Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027238149
Скачать книгу

      »Unten bei Becker.«

      Gisbert ging die Treppe hinunter.

      Der Domherr stand noch einen Augenblick sinnend.

      Die Frau Assessor Friedrichs kam die Treppe herauf.

      Der Domherr hatte gefunden, was sein Sinnen suchte.

      »Ah, Karoline, Du kommst wie gerufen.«

      »Das freut mich, Onkel Florens! Was wünschest Du?«

      »Dein Mann wird heute in Ovelgönne sein?«

      »Um mich zurückzuholen.«

      »Lass’ ihn hierher kommen. Ich bedarf seiner.«

      Die junge Frau sah ihn fragend an.

      »Ich muss wohl aufrichtig sein, Karoline. Er soll dem Herrn Becker sekundieren.«

      »Also es kommt zu dem Duell?«

      »Hm, Du weißt davon?«

      »Die Beleidigung, nein, die Beschimpfung fiel ja in Gegenwart Henriettens vor!«

      »Und sie erzählte Dir davon?«

      »Gewiss.«

      »Und was meinte sie von dem Duelle?«

      »Höre, Onkel Florens, die Liebe macht auch in uns Frauen die Ehre mächtig.«

      »Gut. Also Dein Mann wird kommen?«

      »Er wird. Ich werde ihm auf der Stelle einen Boten schicken. Vielleicht, da er mich nicht zu Hause findet, ist er auch schon auf dem Wege hierher. Aber eine Frage, Onkel. Warum sekundiert Gisbert nicht?«

      »Nun, weil er sich selbst mit dem Grafen Thalhausen schlagen wird.«

      »Weiß Gisbertine es?«

      »Nein! Und ich bin noch nicht mit mir im Klaren darüber, ob sie es wissen soll.«

      Sie trennten sich.

      Der Domherr ging in einen andern Korridor, klopfte an eine Tür, trat in ein Zimmer. Es war das Zimmer des Generals von Steinau.

      Der alte stramme Herr lag auf dem Sofa, hatte seinen Morgenkaffee auf einem Tische neben sich stehen, blies aus seinem alten Soldatenstummel Wolken, die die Stube zu verfinstern drohten, und sah ihnen nach, wie sie zur Decke hinaufstiegen. Das war seine Beschäftigung.

      »Vetter Steinau«, fragte ihn der Domherr, »machen wir eine kleine Promenade in den Garten? Der Morgen ist so schön.«

      »Und man bekommt in der freien Luft bessern Appetit zum Mittagessen«, sagte der General.

      Er erhob sich.

      Sie gingen in den Garten.

      In dem Garten saßen die vier Kavallerieoffiziere noch beisammen. Sie waren sehr still. Die Begegnungen des Grafen Thalhausen zuerst mit dem Kellner, der zum Offizier geworden war, und dann mit dem Freiherrn von Aschen beschäftigten sie noch.

      Als der General von Steinau sie sah, wurde er etwas verlegen. Die Offiziere waren in Uniform; auch er war es. Da durften sie ihn nicht ignorieren, sie mussten sich ihm vorstellen, sich bei ihm melden, wie es heißt. Aber er konnte nicht mehr zurück. Der Domherr hatte ihn wohl absichtlich in die Nähe der Herren geführt.

      Die Offiziere kannten den General.

      Sie standen auf, zu ihm zu gehen.

      Der General ging ihnen höflich entgegen.

      Sie meldeten sich bei Seiner Exzellenz.

      »Vetter Steinau«, sagte der Domherr, »wollen Sie mir nicht die Ehre erweisen, mich den Herren vor zustellen?«

      »Mein Vetter, Domherr Freiherr von Aschen«, stellte der General den Domherrn vor.

      Den Offizieren wurden die Gesichter etwas lang und leserlich zugleich.

