Nancy Lawrence war ein Mädchen aus der Umgebung. Es arbeitete seit zwei Jahren im Roten Hund in der Küche.
Ganz zufällig hatte es gesehen, wie der Sheriff und der fremde Marshal den Gefangenen gebracht hatten.
Was mochte der Mann getan haben?
Nancy dachte daran, während sie die Geschirrberge aufwusch.
Und sie dachte noch daran, während sie sich später nach Mitternacht in ihr Zimmer oben im Dachgeschoß begab.
Ihre Kammer lag neben dem Raum, in dem der Mann mit dem grauen Haar und den gelblichen Augen gesperrt worden war.
Nancy hatte noch etwas anderes gesehen. Nämlich den zwinkernden Blick, den ihr der Mann zugeworfen hatte, als er an der Küche vorbeigeführt wurde.
Und dieser Blick machte ihr zu schaffen.
Niemand warf ihr sonst so einen Blick zu. Sie war nicht hübsch und erwartete das auch gar nicht.
Und dieser Mann hatte ihr zugeblinzelt…
Um zwei Uhr stand sie vor seiner Tür und horchte.
Eine Viertelstunde später nahm sie sich ein Herz und klopfte an.
Sofort war Donegan an der Tür und preßte das Ohr gegen das Holz. »Wer ist da?«
»Ich. Nancy – aus der Küche.«
»Nancy!« Dem Banditen traten dicke Schweißperlen auf die Stirn.
Konnte das Mädchen ihm vielleicht helfen?
Nancy Lawrence half ihm. Sie hatte als Hausmädchen einen zweiten Schlüssel zu der Eckkammer und schloß auf.
Vom Fenster ihres Zimmers aus zeigte sie ihm, wo der Stall lag, wo die Pferde waren, wo der Salooner seine Waffen hatte. Erst als der fremde Mann nach dem Geld fragte, erschrak sie.
Jack Donegan stand mit ihr unten im Korridor. Er hatte einen Waffengurt um, trug einen Colt Western 44 im Halfter, hatte eine alte Parkerbüchse in der Hand und ein Paket mit Brot und Speck unterm Arm.
»Wo ist das Geld, Nancy?«
Das Mädchen stand an der Hoftür und starrte ihn erschrocken an.
»Das Geld…?«
Sie hatte gedacht, der fremde Mann würde sie hübsch finden. Er aber hatte nur einen Revolver haben wollen, ein Pferd und Proviant. Alles hatte er nun. Das Pferd stand gesattelt hinter der Stalltür. Das beste Pferd des Iren. – Und jetzt wollte er auch noch Geld.
»Wo hat der Salooner sein Geld?«
Nancy wich zurück.
Ganz dicht sah sie die glimmenden Augen des fremden Mannes, dem sie hatte helfen wollen, vor sich. »Das Geld, Kätzchen, sonst dreh’ ich dir den Hals zu.«
Wie gesagt, sie war nicht besonders klug. Aber eine Diebin war sie nicht. Schließlich war der Salooner immer gut zu ihr gewesen.
Die dumme kleine Nancy Lawrence hatte plötzlich schreckliche Angst. Sie zitterte und schlotterte am ganzen Körper.
»Das Geld!« hörte sie die Stimme des fremden Mannes, wie aus weiter Ferne.
Da fühlte sie seine rauhen Hände an ihrem Hals.
*
Sie lag auf den Stufen zum Hof, als der Ire sie am Morgen fand. Er richtete sie auf und sah sofort, daß sie tot war.
»Sie ist gestürzt«, murmelte er vor sich hin, während er sie ins Haus schleppte. »Sie ist ja immer die erste – die erste, die aufsteht. Sie ist auf der Treppe gestürzt.«
Aber Wyatt wußte es besser…
*
Etwa sechzig Meilen nordwestlich von Douglas lag dicht am alten Castle Creak die C-Ranch; eine jener gewaltigen Rinder-Ranches, wie sie eigentlich nur der Staat Wyoming seit vielen Jahren aufzuweisen hatte.
John Beverley Chesterton war als Zehnjähriger mit seinem Vater hierhergekommen und hatte unten direkt am Fluß ein Blockhaus gebaut. Sie kamen aus der Gegend von Boston. Der Vater hatte dort in einer kleinen Viehwirtschaft gearbeitet. Er verstand etwas von Rinderaufzucht, viel sogar, so viel, daß die C-Ranch bald weit im Umkreis bekannt wurde.
