Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027238149
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Mann werden.«

      Louis Becker kam.

      »Ich führe Sie unterdes nach oben zu dem Arzte«, sagte der Domherr zu Mahlberg.

      Die beiden entfernten sich.

      Becker erzählte dem jungen Freiherrn sein Renkontre mit dem Grafen Thalhausen.

      »Ich muss Genugtuung haben«, schloss er.

      »Und Du sollst sie haben. Ich gehe auf der Stelle zu dem Grafen.«

      »Und was wolltest Du ihm sagen, mein Freund?«

      Der Domherr war zurückgekehrt. Er fragte es seinen Neffen.

      »Der Graf soll sich mit mir schlagen.«

      »Nein, nein«, rief der Lieutenant Becker. »So war es nicht gemeint. Er soll sich mit mir schlagen.«

      »Und so ist es auch nicht gemeint«, sagte der Domherr. »Ich dachte wohl, dass Ihr beide dumme Streiche machen würdet; daher beeilte ich mich zurückzukommen. Das Duell ist eine Ehrensitte, unter Umständen eine Ehrenpflicht. Jede Sitte, jede Pflicht beruht auf Herkommen oder Konvention. So auch das Duell. Es besteht nur für Stände und Klassen, die sich gegenseitig in Beziehung auf Ehre als ebenbürtig, die sich als satisfaktionsfähig anerkennen. Daher schlug früher der Adel sich nur mit dem Adel. Die Zeit ist vorüber. Es gibt keinen Adelsstand mit Privilegien mehr, auch nicht mit Ehrenprivilegien. Der Adel mag nicht heruntergekommen sein, aber das Bürgertum ist heraufgekommen. Bildung, Erziehung, Glücksgüter, gesellige Talente sind jetzt bei beiden Ständen gleich; so haben beide Stände in der Gesellschaft sich verschmolzen, so müssten sie auch in Beziehung auf Ehre und Ehrenhaftigkeit sich gegenseitig anerkennen. Jener Unterschied zwischen Adel und Bürger ist also beseitigt. Aber nicht überhaupt, nicht allgemein, sondern eben nur so weit, als jene Bedingungen der Ausgleichung bestehen. Und sie bestehen nur beschränkt. Wie ein Adliger sich selbst nicht mit einem Adligen schlagen würde, der in irgendeiner Weise seiner Ehrenhaftigkeit sich entäußert hat, durch Bruch des Ehrenworts, durch Übernahme eines Bordells, durch anderes; wie der Student sich mit keinem Knoten duelliert, der Offizier nicht mit dem Juden, von dem er gegen Pfand oder Wucherzinsen geliehen hat, so — mein junger Freund, Sie dürfen es mir nicht übelnehmen, ich pflege immer die Wahrheit zu sagen, wo sie nötig ist, sollte sie auch dem, der sie hört, bitter sein — bitter dem Mund, ist dem Herzen gesund, nach einem alten Sprichwort— so schlägt sich auch kein Offizier und kein Student mit dem Kellner, der ihm aufwartet, der, wenn er zu einem ebenbürtigen Stande gehörte, sich selbst degradiert hat. Und das, mein junger Freund — Ruhig, Gisbert, ich weiß, was Du mir sagen willst — unser Freund hier habe jetzt die Kellnerjacke wieder ausgezogen, sei in diesem Augenblicke wieder Offizier, ebenso wohl wie der Graf Thalhausen. Nicht wahr, das wolltest Du sagen?«

      »Das wollte ich sagen, Onkel, und dabei, dass der Graf, wenn er jetzt erfährt, dass der von ihm Beleidigte Offizier war, die Beleidigung zurücknehmen oder sich schlagen muss.«

      »Und auch so bist Du noch im Unrecht, Freund Gisbert. Eine Beleidigung ist nur dann eine Duellbeleidigung, die durch einen Zweikampf gesühnt werden muss, wenn sie im Bewusstsein jener Ebenbürtigkeit zugefügt war, wenn wenigstens der Beleidiger es auf diese ankommen ließ. Das war hier nicht der Fall. Unser junger Freund hatte sich einmal, allerdings aus dem ehrenwertesten Motive, aus einem Motive, das ihm die erste Bürgerkrone der Welt einbringen sollte, aber er hatte sich einmal zum Kellner degradiert, und so wie alles, was er in seinem angenommenen Stande tat, nur der Kellner, nicht der Offizier tat, so traf auch alles, was ihm so geschah. nur den Kellner, und der Offizier kann nichts davon wissen, und der Graf Thalhausen kann und muss auf Deine Alternative antworten, und ich selbst würde Dir die Antwort geben: Ich kenne keinen Lieutenant Becker; ich habe nie mit einem solchen Herrn etwas zu schaffen gehabt, nur ein Wort gewechselt; will der Kellner Louis von mir beleidigt sein, so mag er gegen mich eine Injurienklage anstellen. Meine Logik gefällt Euch nicht?«

      »Sie überzeugt uns nicht.«

      »Weil sie Euch nicht gefällt!«

      »Wir sollen also für die freche Beleidigung, für die absichtliche Beschimpfung gar keine Genugtuung verlangen können?«