      »Teufel, dieser Domherr ist der Oheim des jungen Freiherrn von Aschen, der vor einer Viertelstunde hier war, und dieser junge Freiherr ist mit dem General noch näher liiert!«

      »Hm, lieber Vetter Steinau«, sagte der Domherr, »es wird Ihnen Freude machen, zwischen Ihren Herren Kameraden Platz zu nehmen.«

      »Exzellenz würden uns eine große Ehre erweisen«, mussten die Offiziere sagen.

      Ihre Gesichter mussten eine andere Lesart verbergen: »Hole der Teufel den verdammten Pfaffen!«

      Der General konnte die Einladung nicht ausschlagen.

      Er setzte sich mit dem Domherrn an den Tisch der Offiziere.

      »Die Herren kommen von Hofgeismar hierher?« fragte der General.

      »Zu Befehl, Exzellenz.«

      »Werden Exzellenz ebenfalls das Bad besuchen?«

      »Ich werde mich vorher noch einige Tage hier aufhalten.«

      »Es ist hier so wunderbar reizend, Exzellenz —«

      »Ja«, sagte der General.

      »Wir führen auch eine teure Kranke bei uns«, sagte der Domherr, »deren Zustand sich plötzlich so sehr verschlimmert hat, dass wir einen gezwungenen Aufenthalt hier nehmen mussten.«

      »Eine teure Anverwandte, Exzellenz?« fragte der Herr von Homberg, der alles wissen musste.

      Der General wurde rot. Er wollte dem Domherrn einen zornigen Blick zuwerfen; er durfte nicht noch mehr seine Verlegenheit verraten.

      Einer Antwort, nach der er suchte, kam der Domherr zuvor.

      »Keine Anverwandte«, sagte er, »aber die Gattin eines braven Offiziers, der unter dem Herrn General gedient hat.«

      Da keine weitere Auskunft erfolgte, durfte der Herr von Homberg nicht weiter fragen.

      Der Domherr aber hatte eine Frage an den General.

      »Vetter Steinau, wer brachte Ihnen heute Morgen Ihren Kaffee?«

      »Der Kellner. Louis heißt er, wie ich glaube.«

      »Ist Ihnen an dem jungen Mann nichts aufgefallen?«

      »Er ist ein hübscher, gewandter Mensch. Er hat mir gefallen.«

      »Wissen Sie, wie er zum Kellner geworden ist?«

      »Wieso, Vetter Aschen?«

      »Er war Offizier.«

      »Offizier?«

      »Er ist es noch.«

      »Vetter Aschen!«

      »Er ist auch Ritter des Eisernen Kreuzes.«

      Der General fuhr auf, als ob ihn eine Wespe gestochen habe.

      »Er wäre also preußischer Offizier?«

      »Vetter Steinau, erinnern Sie sich eines Freiwilligen Becker, den der alte Blücher auf dem Schlachtfelde von Ligny zum Offizier ernannte? Der junge Mann hatte ein ganzes Bataillon vom unvermeidlichen Untergange gerettet.«

      »Vetter Aschen, was soll das? Jener Offizier ist doch nicht —«

      »Antworten Sie mir, Vetter Steinau, wenn ich bitten darf. Erinnern Sie sich jener Tat?«

      »Ja, ja.«

      »Und hätten auch Sie, wenn Sie der General des jungen Freiwilligen oder Unteroffiziers gewesen wären, ihn zum Offizier gemacht?«

      »Auf der Stelle. Es war eine Tat des Mutes und der Ehre, die nicht geringer belohnt werden konnte. So sah es auch die ganze Armee an.«

      »Der Kellner Louis ist jener Offizier.«

      Der General fiel, knickte zusammen. Das Gesicht wurde ihm leichenblass; die Augen starrten wie verglast; die Arme hingen ihm schlaff herunter. Er saß da wie ein gebrochener Mann.

      »Ein so braver Offizier und — Kellner! Wenn das der König wüsste!«

      »Der