»Wartet hier und paßt auf den Mann auf, ich werde nachsehen!« rief Wyatt und preschte mit verhängten Zügeln davon.
Er hielt nicht genau auf die Anhöhe zu, sondern suchte in einer Bodenfalte den Hügel, von Buschwerk verdeckt, zu gewinnen.
Da hörte er wieder Schüsse.
Diesmal schon bedeutend näher.
Als er den Hügelkamm fast erreicht hatte, sah er am jenseitigen Hang das Pferd des Corporals stehen.
Der Soldat kniete hinter einem Stein und schoß mit der Pistole auf ein Gebüsch, das vielleicht dreißig Yards von ihm entfernt war.
Wyatt beobachtete das Gebüsch und entdeckte mehrere Männer. Sofort zerrte er die Winchester aus dem Scabbard, legte an und schoß.
Das schwere Gewehr heulte dreimal auf:
Der Corporal blickte sich um. »Earp! Gott sei Dank!« brüllte er. Dann legte er sich flach auf den Boden. »Vorsicht! Es sind wenigstens acht Kerle…«
Da pfiffen zwei Kugeln an Wyatts Kopf vorbei.
Sofort riß er den Falben herum und ging in Deckung.
Zwischen zwei dichtwuchernden Büschen sprang er aus dem Sattel, ließ das Tier stehen und robbte vorwärts. Gerade hatte er einen guten Platz gefunden, von wo aus er das kleine Tal übersehen konnte, da hörte er dumpfen Hufschlag.
Eine böse Ahnung stieg in ihm auf.
Und richtig: Sekunden später preschte seine kleine Kavalkade mit stampfenden Hufen hügelan und drüben in die Senke hinunter.
Aus den Büschen krachten Gewehrschüsse.
Zwei Blauröcke rutschten sofort aus den Sätteln.
Wyatt zog die Winchester hoch und feuerte wild in die Büsche.
Zwei Soldaten und Jack Donegan schossen an dem Corporal vorbei seitlich durch den Talgrund davon.
Der Corporal brüllte auf vor Wut. »Ihr Idioten!«
Wieder krachten Schüsse.
Wyatt feuerte zurück.
Unten auf der grünen Halde lagen regungslos die beiden getroffenen Blaujacken.
Minuten später gaben die Banditen auf. Mit trommelndem Hufschlag galoppierten sie durch ein Hole davon.
Wyatt sprang auf und lief zu den Soldaten hinunter.
Sie waren beide tot.
Der Corporal kam keuchend näher und zerquetschte einen Fluch zwischen den Zähnen.
Wyatt wandte sich um und ließ einen leisen Doppelpfiff hören.
Mit elastischen Sprüngen kam der Falbe aus seinem Versteck herunter.
Wyatt sprang in den Sattel und ritt in die Richtung, in die Donegan mit den beiden anderen Soldaten geflüchtet war.
Die Blaujacken fand er bald.
Einer war mit dem Pferd gestolpert und lag mit blutender Nase neben einer Baumwurzel. Der andere hielt neben ihm und sah betroffen dem Marshal entgegen.
»Wo ist Donegan?« brüllte Wyatt.
»Da hinüber, Sir!« Der Mann wies nach Westen.
Wyatt schluckte einen Fluch hinunter und jagte, weit über den Pferdehals gebeugt, davon.
Er brauchte drei Stunden, bis er den fliehenden Banditen wieder eingefangen hatte. Donegan hatte trotz seiner Fesseln sein Tier zu höchster Eile angetrieben. Wäre es ein leichteres Pferd gewesen, hätte es vielleicht eine Chance gegen den Falben gehabt. Aber das leichtfüßige schlanke Tier des Marshals war pfeilschnell. Und nachdem Wyatt einmal die Spur gefunden hatte, kam er dem Banditen näher und näher.
Mit verzweifelter Wut suchte Donegan sein Tier vorwärtszutreiben.
Aber Wyatt Earp holte ihn ein.
Wortlos brachte er ihn zurück.
Bei dem Corporal hatten sich inzwischen alle vier Soldaten eingefunden.
Es wurde ein trüber, trauriger Tag.
Die Männer begruben die beiden Toten.
An diesem Abend überlegte Wyatt zum hundertsten Male, wie er die Soldaten loswerden könnte.
