Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027238149
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      Aber nun, Freund Mahlberg, erzähle Du Deine Geschichte.«

      Aber Mahlberg hatte vorher eine Frage.

      »Du sprachst von Gisbert; er habe für den alten Beermann eingestanden?«

      »So war es. Unter diesen Gefangenenwärtern sind überall Schurken und Verräter. Die einen dienen dem Inquirenten, die andern den Gefangenen. Den meinigen machte mir Gisbert durch sein Geld dienstbar. Ich erhielt von ihm heimlich alles, was der Kriminalrat mir entzogen hatte, auch Billette von Gisbert. In diesen teilte er mir auch einige Mal Nachrichten über meine Untersuchung mit; woher er sie hatte, sagte er natürlich nicht. Er schrieb auch von Dir, aber dass eine Verbindung mit Dir unmöglich sei; Du ständest unter einer ganz ausnahmsweise strengen Aufsicht; er wisse nicht einmal mit Gewissheit, wo Du seist. Vorgestern teilte er mir mit, dass ich heute werde hierher gebracht werden und dass ich dem alten Gefangenenwärter Beermann unbedingt vertrauen möge, er stehe für ihn ein; mehr könne er mir nicht schreiben.«

      Mahlberg war unruhig geworden.

      »Seit wann kennst Du Beermann?« fragte er.

      »Seit heute Abend, da er mich hierher zu Dir führte.«

      »Vorher hast Du ihn nie gesehen?«

      »Wo sollte ich ihn gesehen haben?«

      »Woher weißt Du denn, dass der Mann, den wir sahen, Beermann ist?«

      Auch Horst stutzte.

      »Sein ehrliches Gesicht —«

      »Kann auch der Spitzbube haben.«

      »Erzähle Du mir von ihm«, sagte Horst.

      Mahlberg erzählte, wie auch er heute Abend zum ersten Mal den finstern Gefangenenwärter gesehen, wie dieser ihm das Billett von Gisbert gebracht und ihm seine und Horsts Befreiung für die Nacht angekündigt habe.

      »Nun wohl«, sagte Horst, »wir sollte er zu den Billett Gisberts gekommen sein?«

      »Wie es an Beermann nicht gekommen wäre, durch Verrat.«

      »Teufel!«

      Aber der jüngere Gefangene besann sich.

      »Höre, Mahlberg, schlimmer, wie es uns jetzt geht, können sie uns nicht behandeln. Wir wagen es also mit dem Manne, und wagen gewinnt! Ist er ein Verräter, so hilft vielleicht gerade der Verrat uns zur Freiheit. Erzähle mir von Dir.«

      Auch Mahlberg ließ seine Bedenken fahren.

      »Wir werden auf unserer Hut sein!« sagte er.

      Dann erzählte er:

      »Vor einem Jahre wurde ich gefangen genommen, überfallen, ähnlich wie Du. Ich wurde in die Hausvogtei gebracht, ich wurde dort inquiriert, auch wie Du; nur wurde mir nie Dein Name genannt. Vor einem halben Jahre brachte man mich hierher, gleichfalls weil die Hausvogtei überfüllt sei.

      Von der Außenwelt habe ich in dem ganzen Jahre nichts erfahren. Meine Gefangenenwärter waren stumm; keine Zeitung kam zu mir, kein Buch, bis heute kein beschriebenes Stückchen Papier. Die Welt war tot für mich, meine Freunde, alles.

      Und jetzt und auf einmal soll ich aus meiner Haft befreit werden, soll ich zurück in die Welt. Ich kann es nicht fassen. Ich kann nicht daran glauben. Ich will mir dennoch Mühe geben, ich will mich zwingen, zu vertrauen, auch meinem Glücke.«

      »Es kam Dir zu plötzlich, armer Freund«, sagte Franz Horst.

      Ihr Gespräch wurde unterbrochen.

      Den langen Gang, an dem die Gefängniszellen lagen, kam ein eiliger Schritt herauf.

      Die beiden Freunde horchten.

      Vor Wahlbergs Zelle hielt es an.

