Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027238149
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der Frau.«

      »Du bist in den alttestamentlichen Ansichten der Bibel befangen. Der Jude ist der Herr, der Despot der Familie.«

      »Ich sprach von der Ehre, Karoline, von der Ehre des Mannes. Der Begriff gehört der neuern Zivilisation an.«

      »Und die neuere Zivilisation kennt keine Frauenehre?«

      »Sie kennt auch sie, mein Kind, und sie erkennt sie so sehr an, dass die Ehre der Frau ihr das Höchste ist und dass sie daher als die höchste Pflicht des Mannes die aufstellt, die Ehre der Frau zu verteidigen. Denn die Verteidigung fordert einen Kampf, und der Kampf fordert ein Hinaustreten in die Welt, das der weiblichen Natur widerstrebt, das diese verneint, vernichtet. Verteidigen kann aber die Ehre einer Frau nur der Mann, der seine Ehre hat.«

      »Onkel Florens«, sagte Karoline, »mein Verstand kann in diesem Augenblick nicht unterscheiden, ob Du Recht oder Sophismen vorgebracht hast. Aber jedenfalls, meine ich, hättest Du mir nicht bewiesen, dass es die Ehre eines Mannes beeinträchtigt, eine reiche Frau zu heiraten.«

      »Hm, Karoline«, sagte der Domherr, »über die Frage lass’ lediglich Dein Herz, Dein Gefühl, Deine Liebe entscheiden.«

      »Ah, und die Liebe wollte ich selbst mir noch gegen Dich zu Hilfe rufen.«

      »Du hast sie ja bei Dir. Frage sie.«

      Karoline saß lange schweigend.

      »Du hast Recht«, sagte sie dann. »Ich werde Frau Assessorin in Meseritz oder Wongrowitz oder Filehne oder in der Tucheler Heide.«

      Sie sprach es mit heiterem Blick, mit munterer Stimme, aber wohl, um das Weh ihres Herzens über den Abschied von dem freundlichen Ovelgönne, von der teuren Heimat, von der Schöpfung der Tätigkeit ihrer Eltern, ihres eigenen Denkens und Arbeitens zu verbergen. Ihr Entschluss stand nicht minder fest.

      »Und nun wird Friedrichs nicht wollen«, sagte der Domherr, der mit seinem eigenen wie mit dem edlen Herzen ihres Verlobten das schwere Opfer ihres Herzens sah.

      »Er muss!« rief sie. »Du hattest Recht. Die Ehre des Mannes ist die Ehre der Frau. Wie könnte sie selbst nur ein Stäubchen hineinbringen? Komm’, komm’, Onkel Florens; ich werde ihn bitten, bis er nachgibt. Du sollst mir helfen. Brechen wir auf«

      Sie brachen auf.

      Sie hatten lange auf dem stillen Platze da oben zwischen den Gräbern gesessen. Als sie die Fichten des kleinen Kirchhofs zurückgelegt hatten, fiel es ihnen auf, dass es auch nach den Häusern hin so still war. Es war vielleicht schon eine Weile so gewesen. In ihrem Gespräche hatten sie nicht darauf geachtet. Sie hörten die Tanzmusik nicht mehr, sie hörten nicht das lautere Sprechen, das die Tanzpausen ausfüllt. Sie kamen den Häusern näher. Die Stille war wie vorher. War es denn schon so spät? War die Festlichkeit schon zu Ende? Hatten die Leute schon ihr Nachtlager aufgesucht? So musste es sein, weil man keinen Laut mehr vernahm, nicht auf dem Tanzplatze, nicht am Herrenhause, nicht anderswo.

      Und doch war es noch nicht elf Uhr — der Domherr sah nach seiner Uhr — und vor Mitternacht war das Erntefest noch nie zu Ende gewesen; das war wie ein Recht der Gutsleute.

      Die Stille in der dunklen Nacht war eine unheimliche.

      »Gisbert? Mahlberg?« musste sich auf einmal der Domherr fragen.

      »Was ist es mit ihnen, Onkel?«

      Er erzählte ihr, was Gisbertine ihm mitgeteilt, was der Bursche Bernhard gesehen, was der Lieutenant Becker gehört hatte.

      »Es ist nicht möglich!« sagte sie im ersten Augenblicke. »Friedrichs!« rief sie dann. »Ist er nicht in der gleichen Lage mit ihnen? Wird man ihn weniger hassen, weil man ihm mehr Dank schuldet und mehr Undank bewiesen hat? Es ist hier etwas vorgefallen, was alle mit Entsetzen erfüllt hat; darüber kann kein Zweifel sein. Schrecken und Angst und Verwirrung müssen umso größer sein, da man auch uns beide vermisst, vergeblich überall gesucht haben mag.«

      Sie verdoppelten ihre Schritte.

