Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027238149
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hatte, immer weiter und kühner unter die benachbarten Christen, und raubte und mordete, und hatte des Abentheuers bald vergessen. Mit Hermann aber war seit diesem Tage eine völlige Umänderung seines ganzen Wesens vorgegangen. Er nahm bald nur wenigen Antheil mehr an den Zügen und Grausamkeiten seines Vaters, und nur mit offenbarem Widerwillen. Am liebsten blieb er einsam auf der Burg, und schweifte dann Tagelang in den Bergen und Wäldern umher. Dabei wurde der sonst so fröhliche Jüngling mit jedem Tage stiller und ernster, und sein kräftiger blühender Körper verfiel sichtbar und welkte dahin, wie eine abgebrochene Blume. Anfangs fielen die Veränderungen dem alten Wolff Lutz nicht auf; bald aber bemerkte er sie, und erschrak heftig als er den so schnell und so plötzlich bleich und kraftlos gewordenen Jüngling sah. Sollte er auch ihn verlieren, den er allein noch liebte auf der ganzen Erde? Er fragte zärtlich, was ihm fehle; aber der Knabe versicherte, er wisse es selbst nicht, er müsse wohl sehr krank seyn.

      Wolff Lutz warf einen dunkeln Blick des Vorwurfs zum Himmel empor. Ist das Euer Segen, Ihr Götter? rief er. Liebt Ihr soden Sterblichen? Dankt Ihr so für treue Dienste?

      Aber bald unterwarf er sich wieder dem Willen der Ewigen, und flehete zu ihnen um das Leben des Söhnleins, und versprach ihnen größere Opfer an Christen zum Lohne. Er wurde jetzt kühner als je, und grausamer. Fast kein Tag verging, wo er nicht Christen schlachtete, um die Götter sich zu verpflichten, und des Sohnes Leben von ihnen zu erhalten. Allein der Knabe welkte immer mehr dem Grabe entgegen.

      Es war ein warmer, schöner Sommertag im Jahre achthundert der Erlösung, als der Räuber Lutz mit seinen Gesellen von einem Zuge zurückkehrte, den er weit in die Gegend hinein, bis fast an den Rheinstrom, gegen die Christen unternommen hatte. Eine ungeheure Menge Unschuldiger waren von den Unmenschen den heidnischen Göttern geopfert worden; reich mit Beute beladen kehrten sie auf die rothe Burg heim. Sie kamen mit dem letzten Strahle der Abendsonne hier an, durch jauchendes Geheul den daheimgebliebenen Räubern ihre Rückkehr ankündigend. Am fröhlichsten war Wolff Lutz selbst. Die Götter müssen mir gnädig seyn! rief er; haben sie noch einen Diener wie mich?

      Da sah er seinen kranken Sohn, der langsam auf dem Burghofe ihm entgegenschlich, mit glanzlosen Augen, bleichen Wangen, fast mehr wie ein dem Grabe Angehörender, als wie ein Lebender aussehend; und schnell entschwand die Freude des Räubers. Furchtbare Götter! rief er aus; Was habe ich verbrochen, daß Ihr mich also straft? daß Ihr mir alles nehmt?

      Er überließ die Beute den Knechten und ging still, mit tiefem finstern Sinnen in die Burg und in sein Gemach. Lange saß er hier einsam, in trüben Gedanken verloren. Als er aber den Mond hoch am Himmelsgewölbe stehen sah, sprang er plötzlich auf, verließ das Gemach und die Burg, und schritt schweigend und langsam den Berg hinunter, in die mondhelle Nacht hinein. Er schlug sich links in den Eichenwald, ging dann nach Westen hin, immer den Abhang des Berges hinab, bis er an ein enges, dunkles Thal kam, in welches kein Strahl des Mondes drang. Lange schritt er immer tiefer in dieses hinein, und folgte seinen mannigfaltigen Windungen. Auf einmal kam er an eine Stelle, auf die, wie durch eine Spalte des gegenüber liegenden Berges, fast wundersam der Mond schien. Es war ein schmaler Streifen Rasen, auf dem uralte, dicke Eichen standen; mitten zwischen diesen erhob sich, seltsam von dem bleichen Monde beleuchtet, ein hoher, runder Thurm von grauen Steinen.

      Lutz stand hier still, und schaute, wie mit sich selbst streitend, den hohen, grauen Thurm an. Kein Laut ließ sich in der stillen Nacht vernehmen. Kein Leben regte sich in der ganzen Natur um ihn her; es war, als wenn alles hier todt sey; selbst die mit Laub bedeckten, von keinem Winde bewegten Bäume, schienen in dem ungewissen Mondlichte nur ein fabelhaftes, geisterähnliches Daseyn zu haben.

      Auf einmal öffnete sich eine niedrige Thür an dem Thurme, und ein hohes Weib schritt in langen, weiten Kleidern daraus hervor. Es war die Drude. Langsam trat sie in die warme, helle Nacht hinaus; lange sah sie sich schweigend nach allen Seiten um; dann ging sie zu einer hohen Eiche, an deren Stamm den Göttern ein Altar von riesigen Steinen errichtet war. An diesem blieb sie stehen, und breitete eine Rolle darauf aus, die sie mitgebracht hatte. Darin las sie eine Zeitlang, bis sie auf einmal rasch ihr tiefgefurchtes Gesicht zu der vollen Mondesscheibe emporrichtete. Sie blickte starr und unverwandt in dieselbe; aber plötzlich senkte sie Gesicht und Augen und verbarg jenes mit ihrem Gewande, das sie mit beyden Händen davor hielt. So stand sie lange Zeit ohne Bewegung, anzusehen wie eine furchtbare Bildsäule. Auf einmal aber warf sie das verhüllende Gewand vom Antlitze fort, schaute eine Minute lang klar zum Monde empor, hob dann beide Arme hoch in die Höhe, und beschrieb mit denselben wunderbare Zeichen in die Luft hinaus.

