Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027238149
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Leben gesehen hatte. Sie war so echt weiblich schön; kein Zug von Launenhaftigkeit, von Widerspruch, von Trotz zeigte sich in dem feinen, edlen Gesichte, in dem man neben seiner Schönheit nur die Teilnahme und die Sorge sah.

      Wohl manche Sorge der Brust, des Herzens mochte sich darin spiegeln. Im Angesicht fremder Leiden, fremden Schmerzes erwacht doppelt der eigene Schmerz über Verlorenes, über Verfehltes, auch über Vorwürfe, die der Mensch sich selbst zu machen hat.

      Gisbertine und der Arzt waren allein bei der Kranken.

      Die Frau Assessor und ihre Wirtschafterin Henriette — beide waren schon dagewesen — hatten sich auf kurze Zeit entfernt, um unten in der Küche nach der Anweisung des Arztes selbst für die Kranke Zubereitungen zu treffen.

      Die Tür des Krankenzimmers öffnete sich leise. Die klugen Augen des Burschen Bernhard blickten hindurch.

      Er hatte etwas mitzuteilen. Der Arzt hatte ihn nicht sogleich gesehen, aber Gisbertine. Sie stand auf, ging zu dem Burschen hinaus, verschloss die Tür hinter sich.

      Alles geschah fast unhörbar.

      »Was bringst Du, Bernhard?«

      »Der Herr Mahlberg ist da und fragt, ob er hineinkommen darf.«

      »Ich werde den Arzt fragen.«

      Gisbertine wollte in das Zimmer zurückkehren.

      »Der Herr Baron ist auch da, gnädige Frau«, sagte der Bursche.

      Gisbertine erschrak.

      Sie war wohl noch nie erschrocken, wenn von ihrem Manne gesprochen wurde. Sie musste in besonderer Weise an ihn gedacht haben, auch an ihn, dass es heute der Fall war.

      »Hat er gesagt, dass er mit zu der Kranken wolle?« fragte sie.

      »Nein. Aber ich dachte es mir.«

      Gisbertine ging in das Zimmer.

      Sie winkte den Arzt vom Bette, damit die Kranke nicht hören solle, was sie ihm zu sagen habe.

      »Mahlberg ist da. Darf er hereinkommen?«

      Der Arzt besann sich.

      Die Kranke rief leise:

      »Frau von Aschen!«

      Gisbertine ging zu ihr.

      »Verstand ich Sie recht? Mein Mann ist da?«

      Gisbertine hatte doch nicht leise genug gesprochen.

      »Er ist da«, sagte Gisbertine.

      »Und er will zu mir?«

      »Ja.«

      »O lassen Sie ihn kommen.«

      Der Arzt war an das Bett zurückgetreten.

      »Würde es Sie nicht zu sehr anstrengen?« fragte er die Kranke.

      »Es wird mich beruhigen«, sagte sie.

      Der Arzt stand unschlüssig.

      Die Kranke bat Gisbertine durch eine Handbewegung, sich dicht zu ihr zu setzen.

      Dann sprach sie ihr in das Ohr:

      »Ich muss ihn sehen, sollte es auch mein Tod sein. O könnte ich in seinen Armen sterben!«

      »Geben Sie die Erlaubnis, Herr Doktor«, bat Gisbertine den Arzt.

      Er machte keine Schwierigkeit mehr.

      Er öffnete selbst die Tür.

      Mahlberg trat in das Zimmer.

      Aber er allein, der Freiherr von Aschen war nicht bei ihm.

      Gisbertine hatte sich verfärbt, als die Tür sich öffnete. Da sah sie Mahlberg allein. Sie biss nicht die Lippen zusammen, ihre Augen sprühten keinen Zorn.

      Der Schmerz umspielte den leise zuckenden Mund.

      Sie verhob sich, um Mahlberg ihren Platz an dem Bette einzuräumen.

      Die Kranke durfte, konnte sich nicht bewegen. Nur mit ihren Augen konnte sie dem Gatten begegnen. Sie waren so krankhaft groß, aber das Lächeln, der Glanz einer überirdischen Seligkeit leuchtete darin. So blickte sie den Gatten an.

