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Und nun begann eine Jagd, die dreizehn Tage dauerte. Überall, wo der Mörder gesehen worden war, ritt Wyatt mit seinen Soldaten hin. Bald merkte er, daß die Blaujacken ihm eher beschwerlich als förderlich bei der Suche waren. Da er sie aber nicht kränken wollte, bestimmte er den Corporal Cunnings zu ihrem Anführer und stationierte den Trupp in Jettmore, fünfundzwanzig Meilen nördlich von Dodge. Er selbst ritt noch eine Woche durch die Gegend. Zuletzt war Donegan von einem Indianeragenten in der Nähe von Wittrup gesehen worden.
Von Wichita hatte Marshal Rooster eine Fahndung nach Jack Donegan durchgegeben. Jeder Sheriff und jeder Marshal würde in Kürze über den Gesuchten im Bilde sein. Dann hatte der Mörder es schwer. Er wußte das. Und aus diesem Grunde würde er Kansas verlassen. Aber wohin sollte er sich wenden?
Ostwärts, nach Missouri vielleicht? Das Land war schon zu belebt, als daß er eine echte Chance gehabt hätte, unerkannt irgendwo untertauchen zu können.
Nach Texas hinunter? Möglich – aber die texanische Grenze überquerte kein halbwegs vernünftiger Mann ohne einen Beutel Geld. Texas war groß und weit und sonnverbrannt. Hier mußte man entweder etwas besitzen oder aber etwas mitbringen. Der Traum von der Ranch in Texas war ein Märchen. Und nicht einmal ein gutes. Wer Texas kannte, wußte das. Texas brauchte fleißige Einwanderer, und auch die fraßen die Sonne, der Staub und die Öde nur allzu schnell auf. In Texas mußte man geboren sein!
Wenn der Verbrecher nach Norden fliehen wollte, mußte er durchs Indianerland. Durch die felsigen Gegenden der Sioux – das war bestimmt nicht jedermanns Sache. Obgleich die Roten in große Reservate eingeschlossen waren, machten vor allem die Sioux-Ogellalas immer wieder Ausflüge ins Land des weißen Mannes, das sie nach wie vor als ihr Land betrachteten, aus dem sie vertrieben worden waren. Daß dieser Gedanke den Tatsachen entsprach, interessierte in den rauhen Jahren der Pionierzeit niemanden mehr. Es war erkämpftes Land, jedenfalls nannte es der Weiße so. Und als Charly Marchant sein Buch »Geraubtes Land« schrieb, wurde es vom Gouverneur verboten. Das war 1870. Vor vier Jahren. Und immer noch gärte es in den Seelen der Roten.
Nein, ins Indianerland würde sich der flüchtige Mörder nicht wenden.
Er mußte nach Westen fliehen. In das schönste Land Amerikas, nach Colorado. Aber auch da konnte er ohne Geld nichts beginnen. Sich mit einem Raubüberfall in einem neuen Land einzuführen, war mit der Gefahr verbunden, später von den Betroffenen wiedererkannt zu werden. Deshalb mußte ein Verbrecher, der auf der Flucht war, möglichst noch in dem Staat, den er verlassen wollte, einen sogenannten Hold versuchen. So machten es die anderen, und so würde es höchstwahrscheinlich auch der Verbrecher Jack Donegan halten.
All dies überlegte Wyatt Earp, während er halbverhungert nach weiteren fünf Tagen von Norden her wieder auf den Arkansas zuritt und im sinkenden Abend die Häusersilhouetten von Dodge City vor dem silbernen Band des Flusses auftauchen sah.
Die Tatsache, daß sich Donegan so hartnäckig in der Gegend von Dodge aufhielt, hatte den Gedanken in Wyatt aufkommen lassen, daß der Mörder hier noch etwas vorhatte.
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Es war so, wie der Hilfsmarshal angenommen hatte: Jack Donegan wollte einen großen Hold landen. Er war nicht dumm genug, ihn dort zu starten, wo andere ihn versucht hätten: an der Poststraße. Vielleicht hatte er auch die Militärstreife beobachtet, die auf Wyatts Anweisung immer wieder die Postroute abritt, die nach Dodge führte. Wyatt hatte sich erkundigt, wo und wann die Post die meisten Gelder mit sich führte. Er wußte also genau, daß die Mittagspost, die von Syracuse nach Dodge kam, die größten Geldbeträge mit sich führte – und auch die wohlhabendsten Reisenden.
Nach Wyatts Überlegungen hätte ein Hold auf die Kutsche den größten Erfolg gegen elf Uhr am Vormittag gehabt, vier Meilen vor der Stadt.
Aber Donegan blieb aus.