      Wehe! Wehe! rief sie dann mit hohler, lauter, an den Bergen ringsum widerhallender Stimme; Wehe! die Götter sind furchtbar! Verderben dem Sterblichen, der sie erzürnt! Tod dem Verräther, der ihnen falsch schwört.

      Wolff Lutz hatte schweigend und ohne sich zu regen seine Stelle bewahrt, er hatte mit sich gekämpft, ob er sich der Drude nahen solle, aber ehrerbietig war er stehen geblieben, als er sie dem Altare sich nahen, und in unmittelbare Unterredung mit den Göttern treten sah. Auch jetzt wagte er nicht näher zu gehen; er stand fest und unbeweglich, und nur der Weheruf der Seherin trieb ihm das Haar auf der Scheitel empor. Aber das Weib wandte sich plötzlich zu ihm um, sah ihn einen Augenblick lang mit durchdringenden Blicken an, daß er am ganzen Körper erbebte, und redete ihn dann mit ihrer hohlen, drohenden Stimme an. Wolff Lutz! rief sie strenge; was führt dich zu den Göttern, und in das Heiligthum ihrer Priesterin?

      Der Räuber wagte es nicht ihr näher zu treten. Er verbeugte sich tief und antwortete ihr in ehrfurchtsvollem, fast demüthigem Tone. Hohe Drude! sprach er; mein Söhnlein erkrankt und welkt dem bleichen Tode entgegen. Wodurch habe ich die Götter beleidigt, daß sie ihn mir nehmen wollen? Wodurch kann ich sie versöhnen, daß sie ihn mir wieder schenken? –

      Die Züge der Drude wurden ernster, strenger, ihre Augen rollten zornfunkelnd in den großen, dunkeln Höhlen. Wehe dir und deiner Brut! rief sie. Verderben dem, der die Götter erzürnt!

      Wehe ihm? fragte Lutz. Drude, bin ich nicht der treueste Diener der Unsterblichen? Schlachte ich ihnen nicht täglich Opfer? Und dennoch bringen sie dunkles Weh über mich?

      Wehe dem Verräther! fuhr die Drude fort, der den Göttern falsch schwört! – Wolff Lutz! rief sie dann: Du schwurst den Göttern jeglichen Christen zum Opfer; schamlos hast du dein Wort gebrochen. Du hast Christen am Leben gelassen, und den Ewigen ein Opfer entrissen, das ihnen gehörte. Die Götter wollen dein Verderben dafür, Sie haben das Herz deines Sohnes verstrickt, daß es in thörigter, qualvoller Liebe zu jener Christendirne, die du verschontest, sich abzehren muß! – Wehe, wehe dir und deiner Brut! rief sie noch einmal lauter, mit fast kreischender, furchtbarer Stimme, verhüllte das Gesicht mit ihrem weiten Gewande und stürzte schnell in ihren Thurm zurück.

      Wolff Lutz stand wie zernichtet. Sprachlos starrte er lange auf die leere Stelle, wo sie gestanden hatte; dann blickte er nach dem Thurme, der schnell wieder verschlossen war. Hohe Drude, rief er mit bittender Stimme, kehre zurück, und verkünde mir, womit ich die furchtbaren Götter versöhnen kann!

      Aber das Weib kehrte nicht zurück, und gab ihm auch keine Antwort. Mehrmalen wiederholte Lutz seine Bitte, doch vergeblich. Sie schwieg hartnäckig, und zuletzt hörte er sie einen lauten, klagenden Gesang anstimmen, um den Zorn der Götter von sich abzuwenden. Da kehrte der unglückliche Vater trauernd und fast verzweifelnd auf seine Burg zurück. Allein je näher er dieser kam, desto fester wurde ein furchtbarer Entschluß in ihm, der, durch ein entsetzliches Opfer die Ewigen zu versöhnen.

      Er weckte alle seine Mannen aus dem tiefen Schlafe, der sie bereits umfing, und befahl ihnen sich zum sofortigen Aufbruche bereit zu halten. Dann ging er in das Schlafgemach seines Sohnes, welcher schlaflos auf seinem Lager lag, und mit stillen Thränen in den Mond schauete, der so freundlich und doch vielleicht zum letzten Male sein Antlitz beleuchten sollte.

      Ohne Zorn trat Wolff Lutz zu dem geliebten Sohne. Herrmann, sprach er, erhebe dich und folge mir, ein Roß wird draußen dich aufnehmen, um dich weiter zu tragen.

      Und wohin, Vater? fragte der kranke Jüngling.

      Wolff Lutz bedachte sich einen Augenblick. Höre, Knabe, antwortete er dann entschlossen; wir gehen zu einem ernsten Zuge. Ich habe die Drude befragt, was