er blickte auf die Sturmsäule, die bedrohlich und unaufhaltsam näherrückte. »Wenn das Ding hier rübergeht, ist nichts mehr ganz!«
Der Tornado näherte sich der Wagenburg, als habe er es auf sie abgesehen. Laut fingen die Frauen an zu beten, und die Kinder weinten.
Die Männer starrten mit harten Gesichtern und feuchten Augen der sich irrsinnig schnell drehenden Säule aus Staub, aufgewirbeltem Erdreich und abgerissenen Ästen entgegen.
Wyatt hörte, wie einer der Männer sagte: »Wenn wir näher an den Bergen gewesen wären, wäre es noch schlimmer; da tanzt der Tornado immer wieder gegen die Berge an und rollt dann zurück. Ich habe so was mal ganz aus der Nähe erlebt.«
»Das kannst du hier noch näher haben«, meinte ein anderer. »Das dreckige Ding dreht ganz genau auf uns zu. Wenn es die Wagen zu packen kriegt, bleibt kein Brett mehr am anderen. Mir wäre es lieher, wenn die Frauen und die Kinder aus dem Wagen kämen.«
»Nein, die Wagen bieten ihnen mehr Schutz…«
»Ich weiß nicht…«
Immer lauter wurde das sirrende, schrille Pfeifen und Donnern, das die wirbelnde Luftsäule umgab. Und jetzt konnte man deutlich sehen, daß sie eine tiefschwarze Spur hinter sich herzog.
»Das Ding reißt den Boden auf wie ein Pflug!« brüllte einer der Männer.
Jack Donegan blickte dem Tornado kühl entgegen. Ihn rührte das schaurigmajestätische Bild der entfesselten Naturgewalten nicht. In den Winkeln seiner Augen stand ein heimtückisches Grinsen. Wie, wenn der Tornado den Marshal tötete? Der Luftwirbel – oder irgendein Gegenstand, der plötzlich auf den Schädel des Mannes niedersauste – so etwas konnte den Mann doch töten!
Ja, er würde den verhaßten Mann erschlagen.
Und er wußte auch schon womit.
Nur zwei Schritt neben seinem rechten Fuß lag ein Deichselquerholz für die Zugstränge am Boden. Ein schneller Sprung, ein fester Griff – und er würde das schwere eisenbeschlagene Holz in der Hand haben.
Wer sollte ihm nachher beweisen, daß er den Marshal erschlagen hatte? Der Sturm würde hier ohnehin nicht viel übrig lassen, wenn er die Richtung beibehielt.
Wie mit unsichtbaren Fangarmen rissen die Luftwirbel die Erde vor der Wagenburg auf, schleuderten die Gräser und entwurzelten Büsche und ließen sie bis zu dreißig Yards hoch in ihrem Strudelsog kreisen.
Die Frauen schrien jetzt laut mit den Kindern, und die Männer hatten sich steif vor Angst an die Wagenräder geklammert.
Das heulende Pfeifen und Dröhnen übertönte jetzt alles und riß an den Nerven.
Die ersten Wirbel erfaßten eine Plane und rissen sie vom Wagen, als wäre sie aus dünnem Papier.
Darauf hatte Jack Donegan gewartet.
Er hechtete zur Seite, warf sich auf den Boden und preßte das Querholz an sich. Staub, Dreck und Erdklumpen tanzten über ihn hinweg.
Sand stiebte ihm ins Gesicht. Und plötzlich stürzte ein schwerer Gegenstand auf ihn nieder. Ein Baum war entwurzelt worden und hatte mit seiner Krone die Wagenburg erreicht.
Donegan fühlte keinen Schmerz. Die Äste und Zweige hatten den Aufprall gemildert. Der Bandit warf sich herum und rutschte durch den pfeifenden und trommelnden Staubnebel hin und her.
Wo war der Marshal? Da, da drüben lehnte er noch immer an dem Rad, hatte die Arme auseinandergespreizt und die Hände in die Speichen geklammert.
Der Bandit richtete sich auf, wurde im gleichen Augenblick vom Sturmwirbel erfaßt und gegen den Wagen geschleudert. Er war jetzt dicht neben dem Marshal. Das Querholz hatte er in beiden Händen. Nur einen Yard stand der Missourier neben ihm. Donegan riß das Holz hoch und wurde wieder von dem Luftsog erfaßt und zu Boden gerissen.
Neben Wyatt lag plötzlich ein Kind, das aus einem umgestürzten Wagen gefallen sein mochte. Er warf sich auf den Boden und beschützte mit seinem Körper das Kind.
Da sah ihn Donegan wieder durch den brausenden Staubnebel.
Im allerletzten Augenblick mußte Wyatt ihn bemerkt haben. Er warf sich zur Seite und fing den Hieb, der seinem Schädel gegolten hatte, mit dem linken Unterarm auf. Es war ihm, als sei der Arm zerschlagen, gebrochen, abgetrennt worden.