Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027238149
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die da an«, sagte der Domherr.

      Henriette war in das Zimmer getreten.

      Sie brachte etwas für die Kranke.

      Karoline hatte zu dem Domherrn gesagt, man könne sie nicht ohne Rührung und nicht ohne Erhebung ansehen, so still und mutig ergeben sei sie, und ein so edler Stolz stärke ihr das Herz. Ein glücklicher, freudiger Stolz hob jetzt ihre ganze Erscheinung, und doch war sie bescheiden und demütig.

      »Verzeihen Sie mir, dass ich so spät komme«, sagte sie. »Ich wurde gegen meinen Willen aufgehalten.«

      »Haben Sie Nachricht, Henriette?« fragte der Domherr sie.

      Sie wusste, was er meinte.

      »Von da nicht«, sagte sie. »Aber —«

      »Aber?«

      »Ich habe etwas anderes, was mich so glücklich macht.«

      »Dürfen Sie es erzählen?«

      Sie erzählte.

      Und während sie erzählte, war es der Domherr, dem sich auf einmal wie in krampfhafter Angst das Herz zusammenziehen wollte.

      Wenn der Mensch meint, er habe endlich das Glück erfasst, so hat das Unglück ihn!

      Henriette war unten in der Küche beschäftigt gewesen, Umschläge für die Kranke zu besorgen.

      Die Wirtin hatte zugleich den Tee für die fremde vornehme Herrschaft bereitet.

      Die Herrschaft machte eine Promenade; gleich nach ihrer Rückkehr müsse der Tee bereit stehen, hatte der Kammerdiener bestellt.

      Der Kammerdiener kam in die Küche.

      »Die Herrschaft ist zurück. Sind Sie fertig, Frau Wirtin?«

      Es stand alles bereit.

      Der Kammerdiener konnte es nicht auf einem Brett und auf einmal tragen.

      »Begleiten Sie mich wohl mit den Tassen, Mamsell?« fragte er Henriette.

      »Recht gern. Die Frau Wirtin wird unterdes nach meinen Sachen sehen.«

      »Gewiss.«

      Der Kammerdiener und Henriette trugen den Tee für die fremde Herrschaft in den Garten, zu der Laube, in welcher der ältere Herr am Morgen seinen Kaffee verzehrt hatte.

      »Mamsell«, sagte der Diener unterwegs, »die Herrschaft wird mit Ihnen sprechen. Antworten Sie nur immer hübsch dreist.«

      Wollte Henriette zeigen, dass die Ermahnung eine überflüssige sei?

      »Der große Herr ist der König«, sagte sie. »Darf ich ihm sagen, dass ich ihn kenne?«

      »Sie wissen es also auch schon?«

      »Ich brachte die Nachricht von drüben hierher. Ich weiß auch, was der König hier will. Etwas Angenehmes ist es für den braven Herrn nicht.«

      »Aber woher haben Sie Ihre Nachrichten?«

      »Wir lieben im Lande den König; da nehmen wir Anteil an allem, was ihn betrifft. Und hier im Hessenlande hat er eine schwere Sorge. Seine Schwester — er will hier mit dem Kurprinzen eine Zusammenkunft haben. Der Kurprinz wird auch wohl zu dem mächtigen Schwager kommen. Aber ob es dann besser werden wird? Die Goldschmiedsmamsell aus Berlin — das Land erwartet nicht viel Gutes, nicht für sich, nicht für die brave Kurprinzessin.«

      Sie waren an der Laube angelangt.

      Der König und der General von Witzleben befanden sich darin.

      Das Mädchen zitterte doch leise, als sie zu der Herrschaft eintrat.

      Der Kammerdiener gab ihr einen Wink, dass sie den Tisch decken möge. Er hielt unterdes das Teebrett.

      Henriette breitete die feine, glänzend weiße Leinwanddecke über den Tisch, stellte die Tassen darauf, das andere. Sie war in allem so geschickt, so behände, so an mutig. Ihre Gestalt war so zierlich; ihr hübsches Gesicht, das einen Augenblick blass geworden war, hatte wieder die rosige Frische.

