Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027238149
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      Er schritt zu der Tür des Zimmers, in dem die Kranke sich mit dem Manne befand, den er verhaften wollte.

      »Einen Augenblick«, sagte der Domherr. »Kein Mord! Ich rufe Ihnen den Herrn Mahlberg heraus.«

      Aber dem Herrn von Schilden war schon ein anderer entgegengetreten.

      »Drei Worte, Herr Geheimrat!« sagte der fremde Arzt.

      Der Herr von Schilden blickte auf. Er stutzte. Er hatte den Fremden bisher wohl nicht genau betrachtet.

      Er sah auf einmal ein Gesicht, das ihm bekannt schien, aber auch nur schien.

      »Was wünschen Sie?« fragte er zweifelhaft.

      »Darf ich bitten?«

      Der Arzt nahm den Arm des Geheimrats, führte ihn auf die Seite und sagte ihm leise einige Worte ins Ohr.

      Der Herr von Schilden erblasste noch einmal, verbeugte sich tief vor dem Arzte, gab seinen Gendarmen einen Wink und entfernte sich mit ihnen.

      Der Domherr sah den Arzt lächelnd an.

      »Herr Geheimrat, darf ich mir eine Frage erlauben?«

      »Gewiss, Herr Domherr.«

      »Sie sprachen mehr als drei Worte zu jenem Herrn. Und wenn ich nicht irre, so waren es dreimal drei und noch eins, und sie lauteten: Ich bin der Leibarzt des Königs, auf seinen Befehl hier. War es so?«

      Der Arzt lächelte ebenfalls.

      Das hieß: es war so.

      »Wohlan«, fuhr der Domherr fort, »so haben Sie die Güte, Seiner Majestät meinen respektvollsten Dank zu vermelden, und Sie, Herr Geheimrat, empfangen meinen herzlichsten Dank.«

      »Und warum«, fragte der Arzt, »dem Könige nur Ihren respektvollsten Dank? Der König hat ein braves Herz—«

      »Als Mensch gewiss. Aber ein König soll, darf kein Herz haben.«

      »Sie haben ein Vorurteil gegen die Könige.«

      »Es wäre möglich. Aber sagen wir lieber: gegen die Königreiche. Ich bin ein alter Republikaner.«

      »Hm, Herr Domherr, wenn der König nun als Mensch der Kranken meine Hilfe geschickt hätte?«

      »Ja, ja«, sagte der Domherr. »Aber das meine ich eben, Könige dürfen keine Menschen sein.«

      »Also kein Herz haben?« —

      »Nein, mein verehrter Herr. Auf dem Throne darf nur das Recht sitzen, und das Recht darf kein Herz haben. Ein Herz ist heute gut, morgen schlecht.«

      »Mein König hat nur ein gutes Herz.«

      »Nun, so sagen Sie ihm meinen herzlichen Dank, ja, ja, meinen allerherzlichsten. Ohne den König hätten Sie wohl von der Schwerkranken nichts erfahren, und — der junge Arzt dort ist gewiss ein ganz tüchtiger werdender Arzt — Sie haben ebenso wohlwollend wie fein ihm über seine Behandlung der Kranken Ihr Kompliment gemacht; aber ohne Ihre Hilfe trügen wir vielleicht morgen eine Leiche zu ihrem Grabe in fremder Erde, und ich wäre ein Mörder geworden. Ja, mein Herr, sehen Sie mich nur darauf an. Ich hatte mich vermessen, mehr als ein König sein, dem lieben Gott selbst in das Handwerk pfuschen zu wollen, und das konnte, durfte fast nicht gut gehen. Da hat der liebe Gott es doch zum Besten gewandt, durch — hm, wir find ja alle Werkzeuge in seiner Hand, die Könige, die Ärzte, die Domherren, wir sind ja alle Menschen. Leben Sie wohl, mein sehr verehrter Herr.«

      Der Leibarzt des Königs ging kopfschüttelnd.

      Zu dem Domherrn trat sein Neffe Gisbert.

      »Ah, Gisbert, Du warst bei dem Grafen Thalhausen?«

      »Und bei seinen Kameraden.«

      »Erzähle.«

      Der junge Freiherr erzählte.