Zweifellos hätte es der Corporal als eine Beleidigung aufgefaßt, wenn Wyatt ihm den wahren Grund genannt hätte Nämlich den, daß er allein bedeutend besser mit dem einzelnen Mann durch das Land kam, weniger auffiel und sich um weniger Dinge zu kümmern hatte und weniger Aufenthalt hinnehmen mußte. Das alles konnte er dem Mann unmöglich sagen.
Er mußte zu einer List greifen.
Mit geschickten Worten machte er dem Corporal klar, daß sie sich jetzt der Grenze Colorados näherten, wo der District des berühmt-berüchtigten Forts Zuc läge. Der Kommandant und die Soldaten von Fort Zuc waren im ganzen Land wegen
ihres Stolzes und ihrer Arroganz verschrien.
»Es hat keinen Sinn, daß wir uns mit den Leuten von Fort Zuc auseinandersetzen. Sie mögen es nun mal nicht, wenn fremde Soldaten durch ihr Land reiten…«
»Sind wir fremde Soldaten?« fragte der Corporal erbittert. »Wir sind Nordstaatler und haben mit ihnen zusammen gegen die Grauröcke gekämpft. Daß sie in Colorado daheim sind und im Fort Zuc leben, ist ihre Sache. Natürlich, es ist ein verrückter Verein, und es wird Zeit, daß der Präsident da mal aufräumt.«
Wyatt winkte ab. Colorado gehörte damals noch nicht fest zur Union, es sollte noch vier Jahre dauern, bis es in den Staatenbund aufgenommen wurde. In den verschiedenen Staaten herrschten noch sehr stark voneinander abweichende Ansichten über militärische Belange. In Colorado hatte es nie viel Militär gegeben, und 1874 war es so dünn geworden, daß eine Ansammlung wie Fort Zuc schon deshalb zu einer kleinen Sonderstellung gelangen konnte.
Es dauerte einen Tag und eine Nacht, bis Wyatt die Soldaten dazu gebracht hatte, heimzukehren. Er übergab dem Corporal das restliche Geld und stellte ihm ein Handschreiben an den Kommandanten aus, worin er erklärte, weshalb er die Leute zurückgeschickt habe.
Am übernächsten Morgen verabschiedete sich der Corporal und trabte mit seinen vier Soldaten zurück. Er hätte um keinen Preis der Welt seine Freude über diese Wendung der Dinge gezeigt. Längst schon hatte er keinen Spaß mehr an der Reise.
Auch der Marshal war froh. Sicher, nun hatte er allein den Mörder zu bewachen. Er mußte seine Wachsamkeit verdoppeln und verdreifachen, denn Jack Donegan würde jede sich bietende Fluchtmöglichkeit wahrnehmen. Die Soldaten hatten einander in den Wachen abgelöst. Nun hatte er die ganze Bewachung allein übernommen. Trotzdem – die Blaujacken hatten den Ritt zu sehr erschwert, sie zogen zu sehr den Blick der Umwelt auf sich. Zwei einzelne Reiter ohne Uniformen fielen bedeutend weniger auf.
Und noch einer sah in der Tatsache, daß die Soldaten abgezogen waren, einen Glücksumstand, der Mann, um dessentwillen dieser Ritt unternommen wurde: Jack Donegan. Er sah nun eine bedeutend größere Chance, daß dieser Ritt nie beendet würde, daß Wyatt Earp es nie schaffen würde, ihn allein nach Sheridan zu bringen. Unmöglich würde der Marshal unentwegt so wach sein können, daß es nicht eine einzige Minute gab, in der er, Donegan, etwas zu seiner Flucht unternehmen konnte.
Vielleicht brauchte er ja gar nicht zu fliehen. Mehr und mehr nistete sich dieser Gedanke in seinem dunklen Hirn ein. Vielleicht hatte er es gar nicht nötig, wie ein gehetztes Wild davonzujagen und diesen Wolf auf seiner Fährte zu wissen. Diesen Wyatt Earp würde er nicht abschütteln können. Es gab also nur eines: Er mußte ihn umbringen.
Allmählich ging dem bedeutend lebhafteren und unbeherrschteren Donegan die starre Ruhe, die Gleichfömigkeit und bildhafte Unerschütterlichkeit seines Bewachers auf die Nerven. Er begann, Wyatt mit allerlei Dingen zu ärgern, um ihn wenigstens aus seiner lähmenden Gleichförmigkeit zu reißen.