      Der König sah ihr mit stillem Wohlgefallen zu.

      »Sind recht flink«, sagte er dann. »Würden eine vortreffliche Wirtin sein.«

      Henriette hatte wohl recht dreist sprechen wollen; sie konnte doch kein Wort hervorbringen.

      »Sind Braut?« fragte der König.

      Henriette hatte sich ein Herz gefasst.

      »Ja, Majestät.«

      »Ah, kennen mich — ja, ja! Aber Bräutigam ist Offizier, hat das Eiserne Kreuz. Kann nicht wohl Wirt sein. Ginge freilich sonst wohl; scheint aber zu hitzig zu sein, könnte leicht wieder Streit bekommen. Habe gehört, in Paderborn Stelle des Salzinspektors vakant — siebenhundert Taler Gehalt. Soll sich an mich wenden, immediat. Sind zufrieden?«

      Henriette wusste wohl nicht recht, wo ihr auf einmal der Kopf stand.

      »Ah, Majestät, fünfhundert wäre schon genug.«

      Sie hatte die Hand des Königs gefasst. Sie küsste sie.

      »Bleibt bei siebenhundert«, sagte der König.

      Aber nun war die hübsche Henriette doch nicht zufrieden.

      »O Majestät«, sagte sie, und sie ließ die Hand des Königs nicht los, »Sie können so viel, Sie machen uns so reich. Da machen Sie auch ein paar andere Menschen glücklich. Hier liegt eine arme verwundete Frau. Ihr Mann wird als schwerer Verbrecher verfolgt und sie auch, und sie sind doch beide so unschuldig —«

      »Weiß schon«, unterbrach der König sie. »Sollen nicht mehr verfolgt werden. Habe schon Befehl gegeben.«

      »Und dann, Majestät, hätte ich noch eine Bitte —«

      »Ah, noch eine?« rief der König.

      Aber Henriette hatte sich einmal ein Herz gefasst, und nun folgte sie nur der Eingebung ihres braven Herzens, und sie dachte nicht, dass sie, das einfache Mädchen, vor dem Könige stand, sie wusste sich nur einem Manne gegenüber, der die Bitten ihres Herzens zu erfüllen vermochte.

      »Majestät«, fuhr sie mutig fort, »haben einen so braven Offizier, Friedrichs heißt er, und er war Obristlieutenant, und er hat jetzt Assessor werden müssen —«

      Der König unterbrach sie noch einmal.

      »Weiß auch das. Sind ein braves Kind.«

      Und er winkte ihr huldvoll mit der Hand, dass sie gehen könne.

      Sie flog in das Haus. Aber zuerst holte sie aus der Küche die Umschläge für die Kranke; dann erst ging sie nach oben, zu erzählen.

      »Und wenn sie ihr nun unterdes da hinten den Verlobten erschießen?« sagte sich der Domherr.

      Was sich unterdes da hinten auf dem Kampfplatze ereignet hatte?

      Der Herr von Homberg, Sekundant des Grafen Thalhausen, hatte den Beginn des zweiten Ganges kommandieren wollen; das Kommando war ihm auf den Lippen erstorben, aber ein Fluch war ihnen entfahren. Die ganze Gesellschaft in der kleinen Schlucht richtete ihre Augen nach der Stelle, wo der Herr von Homberg das gesehen hatte, was ihn überraschte und erschreckte.

      »Der König! Und Witzleben!«

      »Was nun?«

      »Nur volle Ruhe behalten!«

      Es war der einzige Rat.

      Friedrichs hatte ihn gegeben.

      Sie standen wie in den grünen Rasen eingemauert.

      Es gab keinen interessanteren Vorwurf für ein lebendes Bild.

      Am Eingange der Schlucht war der König mit dem General Witzleben stehengeblieben.

      Die zwei Schüsse, die sie gehört, hatten die beiden Spaziergänger wohl hergeführt.

      Der König