Heute hatte sie so viel Rinder auf ihrer Weide stehen, daß der fünfzigjährige Rancher die Zahl selbst nicht genau bestimmen konnte.
Es war am späten Vormittag.
Ein leichter Sommerwind wehte über den breiten Ranchhof und brachte den würzigen Duft der Gräser von den großen Talweiden mit.
In der halboffenen Tür des großen Crew-Gebäudes stand der vierschrötige Henry Coster und ließ die abgewetzte Schuhbürste über seine büffelledernen Halbschäfter fliegen.
Coster war ein Mann, wie er auf einer solchen Riesen-Ranch gebraucht wurde, hart, eckig, mit dem Sattel verwachsen und treu. Ja, treu mußte ein Vormann sein, wenn er solch einen Posten ausfüllen wollte. John Chesterton hatte vor Coster schon zweimal den Vormann gewechselt. Der erste hatte auf eigenes Konto gearbeitet, indem er ganze Rinderherden hatte wegtreiben lassen. Der zweite verkaufte die Herden zwar gut für den Boß, brachte aber oft nur Dreiviertel der erzielten Kaufsummen zurück auf die Ranch.
Henry Coster war ehrlich, wie sein Gesicht es versprach. Er kannte keinen Betrug und keine Lüge. Für seinen Boß wäre er bedenkenlos in die Hölle geritten. Jetzt im kommenden Herbst waren es vierzehn Jahre, die er hier auf der C-Ranch verbracht hatte – als Vormann verbracht hatte. Und das wollte etwas besagen.
Aber der neunundvierzigjährige Cowboy sollte diesen Herbst nicht mehr erleben. Das Schicksal hatte es anders mit ihm vor. Das Schicksal, das in diesem harten Lande überhaupt sonderbare Gewohnheiten angenommen hatte…
Coster hob den Kopf und blinzelte dem einzelnen Reiter entgegen, der jetzt drüben über die Wagenspur vom Ranchtor her auf den Hof zuritt, der von den Gebäuden des großen Mannschaftshauses, des Ranchhauses, der beiden Pferdeställe, der Scheunen, Geräteschuppen und der Schmiede wie ein weiter Dorfplatz umgeben wurde.
Mitten auf dem Platz am Brunnen rutschte der Mann aus dem Sattel, holte sich mit einem der Pferdeeimer Wasser hoch und warf sich dann ein paar Hände voll davon ins Gesicht. Dann nahm er den Hut ab und benetzte auch sein Haar. Als er sich jetzt aufrichtete, konnte Coster das vor Nässe triefende Gesicht des Reiters sehen. Es war ein sonnenverbranntes, gutgeschnittenes ernstes Männergesicht, aus dem ein Paar tiefblauer Augen hervorblickte. Der Reiter hatte jetzt den Vormann entdeckt, nahm seinen hochbeinigen Falben am Zügel und kam auf das Crew-Haus zu.
»Hallo!« grüßte er. »Mein Name ist Wyatt Earp. Kann ich einen Augenblick mit Ihnen sprechen?«
Der Vormann musterte den Fremden eingehend, warf die Bürste in den Putzkasten, ließ den hölzernen Deckel zufallen und stützte schließlich seine schweren behaarten Hände in die Hüften. Breitbeinig stand er da; das Bild eines Wyoming-Cowboys. »Yeah – wenn’s nicht zu lange dauert.«
»Sicher nicht. Ich suche einen Mann –«
Der Vormann pfiff leise durch die Zähne. »He, was wird das? Hier bei uns passiert nichts dergleichen, Freund. Reiten Sie zwanzig Meilen weiter, da gibt’s eine Stadt, Lewistown. Im Saloon ist viel Platz, einen Mann zu suchen. Hier gibt’s nichts abzurechnen, Mster. Hier wird gearbeitet.«
Wyatt schob seinen Hut in der für ihn typischen Art tief in die Stirn. Seine Augen blickten den um einen halben Kopf kleineren Cowboy ernst und eindringlich an. »Ich bin kein Abrechner, Mister –«
»Coster, Henry Coster. Ich bin hier der Vormann.«
»Freut mich.«
»Kann ich mir nicht vorstellen. Hat selten jemanden gefreut.«
Wyatt nahm wortlos seinen Stern aus der Tasche.
Coster blickte darauf und runzelte die Stirn. »Was soll das? Wenn Sie das Ding gefunden haben, dann liefern Sie es gefälligst beim