Wenige Minuten später saßen sich die beiden bei einem Glas Brandy gegenüber.
Gennan war ein wortkarger Mann.
Dafür liebte der alte Rooster die Unterhaltung um so mehr. Plötzlich brachte er das Gespräch auf Jack Donegan. Der Marshal wußte sehr wohl, daß Donegan die Tochter des Richters geheiratet hatte. So etwas sprach sich über fünfzig Meilen im Umkreis herum. Aber er wußte auch, weshalb Gennan damals weggegangen war.
Gennan hob den Kopf. »Ich will mein Kind wiedersehen, Rooster, verstehen Sie das? Ich möchte ihm nur nicht begegnen.«
Rooster hob sein Glas, trank einen Schluck, blickte auf die Tischplatte. »Sie werden ihm nicht begegnen, Richter«, sagte er dann.
»Wie meinen Sie das?«
»Weil er nicht in Chelsea ist.«
»Wieso? Er kann aber doch wohl jeden Tag zurückkommen. Wo ist er denn?«
Rooster wies mit dem Daumen über seine linke Schulter. »Da drinnen.«
Gennan stand auf. Seine dunklen Brauen hatten sich düster zusammengezogen. »Was sagen Sie da?« fragte er mit belegter Stimme.
»Wyatt Earp hat ihn hergebracht. Er ist ein Mörder.«
Gennans Lippen öffneten sich, aber er brachte keinen Ton heraus. »Ein Mörder?«
»Ja, ein Mörder.«
Der Richter stieß den Kopf vor. »Er hat Jonny Ray – und Tom Coogan.«
»Coogan?«
»Ja, Tom Coogan.«
Der Richter fuhr sich über die Stirn. »Aber der ist doch in den Steinbrüchen von Sescattewa.«
»Er war. Er ist geflohen. Als er auf die Ranch bei Chelsea kam, hat Donegan ihn niedergeschossen.«
Der weißhaarige Mann griff sich wieder an die Stirn. Langsam glitt die feine blasse Hand über das Gesicht herunter und suchte schließlich an der Tischplatte Halt: »Ich begreife das nicht, Rooster. Woher weiß man denn…«
Der Marshal stand auf. »Wyatt Earp war zufällig in Kid Walkers Saloon. Er brachte Donegan mit.«
Der Richter stand vor dem Tisch und starrte den Marshal wortlos an.
Der alte Rooster erhob sich. Er nahm beide Hände hoch und ließ sie wieder sinken. »Es tut mir leid, Mr. Gennan«, sagte er nun.
Der ging auf die Tür zum Gefängnistrakt zu, öffnete sie und betrat den Zellengang.
Die Tür fiel hinter ihm wieder ins Schloß.
Langsam ging der Richter an den Eisenstäben der wenigen Zellen vorbei.
Plötzlich blieb er stehen und starrte mit geweiteten Augen auf den Mann, der neben der Pritsche an der Wand lehnte und ihm kalt entgegensah.
Endlich öffnete der Richter die Lippen. »Jack Donegan…«
Der Mann in der Zelle verzog den Mund. »Gennan? Was wollen Sie hier? Sie haben sich den Zeitpunkt, Ihren Schwiegersohn zu besuchen, ziemlich gut ausgesucht.«
»Wo ist Mabel?« Nur diese Worte brachte der Richter heraus.
»Wo soll sie sein? Da, wo ich sie hingebracht habe: Auf meiner Ranch, die sie jetzt erben wird, wenn sie mich hier umgebracht haben.«
Gennan kam nahe an das Gitter heran. »Was hast du getan, Jack Donegan?« Er hatte es nur leise gesagt, und seine Augen brannten in dem Gesicht des jüngeren Mannes.
