Die Salooner in Dodge wurden reich.
Den Kummer hatten die Bürger und der Sheriff.
*
Es war am späten Nachmittag, als Wyatt Earp durch die Frontstreet ritt. Vor dem Lang-Branch-Saloon stieg er vom Pferd und klopfte sich den Staub aus den Kleidern.
Der Schankraum war zu dieser Stunde schon dicht besetzt. Das Brennen auf den Weiden war vorüber, und die Cowboys hatten wieder viel Zeit. Nicht nur Treiber, Büffelhändler und Pelztierjäger bevölkerten die Stadt, auch die Reiter der umliegenden Ranches waren jetzt sogar tagsüber hier.
Wyatt schob sich durch die zwischen den besetzten Tischen herumstehenden Männer zur Theke.
Er mußte lange auf seinen Brandy warten. Als er das kleine Glas geleert hatte, warf er ein Geldstück auf das Thekenblech. Er wollte gehen. Er hatte vor, dem berühmten Sheriff Bat Masterson einen Besuch abzustatten.
Niemand in diesem Raum und sicher auch niemand in dieser Stadt ahnte, daß er, der unauffällige, hochgewachsene Mann einmal oberster Polizeibeamter dieser Stadt sein würde, daß sein Name einmal weit berühmter als der des heutigen Sheriffs sein sollte. Ja, wer sollte ahnen, daß Wyatt Earp etwas schaffen würde, was niemand mehr zu hoffen gewagt hätte, und daß er der verrufenen Stadt ihren einstigen guten Namen wiedergeben würde. Aber bis dahin sollten noch Jahre vergehen…
Der Hilfsmarshal aus Wichita war fast an der Tür, als plötzlich ein scharfer Ruck das Stimmengewirr und das Hämmem des Orchestrions zerriß.
»Earp!«
Wyatt drehte sich um.
Drüben, am anderen Ende der langen Theke stand ein Mann. Er war mittelgroß, aschblond, hatte ein riesiges, hartes Gesicht, das von weit auseinanderstehenden Augen und einem breiten Mund beherrscht wurde.
Jack Donegan.
Die Kolben seiner beiden Colts sahen nach vorne aus den Kreuzgurthalftern heraus. Der Mann schoß also überhand und höchstwahrscheinlich beidhändig.
Wyatt wußte damals schon, daß es keinen Menschen gibt, der zu gleicher Zeit mit beiden Händen schoß. Und wenn, dann nur aus Bluff. Es läßt sich nicht im gleichen Sekundenbruchteil mit zwei Händen genau zielen.
Und darauf hatte Wyatt sofort seinen Plan gebaut. Der Elfenbeingriff des Colts im linken Halfter des Banditen war dunkler, also abgegriffener und demnach häufiger benutzt. Donegan würde also zuerst mit der rechten Hand schießen.
Wie immer in solchen Situationen hatte sich auch hier sofort eine Gasse von der Tür – wo Wyatt stand – zur Theke gebildet. Wenn zwei einzelne Männer etwas miteinander auszutragen hatten, gab es meistens keinerlei Einmischung.
Die Hände des Banditen steckten vorn mit den Fingerspitzen in der Mitte des gekreuzten Waffengurts.
Wyatt Earp, der Mann aus Missouri, tat das, was er später noch sehr oft tun sollte: Er ging langsam und mit festen Schritten vorwärts auf den Gegner zu.
Der Lärm im Saloon war völlig verstummt.
Nur das Orchestrion hämmerte stur weiter.
Wyatt kam bis auf sechs Schritte heran.
»Bleib stehen!« zischte Donegan.
Wyatt Earp kam auf ihn zu. Mit ruhigen, sicheren Griffen nahm er ihm die Waffen weg und legte sie hinter sich auf das braune Thekenholz.
Jetzt endlich sagte er etwas. Es tropfte wie glühendes Blei in die Stille. »Gehen Sie voran, Donegan.«
Vielleicht wäre alles gutgegangen, wenn nicht Jonny McLean dazwischengekommen wäre. Dem ellenlangen Cowboy von der Barr-Ranch war die Sache zu müde ausgegangen. Er trat vor Donegan und stieß ihn an. »He, du Großmaul, weshalb steckst du auf?«
Der Bandit hieb ihm einen krachenden Rechtshänder ans Kinn, der den Cowboy sofort von den Beinen riß.
