Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027238149
Скачать книгу
Immer langsam voran, dass die österreichische Landwehr nachkommen kann!«

      »Sprecht nicht so laut! Die Österreicher waren unsere braven Kameraden!«

      »Bah! Wenn es einmal gegen sie geht, sind wir in vierzehn Tagen in Wien!«

      »In acht, Klasewitz!«

      Der Graf Thalhausen war aufgestanden.

      Er ging nach der Gegend, in der die Herren den Kellner Louis mit einem hübschen Mädchen hatten sprechen sehen.

      »Wenn der Thalhausen nur keinen dummen Streich macht! Er hat nun einmal etwas gegen den Kellner, und da kennt er keine Rücksichten.«

      »Viele Rücksichten kennt unser Graf Thalhausen überhaupt nicht.«

      Gehen wir dem Grafen, der in der Tat nicht viele Rücksichten zu kennen schien, einige Schritte voraus.

      Als der Kellner Louis in das Haus ging, die Schokolade für die vier Offiziere zu bestellen, hatte er in demselben Augenblicke ein freundliches Mädchen den Berg herunterkommen sehen, über den der Weg nach Ovelgönne in die Schlucht führte. Der Kellner war in kaum einer Minute wieder zurück; er wollte dem Mädchen entgegengehen.

      Sie winkte ihm schon von weitem, er solle bleiben; er stellte sich hinter einen Fliederstrauch, sie zu erwarten.

      Sie kam bald, aber nicht mit derselben Freude in dem hübschen Gesichte.

      »Steht es wirklich so schlecht mit der armen Frau?«

      »Der Arzt fürchtet alles.«

      »O Louis, wenn sie doch zu retten wäre! Sie hatte das Ende der schwersten Unglücks- und Leidenszeit erreicht. Sie hatte sich so heldenmütig das neue Glück erkämpft. Sie sollte nur das Grab erreichen? Man sagt es oft im Leben, wenn der Mensch sein ganzes Dichten und Trachten auf ein Ziel gerichtet habe, und wenn er nun unmittelbar vor diesem stehe, so habe er eben nur den Tod erreicht; man solle sich auf nichts freuen.«

      Sie sprach es so traurig.

      »Aber Henriette«, meinte der Kellner, »so dürften wir beide uns nicht auf unsere Vereinigung freuen.«

      »Dürfen wir, Louis? Ich wollte mich gestern Abend noch so recht freuen. Ich hatte eine Nachricht erhalten, eine wichtige Nachricht für uns — ich konnte die ganze Nacht nicht darüber schlafen. ich machte einen Plan nach dem andern. Ich wollte heute Nachmittag zu Dir herüber. Da kommt mit dem Anbruch des Tages der Bote des Domherrn und bringt die Schreckensnachricht von der armen Frau Mahlberg. Ich habe eine solche Angst seitdem — ich kann es Dir nicht sagen.«

      »Welche Nachricht hattest Du gestern Abend erhalten, Henriette?«

      »Der König kommt hierher.«

      »Wie käme der König hierher?«

      »Ich kann Dir auch das sagen. Der Inspektor von Ovelgönne war in Warburg gewesen. Da hatte er es gehört. Die großen Herren haben auch ihre Last und ihre Leiden. Die Schwester des Königs ist die Kurprinzessin. Der Kurprinz — er hat vor ein paar Jahren eine Mamsell aus Berlin mitgebracht, und seitdem geht er mit seiner Frau um, wie ein Mann nicht mit seiner Frau umgehen sollte. Neulich bei Tafel hat er sie sogar etwas sehr schlimm behandelt. In Kassel spricht man laut davon. Da hat nun die arme brave Frau an ihren Bruder, den König, geschrieben, und der König ist gekommen, um mit seinem Schwager ein ernstes Wort zu sprechen. Damit es aber nicht bekannt werde, hat er den Kurprinzen hierher zu der Sägemühle beschieden, die er noch von einem früheren Aufenthalte in Hofgeismar kennt. Die beiden Herren kommen hier ganz inkognito zusammen. Und darum, Louis, sprechen wir davon auch nicht weiter.«

      Auf einmal mussten sie aufblicken.

      »Was war das?«

      »Was.«

      »Dort in der Laube.«

      »Herr des Himmels!« rief der Kellner.

