Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027238149
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belügt nicht sich und nicht andere, wenn er es ausspricht, er müsse, er wolle sterben.

      Zeigt ihm die Hoffnung des Lebens, er greift doch wieder nach ihr.

      Mahlberg sah den Strahl der Hoffnung in den Augen der Kranken.

      Wie neues Leben ergoss es sich in seine eigene Brust.

      »Du willigst ein, Agathe?«

      »Fragt den Herrn Doktor.«

      »Ich hole den fremden Arzt selbst herbei«, war der Doktor schon auf dem Wege.

      Eine schwere Bürde wurde von ihm genommen.

      Aber der Domherr kam ihm zuvor.

      Er öffnete die Tür.

      Der fremde Arzt stand da und trat ein.

      »Herr Geheimrat! Mein verehrter Lehrer!« verbeugte der junge Doktor sich tief vor dem fremden Arzte.

      Aber dieser gab ihm einen Wink und sagte freundlich:

      »Ich bin erfreut, so unvermutet einen ausgezeichneten lieben Schüler hier wiederzufinden.«

      Dann setzte er sich bei der Kranken nieder.

      Der junge Arzt musste ihm an das Bett folgen.

      Der Geheimrat untersuchte die Kranke und befragte den jungen Arzt.

      Der Domherr stand kombinierend am Fenster. Der fremde Arzt, der das klare, sichere, ruhige Wesen hatte, ein Geheimrat und ein von seinen Schülern hoch verehrter Lehrer war — der vornehme ältere Herr, den er vorhin in der Laube gesehen, der mit zwei andern Herren gekommen war — gehörte der Geheimrat zu diesen andern Herren? Wer war der Fremde in der Laube?

      Der Geheimrat war mit seiner Untersuchung zu Ende.

      »Mein lieber Kollege«, sagte er zu dem jungen Arzte, »ich wünsche Ihnen Glück zu Ihrer Behandlung dieses schwierigen Falls. Ich wüsste nicht, was ich anderes hätte vornehmen und anwenden können. Wollen wir jetzt nicht vielleicht noch Folgendes versuchen?«

      Er sprach weiter in den barbarischen, jedem Laien unverständlichen Ausdrücken des medizinischen Lateins.

      »Alle Wetter«, sagte sich der Domherr, »der ist nicht bloß ein großer Gelehrter und ein berühmter Arzt, er ist auch ein Hofmann, und der Herr in der Laube —«

      Er wurde in seiner weitern Betrachtung unterbrochen.

      Draußen im Gange wurden mehrere Schritte laut, schwer und fest, mit Geklirr von Sporen und von Waffen.

      »Ah, die kommen früh«, sagte sich der Domherr.

      Er blickte nach der Kranken. Sie schien das Geräusch draußen nicht gehört zu haben oder nicht zu beachten.

      Dem Herrn Mahlberg gab er einen Wink, sich völlig ruhig zu verhalten.

      Dann verließ er das Zimmer.

      In dem Gange standen der hessische Wachtmeister und ein Gendarm.

      »Suchen Sie jemand?« fragte der Domherr sie.

      »Ja, mein Herr!«

      Der hessische Wachtmeister antwortete es. Er war ein höflicher Mann.

      »Darf ich fragen, wen?«

      Eine Antwort auf die Frage war nach der Ordre des Wachtmeisters wohl nicht gestattet. Er sah sich um nach der Treppe, als wenn noch jemand heraufkommen müsse, der die Frage beantworten werde.

      »Ah«, sagte der Domherr erratend.

      Er blickte ebenfalls nach der Treppe. Es kam niemand.

      »Aber wo Sie suchen wollen, das dürfen Sie mir sagen?« wandte er sich wieder an den Wachtmeister. »In diesem Zimmer, aus dem ich kam?«

      »Ja, mein Herr.«

      Der Domherr öffnete die Tür des Zimmers.

      »Herr Geheimrat«, sprach er hinein, »dürfte ich Sie auf ein paar Worte bitten?«

      Der fremde Arzt trat heraus.