      Die Tür wurde rasch aufgeschlossen.

      Der Gefangenenwärter Beermann trat ein.

      Er sah bestürzt aus, er hatte sehr eilig.

      »Kommen Sie!« wandte er sich an Horst. »Schnell! Gehen Sie leise.«

      »Wohin?« fragte Horst.

      »In Ihre Zelle.«

      »Was gibt es?«

      Beermann antwortete nicht.

      »Kommen Sie nur!« drängte er.

      Horst verließ mit ihm die Zelle Mahlbergs.

      Mahlberg blieb allein darin zurück.

      Er hörte, wie seine Tür verschlossen, dann nebenan die Tür Horsts geöffnet und gleichfalls wieder verschlossen wurde. Dann entfernte sich ein fliegender Schritt im Gange. Dann war es völlig still.

      Alles war in einem Augenblicke geschehen.

      Was hatte es zu bedeuten? Was sollte folgen?

      Mahlberg horchte. Es herrschte die tiefste Stille, auch in der Zelle nebenan. Horst musste gleichfalls horchen.

      Mahlberg wollte an die Mauer klopfen, die seine und Horsts Zelle trennte. Er wollte sich mit Horst besprechen.

      In dem Augenblicke hörte er ein neues Geräusch.

      Es nahte sich in dem Gange wieder ein Schritt; aber es war nicht der des Gefangenenwärters Beermann.

      Mahlberg kannte ihn; es war der Gefangenenwärter des Ganges, seiner Zelle und jetzt auch der Horsts.

      Der Schritt hielt vor der Tür Horsts. Die Tür wurde geöffnet.

      Mahlberg hörte nebenan ein paar Worte sprechen.

      Dann wurde die Tür wieder verschlossen, ein Schlüssel drehte sich in Mahlbergs Tür; ein Gefangenenwärter trat in die Zelle.

      Es war ein kleiner, untersetzter Mann mit einem verschlossenen Gesicht, mit scharfen, falschen Augen.

      Er trug eine hell leuchtende Laterne bei sich. Er leuchtete damit in der ganzen Zelle umher.

      Dann wandte er sich an den Gefangenen.

      »War jemand hier?«

      Der Gefangene sah ihn ruhig an.

      »Gefangenenwärter Schulz, Sie wissen längst, dass ich Ihnen auf derartige Fragen niemals eine Antwort gebe.«

      »Warum sind Sie noch nicht zu Bett?«

      »Weil es mir noch nicht gefällt.«

      Der Gefangenenwärter schien die kurzen, ruhigen Antworten des Gefangenen gewohnt zu sein. Er leuchtete noch einmal in dem Gemach umher, untersuchte die Wände, die Gitter des Fensters, das Bett, die Tür.

      Als er nichts fand, ging er. Aber in der Tür nahm er noch seine Rache.

      »Sie betrügen mich nicht, Herr!« sagte er höhnisch und drohend zugleich.

      Er verschloss die Tür und ging langsam den Gang hinunter, den er gekommen war.

      »Beermanns Plan ist verraten!« sagte sich Mahlberg. »Die Freiheit war also wirklich nur ein Traum! Ich war ja gefasst darauf. Aber der arme Horst! Sein Herz ist jünger. Er hängt so sehr an der Welt. Er hat noch nicht in ihr gelitten.«

      Er wollte wieder zu der Mauer gehen. Er besann sich.

      »Der Mensch könnte sich zurückgeschlichen haben, um uns zu behorchen.«

      Aber Horst klopfte drüben an die Mauer.

      »Mahlberg!« rief er.

      Mahlberg musste ihm antworten.

      »Sprich nicht, Horst; ich fürchte, wir werden behorcht.«

      Horst schwieg.

      Mahlberg setzte sich auf sein Bett; er legte das Gesicht in seine Hände und gab sich seinen trüben Gedanken hin. Auch in der Zelle nebenan wurde keine Bewegung mehr vernommen; der arme Horst saß da wohl ebenso gedankenvoll.

      Auf dem Turme des Schlosses schlug es elf.