Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027238149
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war dem Gefangenen fremd.

      Er besah sich den Mann.

      Es war eine große, kräftige Figur, ein finsteres, ehrliches Gesicht. Er hatte eine soldatische Haltung; er trug die Uniform der Gefangenenwärter, auf ihr das Eiserne Kreuz und die Denkmünze der Feldzüge von 1813—15.

      Dem Gefangenen war sein Aussehen fremd wie seine Stimme. Er blickte ihn mit Misstrauen an.

      »Sie kennen mich?« fragte er.

      »Ich kenne den Herrn Hauptmann Mahlberg schon lange.«

      Der Gefangene war der Hauptmann Mahlberg.

      Der Fremde hatte die Worte leise, mit einer gewissen Befangenheit gesprochen.

      Es konnte das Misstrauen des Hauptmanns nicht vermindern.

      »Sie sind Gefangenenwärter hier?« fragte er.

      »Ja, Herr Hauptmann.«

      »Ich sah Sie nie.«

      »Meine Station ist in dem andern Flügel des Schlosses.«

      »Was führt Sie zu mir?«

      Der Gefangenenwärter zog aus der Brusttasche ein Zettelchen hervor und überreichte es dem Gefangenen.

      Der Hauptmann las es.

      »Vertraue dem Überbringer. Dein Gisbert.«

      Die Handschrift Gisberts von Aschen war es. Der Hauptmann kannte sie genau genug.

      Aber war der Überbringer der rechte?

      »Ihr Name?« fragte er.

      »Beermann. Ich war Unteroffizier in der Kompanie des Herrn von Aschen. Er war mein vorgesetzter Lieutenant.«

      Das konnte wahr, es konnte nicht wahr sein.

      Der Hauptmann stand noch mit zweifelhaften Blicken vor dem ihm unbekannten Mann.

      »Herr Hauptmann«, sagte dieser, »soll ich Ihnen erzählen, wie ich Sie zum ersten Male sah?«

      Der Hauptmann nickte mit dem Kopfe.

      »Es war in der Schlacht bei Laon. Die Schlacht war für uns so gut wie verloren; unser linker Flügel war· auf die Stadt zurückgeworfen. Die Franzosen hatten in einem Dorfe eine feste Stellung eingenommen. Sie hatten ungeheure Vorteile, wenn sie von daher am andern Morgen wieder angriffen. Es war dunkler Abend geworden. Da forderten York und Kleist die Truppen auf, den Feind unversehens in dem Dorfe zu überfallen.

      Die Leute waren zum Tode müde. Manche sagten es.

      Da traten Sie — Ihr Regiment lag neben dem unsrigen, Ihre Kompanie und unsere Kompanie waren die nächsten Nachbarn — auf einmal vor Ihre Kompanie. Ich sehe Sie noch in dem Scheine des Biwakfeuers.

      ‘Landwehrmänner!’ riefen Sie. ‘Ist hier ein einziger Feiger unter Euch?’

      Und wie aus einem Munde rief die ganze Kompanie: ‘Nein, Herr Hauptmann! Ein Hundsfott, wer Ihnen nicht folgt.’

      Und da rief das ganze Corps es, und Ihre Kompanie, Sie an der Spitze, durfte die erste sein, die in das Dorf eindrang, und — soll ich Ihnen noch erzählen, wie wir die Franzosen hinauswarfen, dass sie in wilder Flucht davonliefen? Die Schlacht war gewonnen.«

      »Geben Sie mir Ihre Hand«, sagte der Hauptmann zu dem Gefangenenwärter mit dem finstern, ehrlichen Gesichte, »und verzeihen Sie mir, wenn ich ein unbegründetes Misstrauen gegen Sie hatte.«

      »Zum Misstrauen kann man hier wohl kommen«, sagte der andere. »Und glauben Sie mir, Herr Hauptmann, kein Mensch hätte mich zu diesem Posten gebracht, wenn ich in anderer Weise mir mein Brot hätte verdienen können. Wo ein Unteroffizier im Regimente nicht taugt, da wird er ja zum Gefangenenwärter weggelobt. Aber ich war hoffentlich die längste Zeit hier.«

      »Was sollen Sie jetzt bei mir?« fragte ihn der Gefangene.

