Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027238149
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folgte, wie betäubt.

      So wurde er in den Nachen gezogen.

      Vier Ruder setzten sich in Bewegung. Das Fahrzeug glitt nach der Mitte der Spree hin.

      »O Gisbert, ich habe Franz Horst gemordet!« rief klagend der unglückliche Entflohene.

      »Er steht in Gottes Hand!« wurde ihm geantwortet.

      Aber es war nicht die Stimme Gisberts von Aschen, die ihm die Antwort gab.

      Von dem Städtchen Warburg her fuhr eine einspännige Bergchaise aus dem Diemeltal in das Ovelgönner Tal.

      In dem hübschen Tale herrschte wie immer die stille, ruhige, geordnete Geschäftigkeit, die hier schon manches Jahr von der Hand der Mamsell Karoline Lohrmann geleitet war.

      Es war in der Zeit der Roggenernte. Das Korn hatte üppig in dem Tale gestanden; es stand zum Teil noch so. Auf allen den weiten Ackerfeldern herrschte reges Leben; alle Leute des Gutes Ovelgönne waren hier heute beschäftigt. Auf der Hälfte der Äcker stand das geschnittene Korn schon in Garben; Wagen waren da, es einzufahren; die Leute bei den Wagen luden es auf. Auf der andern Hälfte wurde es geschnitten, das geschnittene in Garben aufgerichtet, um an den folgenden Tagen aufgeladen und eingefahren zu werden.

      Die warme Julisonne schien den fleißigen, rüstigen Arbeitern zu helfen. Sie neigte sich schon tief der Erde zu; da wollten alle sich noch sputen.

      Zwischen den Ackerfeldern stand in den Wiesen und Weiden das Gras hoch, und noch höher standen die bunten Blumen, dass man das Milchvieh kaum sehen konnte, das zwischen ihnen weidete.

      Zu beiden Seiten des Tals aber, in den dichten Wäldern, die es einfassten, hörte man die Axtschläge der fleißigen Holzhauer, und der Waldsäger begleitete sie mit seinem unruhigen Geschrei und der Grünspecht mit seinem lustigen Lachen.

      Der einzelne alte Herr, der in der Bergchaise durch das Tal fuhr, sah und hörte allem mit stiller Zufriedenheit zu.

      Der Wagen war bis in die Nähe des Ovelgönner Herrenhauses gekommen.

      »Halt, Kutscher!« rief der Herr.

      Er stieg aus. Er wollte zu Fuß zu dem Hause gehen.

      Da kam vom Hause her eine Dame.

      Der Herr ging schneller, als er sie sah.

      Und die Dame, als sie nun auch ihn sah, flog.

      »Onkel Florens, Onkel Florens, Du bist es?«

      »Karoline — mein Mädchen, hätte ich bald gesagt. Aber bist Du nicht schön und frisch, wie Du nur je als Mädchen warst?«

      »Muss man denn schon drei Monate nach der Hochzeit wie eine alte Frau aussehen?«

      »Du wirst auch als alte Frau so schön und blühend bleiben.«

      »Die Komplimente nachher, Onkel Florens. Sage mir, woher Du kommst?«

      »Von Warburg.«

      »Und Du hast mir meinen Mann nicht mitgebracht?«

      »Er kommt nach, zum Abend, wie er es Dir versprochen habe. Er saß noch mitten zwischen seinen Akten.«

      »Ja, er ist ein Aktenbär geworden.«

      »Und Du, Karoline, bist, wie ich sehe, noch immer die Mamsell Karoline aus Ovelgönne.«

      »Die Frau Assessorin, wenn Du es erlaubst.«

      »Aber der Geist und die Hand von Mamsell Karoline wirken hier noch immer.«

      »Und das danken wir Dir, Du braver Onkel Florens.«

      »Nicht mir, aber einem braven preußischen Justizminister.«

      Wir müssen hier das Gespräch des Domherrn von Aschen mit der jungen Frau auf einige Augenblicke unterbrechen.