Donegan kam ebenfalls ans Gitter heran. Er klammerte seine schweren braunen Fäuste um die eisernen Stäbe, fletschte die Zähne und zischte: »Ich habe Coogan erschossen. Ich habe ihn erschießen müssen, weil er Mabels Glück zerstören wollte…«
Die Augen des Richters wurden abweisend. »Mabels Glück? Suche es nicht auf diesen Weg zu bringen, Donegan. Mabel hatte nie ein richtiges Glück bei dir. Du hast sie als deine Frau genommen, wie du alles genommen hast. Das Leben Jonny Rays, Peter Loons Ranch, Moorcrofts Flußweiden und meinen Seelenfrieden. Du bist ein Raubtier, Jack Donegan. Ray und Coogan waren anständige Jungens – und arme Teufel, die ihr Leben für deine wahnwitzigen Pläne lassen mußten. Natürlich hättest du Mabel nicht bekommen, wenn Jonny Ray noch gelebt hätte, wenn der unglückliche Coogan nicht als Mörder aus der Stadt geschleppt worden wäre und wenn Kid Walker sich weiterhin um sie bemüht haben würde. Du warst ja der einzige Freier. Daß sich sonst niemand um sie bewarb, das hast du ja mit Hilfe der Menschen geschafft, die du später vernichtet hast. Du hast den kleinen braven Jonny Ray unten am Arkansas erschossen. Du hast zugesehen, wie dein Freund Tommy Coogan des schlimmsten Verbrechens bezichtigt und für schuldig befunden wurde. Du hast Mabel geholt. Sie war noch ein halbes Kind Und jetzt ist Tom zurückgekommen – und du hast ihn ausgelöscht, so, wie man eine Spur im Sand auslöscht. Du bist ein Raubtier, Jack Donegan…«
Der Verbrecher blieb ruhig. »Wenn Sie das alles so genau wissen, Mr. Gennan – weshalb haben Sie Coogan denn damals verurteilt, he?«
Der Richter senkte langsam den Kopf. »Ja, ich habe ihn verurteilt, weil auch ich ihn für schuldig hielt. Weil alles gegen ihn sprach. Du hattest es ja mit teuflischer Raffinesse so eingerichtet…«
»Nicht wahr«, grinste der Mörder hämisch.
Gennan riß den Kopf hoch. Der Zorn flammte auf seinem Gesicht. »Du wirst dafür sterben, Donegan! Ehrlos wie ein Pferdedieb. Ehrloser noch!«
»Du willst mich verurteilen?« zischte der Verbrecher.
»Nein, nicht ich. Dafür wird es hier einen anderen Richter geben. Ich richte nicht mehr…«
Donegan hatte ihn anscheinend nicht bemerkt. Er brüllte plötzlich: »Aber zusehen wirst du, Gennan, was? Zusehen, wie sie deinen Schwiegersohn hängen, hey? Du verdammter Aasgeier, du! Ich will dir was sagen, John Gennan: Ich freue mich, daß ich auch dein Leben vernichtet habe. Ich wußte, daß du mich nicht leiden konntest! Und ich freue mich, daß ich auch Mabels Leben vernichtet habe. Niemand wird sie mehr haben wollen. Ha!«
Donegans Gesicht war eine Maske des Hasses. Zügellose Wut glühte in seinen Augen.
Gennan blickte ihn entsetzt an. Schließlich sagte er: »Ich bedauere dich, Jack Donegan. Ich bedauere dich aus ganzem Herzen. Du bist auch ein unglücklicher Mensch…«
»Hängen willst du mich sehen! Sag es doch! Du willst mich hängen sehen!« schnarrte der andere.
Gennan schüttelte den Kopf. »Nein, Donegan. Ich will es nicht sehen. Sie werden dich hängen, aber ich werde dann längst weg sein.«
»Mit Mabel, nicht wahr?«
Der Richter nickte. »Ja, ich werde sie mitnehmen!«
»Nichts wirst du, du verdammter Hund!« Jack Donegan nahm mit einer schnellen Bewegung den Hut vom Kopf und riß den Colt, den er darin befestigt hatte, heraus. Der Hahn knackte.
Gennan blickte gelassen auf die Waffe. »Schieß, wenn du willst, Donegan. Wenn es dich erleichtert…«
Da brüllte die Waffe auf. Der Schuß fauchte den Richter an, sprang glühend in seine Brust, durchschlug sein Herz und tötete ihn sofort. Er fiel hart gegen die Gitterstäbe und rutschte an ihnen hinunter.
Donegan sah jetzt erst den Marshal. Ehe der Alte zur Waffe greifen konnte, schrie der Mörder ihn an. »Komm her, Alter, schließ auf!«
Rooster blieb reglos stehen.
Ganz leise, aber mit drohendem Unterton befahl Donegan: »Mach die Tür auf, Alter, sonst schieße ich dich zum Krüppel. Du wirst nicht sofort sterben wie der Richter. Ich schieß dir durch den Arm und durch das Bein, eine Kugel in den Unterleib und… Los, schließ auf!« Donnegan stieß die Waffe vor.
Ein Zittern erschütterte den Körper des Marshals.
»Ich warte genau drei Sekunden!« drohte der Verbrecher.
Die