      »Sie sollen heute Nacht befreit werden, Herr Hauptmann.«

      Der Gefangene mochte auf manches gefasst gewesen sein. Er war doch überrascht. Er musste wiederum den Mann, der ihm diese Nachricht brachte, mit Misstrauen ansehen.

      »Und wer soll mich befreien?« fragte er.

      »Ich werde es, Herr Hauptmann.«

      »Und auf wessen Veranlassung?«

      »Das Billett des Herrn von Aschen sollte es Ihnen sagen.«

      »Wie ist Ihr Plan?«

      »Die Schlüssel zum Innern des Schlosses habe ich. Hinaus, ins Freie, kommen wir auf folgende Weise. In anderthalb Stunden, um elf, werden die Schildwachen abgelöst. An ein Seitenpförtchen, das in den Schlossgarten führt, kommt ein Grenadier auf Posten, den ich kenne, dessen Vater mein Kamerad in den Feldzügen war.

      Der Posten dort hat den Schlüssel zu dem Pförtchen, um von jener Seite her sofort Hilfe herbeirufen und hereinlassen zu können, wenn etwas passiert. Er wird uns aufschließen. Wir sind dann im Schlossgarten. Er geht bis an die Spree. Am Ufer wartet jemand mit einem Nachen auf uns, er bringt uns aus die andere Seite. Dort steht ein Wagen, der Sie weiter führt.«

      »Und wo bleiben Sie?«

      »Der Herr Hauptmann werden mich mitnehmen. Ich könnte Ihnen auch unterwegs nützlich sein.«

      »Haben Sie Angehörige?«

      »Nicht Kind und nicht Kegel.«

      »Aber«, sagte der Gefangene, »Sie verlieren Ihren Posten. Wovon wollen Sie leben?«

      »Der Herr von Aschen wird für mich sorgen.«

      Der Gefangene warf einen Blick auf die Ehrenzeichen des Gefangenenwärters.

      »Man wird Ihnen einen Kriminalprozess machen; Sie werden die Kriegsdenkmünze verlieren, das Eiserne Krenz, das Sie sich mit Ihrem Blute verdient hatten.«

      Den finstern Mann ergriff die Bemerkung. Auch er musste sich sein Eisernes Kreuz ansehen.

      »Ich habe es darum dennoch mit meinem Blute verdient«, sagte er.

      Der Gefangene hatte noch ein Bedenken.

      »Und der Grenadier, der uns hinauslassen soll? Was wird aus dem Sohne Ihres alten Kameraden werden?«

      »Er wird sich einfach darauf berufen, dass ein Gefangenenwärter ihm befohlen habe, zu öffnen. Vielleicht öffne ich auch selbst; der Schlüssel ist in meinem Besitze.«

      »Und wenn man ihn eines Einverständnisses mit Ihnen überführt?«

      »Man würde ihm auch dann nicht viel tun. Meinen der Herr Hauptmann, dass die Offiziere in der Armee von diesen Demagogengeschichten erbaut wären? Sie verachten die Zivilisten, die so eifrig dafür sind; sie meiden den Umgang mit ihnen. Demagogenfänger nennen sie sie. Das ist in der ganzen Armee bekannt.«

      Der Gefangene stand in tiefem Nachsinnen.

      »Noch eins, Herr Hauptmann«, sagte der Gefangenenwärter. »Dann werden Sie mir völlig vertrauen und sich nicht mehr besinnen. Sie sollen nicht allein befreit werden. Noch ein Freund von Ihnen geht mit.«

      »Wer ist es?« fragte der Gefangene.

      »Ihr Nachbar dort links. Er ist erst heute hier angekommen. Darum musste Ihre Befreiung bis jetzt aufgeschoben werden.«

      »Sein Name?« fragte der Hauptmann.

      »Ich führe ihn zu Ihnen.«

      Der Gefangenenwärter verließ die Zelle und kam nach drei Minuten mit dem neuen Bewohner der Nebenzelle zurück.

      Die beiden Gefangenen sahen sich an, lagen einander in den Armen.

      »Mahlberg!«

      »Horst, Du bist es?«

      »Ich bin es. Du wusstest nichts von mir?«

      »Nicht einmal Deine Verhaftung!«

      »Wie?