Und so war es auch. Bald konnte der Wartende die unverkennbaren Geräusche einer Rinderherde vernehmen. Rauhe, kehlige Cowboyschreie, das Knallen der Bullpeitschen und das Blöken, Stampfen und Brüllen der Tiere.
Tom boobachtete, daß die Männer die Herde noch ein gutes Stück über die Ranch hinaustrieben. Nur ein einzelner Reiter ritt in den Hof, ließ sein Pferd vor der Veranda stehen, ging zum Brunnen hinüber, warf sich ein paar Hände voll Wasser ins Gesicht und wischte sich den Staub aus den Augen. Dann nahm er ein Tuch aus der Tasche und wischte sich Gesicht und Hände ab.
Tom konnte nur die Umrisse des Mannes sehen – aber er hatte ihn sofort erkannt, schon, als er in den Hof ritt.
Es war Jack Donegan.
Tom nahm sein Pferd, zog es hinter sich her und näherte sich dem Rancher.
Der blickte ihm finster entgegen. »Hey, wer schleicht denn da herum –?«
Tom kam bis auf fünf Schritte heran. Dann blieb er stehen. »Ich bin es, Jack – Tom Coogan.«
Eine lange Minute war es still auf dem Hof.
In der Ferne verklangen die Geräusche der Herde immer mehr.
Jack Donegan stemmte die Arme in die Hüften und stierte den nächtlichen Besucher feindselig an. »Tom Coogan«, wiederholte er gedehnt. »Sieh mal an! Und was willst du hier?«
»Mit dir sprechen.«
»Ich habe nichts mit dir zu besprechen. Du bist aus dem Straflager geflüchtet, du bist ein Verbrecher…«
»Du weißt, daß das nicht wahr ist«, entgegnete Tom.
»Ah –«, kam es lauernd zurück. »Wieso weiß ich das?«
»Ich weiß, daß es so ist«, entgegnete Tom ruhig.
»Du weißt es. Sieh mal an«, knurrte der Rancher. Plötzlich stieß er den Kopf vor und fauchte: »Vielleicht könnte es Kid Walker ja auch wissen – ich meine, daß du unschuldig bist?«
»Du weißt es, Jack –«
Mit einer blitzschnellen Bewegung hatte der Rancher seinen fünfundvierziger Colt aus dem Halfter gezückt. »Hör zu, Tom Coogan, du kommst zu spät. Zehn Jahre zu spät. Hier kann dich niemand mehr brauchen. Du bist abgeschrieben. Du bist ein Sträfling. Du fändest nirgends mehr das, was du suchst: Ruhe und ein Zuhause…«
Tom sagte dumpf: »Es wäre besser für mich, wenn ich in den Lagern umgekommen wäre, nicht wahr?«
»Ja. Und um deine Reise nicht unnötig zu verlängern, werde ich ihr hier ein schnelles Ende bereiten.«
»Du willst mich erschießen? Hier, auf dem Hof des alten Peter Loon? Wo ich damals für dich eine Stellung erbat…«
»Sei still! Es hat keinen Sinn. Es ist meine Ranch heute…«
»… natürlich hast du sie dem Alten abgegaunert!« unterbrach Tom den Rancher schroff.
Der Rancher stieß einen Fluch aus. Dann peitschte ein Schuß über den nächtlichen Hof.
Tom fühlte einen harten, glühendheißen Stoß in der Brust, machte noch zwei taumelnde Schritte nach vorn auf seinen Mörder zu, hob die Hände und bekam in diesem Augenblick die zweite Kugel, die ihn von den Beinen riß.
Mit harten, mitleidlosen Augen blickte Jack Donegan auf den Mann, den er eben niedergeschossen hatte wie einen kranken Hund.
Oben im Ranchhaus wurde eine Tür aufgerissen.
»Es ist nichts, Mabel!« rief Jack. »Ich habe einen Banditen niedergeschossen, der mich angefallen hat.«
Jack Donegan ging auf die Veranda zu. Er sah nicht den Mann, der drüben neben dem Geräteschuppen stand und mit ungläubigen Augen auf den dunklen Schatten auf dem hellen Sand des Ranchhofes blickte; dahin, wo der Niedergeschossene lag.