Donegan bückte sich, nahm den Mann hoch, schleifte ihn rückwärtslaufend als Deckung vor sich her zur Tür, nahm ihm dabei den Colt aus dem Halfter und schoß währenddessen die beiden großen Lampen im Saloon aus.
Es war fast dunkel.
Nur hinter der Theke brannte noch eine trübe rötliche Petroleumfunzel.
Sofort nach dem Faustschlag des Banditen war Wyatt von dazwischenstürmenden Cowboys abgedrängt worden. Er kämpfte sich zwar schlagend vorwärts, aber als er endlich mit zerrissener Jacke und blutendem Gesicht den Eingang erreicht hatte, war der Mörder entkommen.
Wyatt stieg in den Sattel und trabte die Straße hinunter.
Neben der City Hall fand er das Sheriff Office.
Am Gewehrschrank sah der Eintretende einen spindeldürren hageren Burschen von vielleicht vierzig Jahren. Ein ausdrucksloses Gesicht mit leeren grauen Augen.
Sollte das etwa der berühmte Bat Masterson sein?
Er war es nicht. Der Mann war einer der drei Deputies des Sheriffs.
»Wo ist der Sheriff?«
»Weiß ich nicht.«
»Wann kommt er zurück?«
»Weiß ich nicht.«
»Ich bin hinter einem Verbrecher her…«
»Wer sind Sie?«
»Ich heiße Wyatt Earp und brauche Hilfe vom…«
»Wyatt Earp?« Der Lange ließ das Gewehr los, das er gerade in der Hand gehabt hatte – und stieß einen bellenden Laut aus, weil ihm der Schaft auf die Zehen des rechten Fußes gefallen war. Trotzdem grinste er sofort wie ein Honigkuchenpferd.
»Wer sind Sie? Wyatt Earp? Aus Wichita?«
»Yeah –!«
»Aber das ist doch... Sind Sie nicht viel älter?«
»Ich glaube nicht«, gab Wyatt ziemlich ungnädig zurück.
»Ich meine, müßten Sie nicht eigentlich älter sein? Eh – ich bin völlig durchgedreht, Mr. Earp – es war nur so, daß wir hier alle glaubten, Wyatt Earp müsse bedeutend älter sein.«
»Es tut mir leid, daß ich Ihnen zu jung bin, Mister –«
»Foolhammer! Nat Foolhammer, Sir! Sie sind also Wyatt Earp! Na, das ist ja eine Überraschung! Also wissen Sie, Mr. Earp, ich hätte mir…«
Mit einer Handbewegung brachte Wyatt den gesprächigen Mann zum Schweigen. »Ich brauche sofort Hilfe, Mr. Foolhammer. Ich bin hinter einem dreifachen Mörder her.«
»Wo sind die anderen Deputies?«
»Unterwegs, in der Stadt, überall.«
»Und Masterson?«
»Weiß nicht, ich glaube, er ist an der Bahn, da ist auch was los. Jeden Tag kommt jetzt ein Zug…«
Nach längerem Suchen in der Stadt gab Wyatt es auf. So fiel seine erste Begegnung mit dem großen Bat Masterson – mit dem zusammen er in die amerikanische Geschichte eingehen sollte – ins Wasser. Es ist später oft behauptet worden, er habe Masterson schon an diesem Tage getroffen, und der hätte ihm nicht helfen können – das stimmt nicht. Wyatt hatte den Sheriff nicht gefunden, und da er keine Zeit zu verschenken hatte, brach er allein auf.
Sechs Meilen vor der Stadt, am südlichen Arkansasufer, lag das Fort Sell. Wyatt ließ sich übersetzen und preschte auf das Fort zu.
Er wurde von einem Soldaten zu dem Kommandanten des Forts gebracht. Captain Collins war ein Mann in den Vierzigern, mittelgroß, kahlköpfig, mit einem martialischen Schnauzbart. Aber er hatte das Herz auf dem rechten Fleck und begriff sofort, um was es hier ging. »Ja, wenn Sie Masterson um Hilfe bitten wollen, dann müssen Sie sich ein paar Wochen vorher anmelden; der arme Teufel hat mit seinen drei Deputies in der Woche so viel zu tun wie wir