Wyatt entdeckte zwei Burschen, die wohl einen ähnlichen unsympathischen Gedanken gehabt haben mochten. Sobald sie die Kutsche kommen sahen, banden sie sich graue Tücher vor die Gesichter. Als der Marshal plötzlich hinter ihnen stand, und sie ihn bemerkten, rannten sie zu ihren Pferden und flohen auf die Stadt zu.
Donegan blieb aus.
Er tat das, was sich Wyatt im Traum nicht hätte einfallen lassen.
Genau um elf Uhr vierzig, als die Postkutsche vor der Station in der Frontstreet einlief, stand der steckbrieflich gesuchte Mörder Jack Donegan in der Post und hatte einen Brief aufgegeben. An Wyatt Earp. Einen Brief, den sich der Marshal bis an sein Lebensende aufbewahrt hat.
Wyatt Earp! Ich bin in der Post. Du hast mich draußen auf den Plains gesucht. Ich werde Geld machen. Weil ich muß. Meine Frau soll von der Ranch verschwinden. Der Verkauf der Ranch wird einen Teil des von mir hier geraubten Geldes decken. Das andere nehme ich als Schmerzensgeld. Und du – begegne mir nicht wieder. Wenn ich dich noch einmal treffe, schieße ich dich ohne Anruf nieder. Bleib von meiner Fährte, ich schüttle dich doch ab. Du bist noch nicht groß genug, einen Donegan zu halten. J.D.
Jack Donegan hatte sich einen haarsträubenden Plan ausgedacht. Es kostete einem Menschen das Leben, einem anderen die Gesundheit und einem dritten fast die Stellung.
Jim Hutch war Posthelfer. Er nahm täglich die Sachen vor der Station vom Postkutscher entgegen, schleppte sie über den Vorbau ins Office, trug sie durch die Flurtür hinüber in den stark mit Gittern gesicherten Anbau. Draußen auf der Straße bewachte Postmeister Mac Corby das Ausladen. Mit der Winchester unterm Arm.
Der Kutscher warf die Gepäckstücke vom Dach herunter und holte sie aus dem Fondkoffer. Er bückte sich und reichte die Geldsäcke aus dem Wagenboden, ohne sich dabei umzusehen.
Auf diese Tatsache hatte der Verbrecher seinen Plan aufgebaut.
Die Kutsche war angekommen.
Corby lehnte lässig mit dem Gewehr an einem Vorbaupfosten.
Drinnen am Schalter arbeitete der flachsblonde Rip Hunter.
Jim Hutch schleppte die Post ins Office und dann in den Anbau. In den Hof hätte am hellichten Tag niemand eindringen können.
Jack Donegan war im Hof. Seit dem Morgengrauen steckte er hinterm Anbau. Er hatte die Fenz überklettert. Am Tage wäre es unmöglich gewesen.
Und jetzt kam Jim mit den Postsäcken.
Donegan wartete, bis die Geldsäcke kamen. Er sah es am Gewicht – und außerdem trug Hutch sie auch anders. Überhaupt dieser Hutch! Er war der Mann, auf den der Bandit seinen ganzen Plan gegründet hatte. Jim Hutch war zwar um einiges älter als Donegan, aber er hatte dessen Figur und Größe. Ja, er bewegte sich auch ähnlich. Er trug einen alten gelben Hut mit scheußlich verwellter, herabhängender Krempe, einen braunen Rock mit vielen Flicken und eine dunkle Lewishose und schwarze Stiefel.
Hose und Stiefel hatte Jack der Kleidung des Posthelfers angepaßt, alles andere würde der ahnungslose Mann ihm geben müssen.
Während Hutch jetzt mit dem ersten Geldsack in den Hof kam und im Anbau verschwand, zog ein hämisches Grinsen über das Gesicht des Verbrechers. Er hatte Geduld, Meistens waren es vier Säcke. Mehr oder weniger groß. Sollte er sie alle vier abwarten? Und wenn es heute bloß drei waren, und Jim den Anbau verriegelte? Dann war alles verloren. Und noch mal würde er sich schwerlich siebeneinhalb Stunden hier hinter den Vorbau zwischen Fenz und Mauer klemmen können.
Beim dritten Gang, den Jim Hutch machte, spannte das menschliche Raubtier seine Muskeln und Sehnen.
Es sollte der letzte Gang des Posthelfers Jimmy aus Dodge City werden.
Donegan hechtete aus seinem Versteck heraus, hämmerte dem Ahnungslosen den schweren Knauf seines Colts auf den Schädel, riß den Zusammenbrechenden hoch und schleppte ihn in den Anbau. Donegan wußte in dieser Sekunde nicht, daß er dem Vater von vier kleinen Kindern den Schädel zertrümmert hatte.
Er nahm ihm den Hut vom Kopf und zerrte ihm die Jacke vom Leib. Dann packte er die drei kleinen Säcke mit dem klirrend-klingenden Inhalt