      »Was hast Du, Louis?«

      Schon bald nach der Ankunft des Mädchens war in der Laube, in deren Nähe das Paar hinter dem Fliederstrauche stand, eine leichte Bewegung laut geworden. Die beiden jungen Leute hatten sie nicht gehört. Sie hatten sich auch in dem Eifer ihres Gesprächs nicht umgesehen, und so war es ihnen entgangen, dass einer der beiden Herren in der Laube vorn im Eingange erschienen war.

      Es war nicht der kleinere, der bei dem Nahen der vier jungen Offiziere vorhin vorgetreten war, den andern durch seine Gestalt verdeckt und durch seinen kalten und vornehmen Blick die vier jungen Herren in die Flucht geschlagen hatte. Der große, stattliche, so einfache und doch so ganz besonders vornehme Herr stand da, schaute nach dem hübschen, so innig an fremdem Leide teilnehmenden Mädchen aus, und sein eigenes mildes und schwermütiges Gesicht zeigte nicht mindere Teilnahme für das Mädchen. Da hörte er, wie sie auf einmal von der Ankunft des Königs sprachen, und mit einer unwillkürlich raschen Bewegung war er im Innern der Laube verschwunden. Als das Mädchen das Geräusch hörte und sie dann beide nach der Laube blickten, sahen sie. nichts mehr von ihm.

      Dem Kellner war doch plötzlich ein Blitz durch den Kopf und ein Stich durch das Herz gefahren.

      »Herr des Himmels!« musste er ausrufen. »Was ich habe, Henriette?«

      Er zeigte nach der Laube.

      »Dort!«

      »Was ist dort?«

      Er wollte es ihr sagen.

      Er konnte nicht dazu kommen.

      Der Graf Thalhausen stand vor ihm.

      »He, mein Bursche, bedient man so seine Gäste? Im Augenblick marschiere Er auf seinen Posten und hole Er unsere Schokolade.«

      Der Graf sprach es laut, in seinem ganzen Übermut, mit dem vollen Hohn seines Übermuts.

      Der Kellner wurde kreideweiß. .Er machte eine heftige Bewegung; er wollte gegen den Grafen vortreten.

      Das Mädchen hielt ihn zurück.

      »Louis!« rief sie bittend.

      Der Graf hatte einen Augenblick überrascht gestanden.

      Das Drohende in den Gesichtszügen, in den Bewegungen des Kellners, eines Kellners, war ihm wohl unbegreiflich gewesen. Als er nicht mehr daran zweifeln konnte, erregte es seinen Zorn.

      »Flegel«, rief er, »Er untersteht sich, mir zu drohen?«

      Der Kellner hatte sich gefasst.

      »Mein Herr, Sie werden weiter von mir hören. Komm, Henriette!«

      Er hatte vollkommen ruhig gesprochen.

      Ebenso ruhig ging er mit dem Mädchen zu dem Hause.

      Der Offizier kehrte zu seinen Kameraden zurück.

      Auf dem Wege war er noch unter dem Eindrucke seiner Überraschung, aber einer zweiten über die letzten Worte und die sonderbare Ruhe des Kellners. Er war fast betreten. Bei den Freunden aber hatte er seinen Übermut wieder.

      »Der Bursche wird uns nicht wieder warten lassen. Dem habe ich einmal seinen Standpunkt klargemacht und in Gegenwart seines Schätzchens.«

      Dann wurde er doch wieder still.

      Die Herren mussten zwar auf ihre Schokolade nicht warten, aber der Kellner Louis brachte sie ihnen nicht, ein Knecht des Hauses kam damit.

      »Warum kommt der Louis nicht?« rief zwar der Graf. Der Knecht konnte nur antworten, dass er es nicht wisse.

      Aber da fragte der Herr von Homberg:

      »Thalhausen, was hast Du mit dem Louis gemacht?«

      Und der Graf wurde still und dachte nach.

      In der Laube, in der die beiden älteren Herren sich befanden, war unterdes Folgendes vorgefallen.

      Der große, stattliche Herr war rasch von dem Eingange in das Innere der Laube zurückgekehrt.

      »Hm, Witzleben, haben gehört?«

      »Zu