Als der Rancher oben in seinem Haus verschwunden war, löste sich ein Schatten vom Geräteschuppen und eilte über den Hof auf Coogan zu.
Der Mann bückte sich und richtete den anderen halb auf. »Tom! He, Tom. Kann ich dir helfen?«
Aus schimmernden Augen sah Tom Coogan in das Gesicht des Mannes über sich. »Kid? Kid Walker –?«
»Ja, Tom. Ich bin es. Ich bin dir gefolgt.«
»Du – du hast alles gehört?«
»Alles. Und ich ahnte es. Leider viel zu spät.«
»Er – er hat Jonny ermordet. Ich bin unschuldig, Kid. Unschuldig…«
Der Salooner krampfte seine Hände in die Jacke des Sterbenden. »Ja, Tom. Ich weiß es jetzt.«
Ein konvulsivisches Zucken lief durch den Körper des unglücklichen Mannes, dann fiel sein Kopf zur Seite.
Der Heimkehrer Tom Coogan war tot. Der Mann, für den er eine Ewigkeit schuldlos in Zwangslagern geschmachtet hatte, der war auch sein Mörder geworden.
Kid nahm den Toten mit in die Stadt. Vorm Friedhof legte er ihn nieder auf die feuchte Erde. Dann machte er sich auf den Weg zum Saloon.
*
Am nächsten Abend betrat ein mittelgroßer Mann mit aschblondem Haar, riesigem, hartem Gesicht und weit auseinanderstehenden gelblichen Augen den Saloon Kid Walkers. Er schob seine breitschultrige, sehr geschmeidige Gestalt durch die Tischreihen bis zur Theke vor.
Der Lärm verstummte.
Man machte dem Mann ehrerbietig Platz. So wie es dem großen, selbstgefälligem und etwas wilden Rancher Donegan zukam.
Hinter der Theke stand in Hemdsärmeln, roter Weste und weißer Schürze Kid Walker.
»Hallo, Kid!« rief Donegan lärmend.
Kid hob nur den Blick. Dann sagte er in die Stille, die plötzlich eingetreten war: »Was willst du hier bei mir?«
Donegan schlug mit seiner eisenharten Faust dröhnend auf die Theke. »Bist du verrückt geworden, Kid? Trinken will ich. Wie immer, du alte Eule.«
Kid spreizte die Arme auseinander und stemmte seine Fäuste auf das Thekenblech. »Hier gibt’s für dich nichts mehr zu trinken.«
Da brüllte Donegan: »Kriege ich nun meinen Whisky?«
»Nein!«
Der Rancher wurde weiß im Gesicht, er zog den Colt.
»Willst du schon wieder schießen?« fragte Kid ruhig. »Dann wären es zusammen drei Tote.«
Das harte, fahle Gesicht Donegans verzerrte sich zu einer Fratze. Er zischte:
»Wie hast du das eben gemeint, Brother?«
»Wie ich es gesagt habe.«
Donegan hob den Colt. »Wenn du was gegen mich hast, Walker, weshalb alarmierst du dann nicht den Sheriff?«
Kid zog die Brauen zusammen. »Ich bin weder ein Verräter noch dein Richter, Donegan. Nur – aus meinem Haus bleibst du weg!«
Ein böses Flackern trat in die Augen des Ranchers. Seine Mundwinkel zogen sich nach unten. »So, ich soll aus deinem Haus bleiben? – Und weshalb?«
»Du weißt es so gut wie ich.«
»Ist es wegen Tom – wegen Tom Coogan?«
»Genau.«
»Ach, du weißt, wer ihn umgebracht hat?«
»Ich war dabei!«
»Das glaube ich, denn du wirst ihn erschossen haben! Du! Weil du ein schlechtes Gewissen hast, du Strolch, weil du…«
Plötzlich hatte auch der Wirt einen Revolver in der Faust. »Schluß jetzt, ich habe dich nicht angeklagt. Aber jetzt tue ich es. Ich bin Tom gestern nachgeritten.