      Karoline und ihr Bräutigam hatten darüber gestritten, ob der ohne Pension verabschiedete Obristlieutenant Gutsherr auf Ovelgönne oder Assessor hinten im Posenschen werden sollte. Sie hatten die Entscheidung des Domherrn angerufen.

      »Das Recht steht auf der Seite Deines Bräutigams; es gilt seine Ehre«, hatte der Domherr entschieden.

      Karoline hatte noch einige Einwendungen machen wollen; dann hatte sie sich unterworfen: »Ich werde Frau Assessorin in Meseritz.«

      Aber in Meseritz hinten in dem fremden Polenlande sollte sie nicht Frau Assessorin werden.

      Der Domherr reiste nach Berlin; er hatte dort mancherlei zu besorgen; wir werden es später noch erfahren.

      In Berlin ging er zum Justizminister.

      Justizminister war damals in Preußen Herr von Kircheisen. Er war eine Säule des Rechts.

      Aber die Säulen des Rechts werden von dem Hofgesinde nicht immer gern gesehen, und der Minister von Kircheisen war damals schon ein alter Mann, und alte Leute werden stumpf und schwach.

      »Exzellenz«, sagte der Domherr, »ist Ihnen ein Obristlieutenant Friedrichs bekannt?«

      »Einen Obristlieutenant Friedrichs, Herr Domherr, dürfte nur der Kriegsminister kennen. Einen Assessor Friedrichs kenne ich.«

      »Ist der Assessor Friedrichs ein tüchtiger Arbeiter, Exzellenz?«

      »Ein sehr tüchtiger, Herr Domherr, und ein ausgezeichneter Jurist dabei.«

      »Und noch nicht Rat?«

      »Es waren eigentümlich unglückliche Anciennitätsverhältnisse für den braven Mann.«

      »Nicht auch ein Befehl von oben?«

      »Allerdings, aus dem Kabinett.«

      »Aber nicht vom Könige, Exzellenz!«

      Der Minister zuckte die Achseln.

      »Befehle ans dem Kabinett gelten als Befehle Seiner Majestät.«

      »Ah, Exzellenz, das heißt, der König wird auch zuweilen betrogen.«

      »Das ist ein hartes Wort, Herr Domherr!«

      »Aber ein wahres.«

      »Herr Domherr, in das Kabinett des Königs erstreckt sich die Macht des Justizministers nicht.«

      »Kommen wir auf den Herrn Friedrichs zurück, Exzellenz. Ich habe eine Bitte für ihn.«

      »Wenn ich sie zu erfüllen vermag.«

      »Er soll Assessor in Meseritz werden?«

      »Wenigstens im Posenschen wird eine Stelle für ihn offen gehalten.«

      »Könnten Exzellenz ihm nicht eine Stelle bei dem Gericht zu Warburg in Westfalen verleihen? Das Gut seiner Braut liegt eine Stunde von da.«

      Der Minister sann nach.

      »Es wird angehen.«

      »Ich danke Ew. Exzellenz.«

      So war die Mamsell Karoline Lohrmann Frau Assessorin in Warburg geworden, und ihr Geist und ihre Hand konnten in Ovelgönne ferner wirken; sie fuhr die Woche ein- oder zweimal nach Ovelgönne hinaus, und ihr Mann kam ihr zum Abend nach, um sie zurückzuholen; war es am Sonnabend, so blieben sie die Nacht und den Sonntag da.

      »Du willst nach der Arbeit der Leute sehen?« fragte der Domherr die junge Frau.

      »Nein, Onkel Florens. Dessen bedarf es bei meinen Leuten nicht. Aber sie arbeiten seit vier Uhr heute früh; der Abend kommt; ich will sie nach Hause schicken.«

      »Brave Frau. Und dann?«

      »Gehe ich meinem Mann entgegen.«

      »So ist es recht· Ich gehe unterdes in Dein Haus. Es ist mir ein schwerer Gang. Er kann Glück, er kann das Ende alles Glücks bringen.«

      »Was ist es, Onkel?«

      »Nachher.«

      Sie trennten sich.