      Er war in den Garten zu den Offizieren gegangen.

      »Habe ich die Ehre, den Herrn Grafen Thalhausen hier zu sehen?«

      »Wen habe ich die Ehre?« fragte der Graf Thalhausen.

      Er sagte es leichthin, vornehm, ohne aufzustehen.

      Gisbert war in einfacher Reisekleidung.

      »Freiherr von Aschen«, antwortete Gisbert ebenso vornehm.

      Mit dem Baron fängt der Mensch an, sagte einmal ein österreichischer Graf.

      Der Graf Thalhausen wurde höflicher; er stand auf.

      »Worin kann ich Ihnen dienen, Herr Baron?«

      Gisbert wurde umso kälter, frostiger.

      »Ich komme im Auftrage eines Herrn Becker zu Ihnen, Herr Graf.«

      Der Kälte des Freiherrn gegenüber wollte sich auch der Graf nichts vergeben.

      »Ich habe nicht die Ehre, einen Herrn Becker zu kennen.«

      »Aber den Kellner Louis hier kennen Sie.«

      »Herr Freiherr —«

      »Dieser Kellner Louis ist der Herr Becker, in dessen Auftrage ich zu Ihnen komme. Sie haben ihn beleidigt, Herr Graf —«

      »Mein Herr Baron, ein Graf Thalhausen beleidigt keine Kellner; er lässt sich von ihnen bedienen«

      »Herr Graf, der Herr Louis Becker ist Offizier in der preußischen Armee, in der auch Sie und ich die Ehre haben zu dienen. Er ist mir zugleich ein lieber Freund.«

      »Und was soll das alles, Herr Baron?«

      »Das soll, Herr Graf, Ihnen einfach erklären, warum ich in seinem Namen zu Ihnen mit dem Ersuchen komme, die Beleidigung, die Sie dem Kellner Louis zufügten, nunmehr, da es Ihnen bekannt wurde, dass er der Lieutenant Becker ist, zurückzunehmen —«

      »Ich bedaure, Herr Baron!«

      »Oder — Sie hatten nicht die Güte, mich aussprechen zu lassen — die Erklärung abzugeben, dass Sie wenn Sie den Offizierscharakter des Lieutenants Becker gekannt hätten, sich keine Beleidigung gegen ihn würden herausgenommen haben.«

      »Ich bedaure, Herr Baron, dass auch das nicht geschehen wird.«

      »Herr Graf, Sie wiederholen mit den Worten Ihre Beleidigung.«

      »Gegen wen, Herr Baron?«

      »Gegen einen Ehrenmann!«

      »Sie meinen einen Mann von Ehre?«

      »Gegen einen Offizier des Königs denn, wenn Ihnen der mehr gilt als ein Ehrenmann!«

      »Herr Baron, ein Offizier des Königs trägt keine Kellnerjacke, und trägt er sie, so ist er kein Offizier des Königs mehr. Hatten Sie mir noch etwas zu sagen?«

      »O ja, mein Herr! Dass ich Sie für feig halte, bis Sie dem Lieutenant Becker Genugtuung gegeben haben. Meinen Namen wissen Sie. Ich wohne in dem Hause dort.«

      Gisbert von Aschen grüßte die andern Offiziere, kehrte in das Wirtshaus zurück, suchte seinen Oheim auf und teilte ihm das Geschehene mit.

      »Gisbert, Du warst nicht ehrlich«, sagte der Domherr.

      »Gegen wen nicht, Onkel?«

      »Gegen Deinen Freund Becker. Du suchtest für Dich Streit mit dem Grafen.«

      »Er provozierte mich.«

      »Und wie soll nun Dein Freund Satisfaktion bekommen?«

      Der Neffe hatte darauf allerdings keine Antwort.

      »Jugendeifer!« zuckte der Domherr die Achseln. »Aber lass’ mich machen. Willst Du vielleicht jetzt zu Deiner Frau gehen? Sie ist da drinnen.«

      Sie standen in dem Gange, an dem das Zimmer der Kranken lag. Der Domherr zeigte nach dem Zimmer.

      »Jetzt auf keinen Fall«, sagte Gisbert.

      »Hm,