      Sie kamen an dem Birkenwäldchen hinter dem Garten vorbei. Sie hörten Geräusch darin. Jemand durchstreifte es in raschem Laufe.

      »Heda! Hierher!« rief der Domherr.

      Der Laufende wandte seinen Schritt nach dem Rufe hin. Er kam bei den beiden an.

      Es war der Gutsinspektor.

      Er war fast außer Atem.

      »Gott sei Dank, Mamsell, dass Sie endlich da sind. Das halbe Gut ist hinaus, sie zu suchen.«

      »Was ist vorgefallen?«

      »Gendarmen waren hier. Sie haben einen Raub begangen, einen doppelten.«

      »Erzählen Sie.«

      »Wir waren auf dem Festplatze. Auf einmal kam atemlos der Bernhard hergerannt. ‘Hilfe!’ rief er. ‘Ein Mensch ist überfallen. Er wird mit Gewalt fortgeschleppt.’

      ‘Wer ist es?’ wurde er gefragt.

      ‘Ein Herr, den der Herr Domherr kennt.’

      ‘Und wer hat ihn überfallen?’

      ‘Gendarmen.’

      Bei dem Worte Gendarmen stutzten die Leute.

      Der junge Herr Baron aber fragte den Burschen:

      ‘Wo war es?’

      ‘Hinter den Erlen, Euer Gnaden.’

      ‘Führe mich hin!’

      Und der junge Herr und der Bursche liefen hin.

      ‘Ihnen nach!’ rief ich den Leuten zu.

      ‘Aber Gendarmen!’ erwiderten sie mir.

      ‘Aber es ist auf dem Gute, und das Gut gehört der Mamsell, und sie und ihre Leute haben ein Recht zu wissen, was hier passiert, auch was die Gendarmen hier tun.’

      Sie folgten mir. Wir eilten zu dem Erlengebüsch.

      Wir kamen zu spät. Wir hörten wohl noch in der Ferne vor uns ein Rufen; es kam uns auch vor, als ob Waffen klirrten. Dann vernahmen wir aber deutlich den Galopp von Pferden, die davonsprengten. An den Erlen selbst kam uns Bernhard entgegen. Der arme Bursche weinte.

      ‘Sie haben auch den Herrn Baron fortgeschleppt. Das waren keine Gendarmen, das waren Räuber.’

      Er erzählte uns, wie er schon früh am Abend die Gendarmen gesehen; wie er es Euer Gnaden mitgeteilt, um die Mamsell nicht zu beunruhigen; wie Sie ihm befohlen, einen fremden Herrn, den Sie ihm beschrieben, aufzusuchen und in das Herrenhaus zu führen; wie er ihn vergeblich gesucht, bis er zuletzt plötzlich Rufen, Waffen, Ringen mehrerer Menschen miteinander gehört, hinzugeeilt sei und nun gesehen habe, dass die Gendarmen einen Herrn niedergeworfen und ihm erklärt hätten, sie müssten ihn binden, wenn er ihnen nicht gutwillig folge.

      Der Bursche war darauf zurückgelaufen, um Hilfe zu holen. Wie er dann mit dem Herrn Baron wieder hingekommen, war alles fort gewesen. Aber von einer andern Seite her war ein Trupp Gendarmen eilig herangeritten gekommen. Ihnen wollte der Baron entgegeneilen.

      Sie hatten ihn schon umringt.

      ‘Ah, der Zweite, den wir suchen. Der Freiherr von Aschen! Sie sind arretiert, mein Herr!’

      ‘Gutwillig nie!’ hatte der junge Herr Baron gerufen.

      ‘So werden wir Sie binden müssen.’

      Da hatte der junge Baron sich besonnen und gelacht.

      ‘Man kann ja auch den Spaß mitmachen. So heiß wie bei Ligny und Belle-Alliance wird es wohl nicht werden. Geben Sie mir ein Pferd. Adieu, Bursche. Sage dem Onkel, was hier geschieht, und dass er Recht hatte, dass aber das rechte Recht, das deutsche Recht, doch zuletzt Recht bleiben werde.’

      Damit hatte er sich auf das Pferd eines Gendarmen geschwungen, und sie waren mit ihm fortgesprengt, jenen