      »Für die empfangene nicht, aber für eine noch zu empfangende.«

      »Onkel Florens, ich verstehe Dich nicht.«

      »Höre mir zu. Bei der Beleidigung war ein Zeuge zugegen, ein Zeuge gar, dessen Gegenwart auch dem feigsten und ehrlosesten Lump das Blut der Scham und des Zorns in das Gesicht treibt, die Geliebte, die Braut. Unser Freund darf die Beschimpfung, die er in ihrer Gegenwart erlitt, nicht auf sich sitzen lassen, ohne vollständige Satisfaktion oder ohne Blut zu sehen. Nun ist meine Meinung, Du gehst zu dem Grafen Thalhausen, und sagst ihm einfach: Mein Herr, der Kellner Louis ist der Lieutenant Becker, Offizier des Königs wie Sie und Ritter vom Tapferkeitsorden, was Sie nicht sind. Sie haben den Kellner Louis heute beleidigt. Werden Sie mir jetzt die Erklärung geben, dass Sie, wenn Sie den Offizierscharakter des Herrn Becker gekannt hätten, sich keine beleidigende Äußerung gegen ihn würden erlaubt haben, und werden Sie ihn demnach nunmehr nach wie vor für einen ehrenwerten, Ihnen an Ehre gleichstehenden Kameraden halten? Sagt er ja, was wollt Ihr beiden mehr? Sagt er nein oder macht er Winkelzüge, so hat er dann den Lieutenant Becker beleidigt, und der Lieutenant Becker schlägt sich zuerst mit ihm, und käme ein Unglück über ihn und Du müsstest den Freund rächen, so — aber wenn wir beide auch denselben stolzen Namen eines alten edlen Geschlechts führen, ich gehöre zur Kirche. Habt Ihr noch Einwendungen, Ihr jungen Herren?«

      »Nein, Herr Domherr.«

      »Nein, Onkel Florens. Du triffst doch immer das Richtige.«

      »So gehabt Euch wohl. Doch noch eins. Dass Ihr die Sache nicht an die große Glocke schlagt, versteht sich von selbst. Gisbertine erfährt also auch nichts. Aber was sagt Henriette?«

      »Wir haben beide kein Wort weiter über die Sache gesprochen.«

      »Weil Ihr jedes wusstet, was zu tun sei, und Ihr Euch das Herz nicht schwer machen wolltet. Nun, ich werde mit dem braven Mädchen reden. — Aber alle Wetter«, rief der Domherr dann, »was gibt es denn da oben?«

      Da oben war das Zimmer der Kranken.

      Gisbert von Aschen verließ das Haus, um mit dem Grafen Thalhausen zu sprechen.

      Der Domherr stieg die Treppe hinauf, um zu sehen, was es sei, was er oben gehört hatte.

      In dem stillsten, von allem Geräusche entferntesten Zimmer des Hauses war das Krankenbett der verwundeten Frau Mahlberg aufgeschlagen.

      Die Kranke war sehr schwach; Blutverlust, Schmerzen, die Strapazen der Reise, Angst und Sorge, so manche andere plötzlich auflodernde, schnell wechselnde Gemütsbewegung hatten sie hart und schwer mitgenommen; sie lag da, fast wie eine Leiche. Sie war in jenem entsetzlichen Halbschlummer des Schwerkranken, in welchem dieser nur auf Momente der wohltätigen Bewusstlosigkeit des Schlafes genießt, um sogleich in das furchtbare Bewusstsein der träge dahinschleichenden, bleiern dünkenden Zeit mit ihrer Qual, mit ihrer Beängstigung, mit ihrer Hoffnungslosigkeit zurückgeworfen zu werden.

      Der Arzt saß fast angstvoll an ihrem Bette.

      Er war ein junger Mann. Er mochte auf der Universität etwas Tüchtiges gelernt haben, aber die Erfahrung fehlte ihm noch, mit ihr die Sicherheit, mit der Sicherheit die Ruhe. Erfahrung, Sicherheit und Ruhe machen zuletzt den Arzt. Er war klar und auf richtigem Wege gewesen, solange der Verlauf des Zustandes der Verwundeten ein normaler war, keine Schwierigkeiten und keine Besorgnisse bot. Als aber dann die plötzlich notwendig werdende weitere Flucht, die raschen und heftigen Aufregungen der Kranken ihren Zustand unerwartet und schwer verschlimmerten, war er umso mehr ratlos geworden, je mehr er sah, dass ein so vielen teures Leben in seine Hand gelegt war.

      Dem Arzte gegenüber saß Gisbertine, die schöne, launenhafte, widerspruchsvolle, widerspenstige Freifrau von Aschen. Sie hatte während der Nacht bei der Kranken gewacht, am Morgen ein paar Stunden geschlafen, dann sogleich wieder ihren Platz an dem Krankenbette eingenommen. Wie der Arzt angstvoll, so saß sie voll schwerer Sorge da. Sie war von der Nachtwache ermüdet; nur die Sorge gab ihrem Gesichte einen lebhafteren Ausdruck.