      Er hatte ihre Hand gefasst; sie war so mager, so lang, er wagte kaum sie zu berühren; nur seine Lippen drückte er darauf.

      Der Arzt und Gisbertine hatten sich an das Fenster zurückgezogen.

      »Wie danke ich Dir, Hermann!« sagte die Kranke.

      Es war die Seligkeit des Dankes gegen ihn, gegen den Himmel, die in ihren Augen glänzte.

      Die Augen des Mannes wurden feucht.

      »Ich danke Dir ja alles, Agathe«, sagte er. »Mein ganzes Leben soll nur der Dankbarkeit gegen Dich gewidmet sein.«

      Ihr Blick wurde trüber.

      »Meinem Andenken, Hermann. Ich sterbe.«

      »Nein, nein! Uns muss das Glück blühen, das Glück des Lebens, der Liebe!«

      »Ich hatte es mir auch gedacht«, flüsterte die Frau. »Ich hatte gewagt zu hoffen, wir könnten wieder zusammenleben, ich könne durch das Einsetzen meines Lebens für Dich Deine Liebe, unser Glück wiedergewinnen. Es war ein Wahn. Die Ehe ist etwas gar zu Heiliges. Der Verrat entheiligt sie für immer. Ich muss sterben. Der Himmel fügt es besser, weiser. Ich danke ihm. Ich danke ihm doppelt, da er mir die Gnade gibt, dass Du mir verzeihst. dass ich, versöhnt mit ihm und mit Dir, in Deinen Armen sterben kann.«

      »Du wirst leben, Agathe«, wollte er ihr erwidern.

      Die Tür des Zimmers hatte sich geöffnet.

      Der Domherr war eingetreten.

      Dem Domherrn hatte sich unten im Hause ein Fremder genaht.

      »Mein Herr, ich erfahre, dass Sie mit einer Schwerkranken hier sind.«

      Dem Domherrn sagte sein erfahrener Blick, dass er einen Mann vor sich habe, dem er vertrauen dürfe.

      »Es ist so, mein Herr!«

      »Man sagt mir auch, dass Sie einen tüchtigen jungen Arzt bei sich haben, der aber bei der Bedenklichkeit des Falls selbst wünscht, einen zweiten Arzt zuziehen zu dürfen.«

      »Auch dem ist so, mein Herr.«

      »Darf ich Ihnen meine Dienste anbieten?«

      Der Domherr musste den Fremden doch noch einmal ansehen.

      Es war ein Mann etwa in der Mitte der vierziger Jahre. Sein einnehmendes Gesicht zeigte jenen klaren Geist und jenes ruhige Nachdenken, welche vereint zu der sichern Erkenntnis des Erkennbaren führen müssen. Dem entsprach auch die Ruhe und Sicherheit seines Benehmens, die Leichtigkeit seiner Bewegungen, der Mangel an allem, was nur irgendeine Anmaßung, ein Streben, sich geltend zu machen, an den Tag gelegt hätte; er gewann sich umso größeres und festeres Vertrauen.

      »Mein Herr«, sagte der Domherr, »ich nehme mit dem lebhaftesten Danke Ihr menschenfreundliches Anerbieten an. Sie werden mir nur erlauben, dass ich Sie vorher der Kranken und unserm Arzte ankündige.«

      »Ich hätte Sie darum gebeten, mein Herr.«

      Der Domherr ging in das Krankenzimmer.

      In seiner eigentümlichen Weise wandte er sich sofort .an die Kranke selbst.

      Er hatte ihre letzten Worte gehört.

      »Sie wollen sterben, meine liebe Frau«, sagte er zu ihr, »aber andere Leute wollen, dass Sie leben, selbst ein fremder Arzt, den ich eben unten im Hause traf. Sie müssen mir schon erlauben, dass ich ihn zu Ihnen führe, wäre es auch nur, um unserm braven Doktor hier die Beruhigung zu verschaffen, dass er alles., was in seinen Kräften stand, angewendet hat, um ein uns allen so teures Leben zu retten.«

      In den Augen der Kranken glänzte es doch wieder, und es war ein Strahl der Hoffnung, der in ihm leuchtete.

      Dem