      »Herr Geheimrat«, fragte der Domherr, »ist die Kranke zu retten?«

      »Ich habe Hoffnung.«

      »Verhehlen Sie mir nichts!«

      »Ich habe eine begründete und starke Hoffnung.«

      »Erlauben Sie mir dann eine andere Frage. Würde der Kranken eine heftige Gemütsbewegung schädlich sein?«

      »Sie könnte, nein, sie würde höchstwahrscheinlich, fast unzweifelhaft ihren Tod herbeiführen.«

      Der Domherr wandte sich wieder an den Wachtmeister.

      »Herr Wachtmeister, lassen Sie den Herrn Geheimrat von Schilden heraufbitten.«

      »Den Herrn von Schilden?« fragte der Arzt verwundert.

      »Die beiden Herren hier stehen unter seinem Befehle«, sagte der Domherr.

      Der Wachtmeister wollte die Treppe hinuntergehen.

      Der Herr von Schilden kam ihm schon entgegen. Ob er unten gestanden und gewartet und gehorcht hatte?

      Der Domherr trat ihm entgegen.

      »Mein Herr von Schilden, Sie wollen hier Ihren ehemaligen Freund und Kollegen, den Herrn Mahlberg verhaften?«

      Der Herr von Schilden sah den Domherrn vornehm an.

      »Mein Herr, ich bin nicht hessischer Beamter und wir sind hier in Hessen. Sie müssen mit Ihrer Frage sich an diesen Herrn wenden.«

      Er zeigte auf den Wachtmeister.

      »Hm, Herr Wachtmeister«, sagte der Domherr, »haben Sie einen schriftlichen Befehl, hier den Herrn Mahlberg oder sonst jemand zu verhaften?«

      Der Wachtmeister zeigte auf den Herrn von Schilden.

      »Ich habe nur den Befehl, den Anweisungen des Herrn Geheimrats zu folgen.«

      »Sie hören, mein Herr Geheimrat«, wandte der Domherr sich wieder an den Herrn von Schilden. »Ich wiederhole also meine Frage.«

      »Und welches Recht hätten Sie zu dieser Frage?« sagte der Herr von Schilden.

      »Das Recht der Menschlichkeit, mein Herr. Der Herr Mahlberg, den Sie suchen, ist in diesem Zimmer bei seiner Frau. Seine Frau liegt dort schwer krank. Eine Gemütsbewegung würde ihren Tod herbeiführen. Wollen Sie mit Ihren Gendarmen zu ihr eindringen, ihren Mann verhaften, sie töten?«

      Der Domherr sah mit seinen funkelnden Augen den Geheimrat der Polizei durchbohrend an.

      Der Herr von Schilden musste seine Augen niederschlagen. Aber er erhob sie wieder.

      »Sie haben es ja in Ihrer Macht, der Frau die Aufregung zu ersparen. Bringen Sie den Herrn Mahlberg mir heraus.«

      »Und wenn ich nun nein sagte, mein Herr von Schilden? Wenn ich im Gegenteil vorzöge, Ihre Frau Gemahlin, die da unten sitzt, mit dem Herrn Grafen Westernitz heraufzuholen, damit sie Zeugen seien, wie Sie, mein Herr, einer armen, unglücklichen Frau auch noch den Todesstoß geben, deren Unglück — soll ich fortfahren, Herr von Schilden?«

      Der Herr von Schilden war leichenblass geworden.

      »Elender!« sagte der Domherr.

      Er rief das Wort laut, dass alle es hörten. Ein Zorn der Sittlichkeit, der Ehre hatte ihn ergriffen, dem er nicht widerstehen konnte.

      Der Herr von Schilden zuckte zusammen.

      Der Domherr gewann seine Ruhe wieder; aber die Worte, die er darin weiter an den Herrn von Schilden richtete, waren umso schneidender.

      »Mein Herr, wenn Sie Genugtuung von mir verlangen — ich bin der Domherr Freiherr von Aschen. Ich verzichte auf mein Privilegium als Geistlicher; ich will vergessen, dass ich einem Manne gegenüberstehe, dem ein Ehrenmann jede Ehrengenugtuung verweigern könnte. Ich stehe Ihnen zu Diensten.«

      Die