Fritz Wunderlich. Werner Pfister. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Werner Pfister
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783795786120
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hat Fritz damals kaum. Aber da war ein eiserner Zwang durch die Mutter. Sie bekam ja nur die 89 Reichsmark Rente, und ein paar Mark verdiente sie sich als Musiklehrerin am Gymnasium. Zuviel zum Sterben, zuwenig zum Leben. Also mußte ihr Sohn mithelfen, da gab es kein Pardon. Das gehörte zur Schule des Lebens. In Kusel galten sie so oder so nicht gerade viel. Musikanten waren sie und keine seriösen Künstler. Angestellte waren sie, Angeheuerte, die gegen Bezahlung aufzuspielen hatten und über die man nach Bedarf verfügen konnte. An der Festtafel aber hatten sie nichts zu suchen. Für sie gab es, wenn überhaupt, einen Musikertisch, draußen in der Diele oder in der Küche. Nach den herkömmlichen gesellschaftlichen Regeln gerechnet, standen sie im Abseits. Selbst ihre Wohnlage, das kleine Häuschen in der Holler-Siedlung, schien das zu bezeugen: außerhalb des Städtchens gelegen, an den Rand von Kusel gedrängt.

      Fritz schien das allmählich zu spüren, auch wenn er nie davon gesprochen hat. Im Gegenteil, gegen außen hin war er der unternehmungslustige, friedfertige Kumpel, stets für einen Streich zu haben und zu allen Schandtaten bereit, zuvorkommend aber auch, wenn man ihn um Rat fragte. Und stets voller Energie und Tatendrang. Ein sonniges Gemüt, darin war man sich einig. Daß es in seinem Innern anders aussehen könnte und zeitweilig auch ganz anders aussah, daß diese ansteckende Lustigkeit oft nur Fassade war, das alles ließ er keinen merken. Außen und innen hatte er früh schon trennen gelernt, und oft trennte er zu scharf, ließ dann von seinen wahren Gefühlen nichts nach außen strahlen. Selbstschutz war das und Angst wohl auch vor der eigenen Emotionalität. Denn gerade hier erkannte er sich als seinem Vater sehr eng verwandt. Das Vaterbild aber war zerstört in ihm, ist zweifellos auch zerstört worden durch das vielsagende Schweigen so mancher anderer. Keiner hat mit ihm über den Vater gesprochen; keiner hat ihm auseinandergesetzt, weshalb er ohne Vater aufwachsen mußte. Auch hier gilt, nach der herkömmlichen Moral gerechnet, daß Fritz Wunderlich weitgehend im sozialen Abseits aufwuchs, am Rand der sogenannten Gesellschaft.

      Unter all den aus dem Krieg Zurückkehrenden kam zumindest einer unerwartet nach Kusel. Joseph Maria Müller-Blattau hieß er, ein bekannter deutscher Musikwissenschaftler mit einer für die damaligen politischen Verhältnisse mustergültigen Vorzeigekarriere. Er stammte aus Colmar, studierte an den Universitäten von Straßburg und Freiburg i.Br., nahm Unterricht bei Hans Pfitzner, dem letzten aus der Gilde der deutsch-romantischen Komponisten des 19. Jahrhunderts, und promovierte 1920 in Freiburg bei Wilibald Gurlitt, dessen Assistent er anschließend wurde. 1922 habilitierte sich Müller-Blattau in Königsberg, am anderen Ende des großen Deutschen Reichs, und wirkte dort als Leiter des Instituts für Schul- und Kirchenmusik. 1935 übernahm er eine Professur an der Universität in Frankfurt am Main. Zwei Jahre später wurde sein ehemaliger Freiburger Lehrer Wilibald Gurlitt von den Nationalsozialisten seines Amtes enthoben, und Müller-Blattau übernahm dessen Nachfolge. Wie gesagt: eine der üblichen Karrieren – nur wertete man nach 1945 nach anderen Maßstäben. Müller-Blattau dürfte es als ein Gebot dieser neuen Zeit erachtet haben, sich vorerst nicht nach einem Lehrstuhl an einer der großen deutschen Universitäten umzusehen, sondern seine musikwissenschaftliche und pädagogische Tätigkeit irgendwo in entlegener Provinz aufzunehmen.

      Seine Wahl fiel auf Kusel. Hier war im Herbst 1946 eine Pädagogische Akademie eröffnet worden, übrigens die erste in der Pfalz. In verhältnismäßig kurzen Lehrgängen sollten hier Lehrer ausgebildet werden. Joseph Müller-Blattau erteilte den Musikunterricht. Darüber hinaus engagierte er sich, zum Teil auch mit seinen Kindern, in vielfältiger Weise für das Musik- und Theaterleben in Kusel. Zum Beispiel für die Theatergruppe des Kulturrings. In der Vorweihnachtszeit des Jahres 1947 wurde hier ein Weihnachtsmärchen einstudiert: Rumpelstilzchen von einer gewissen Trude Wehe. Müller-Blattau schrieb eine Bühnenmusik dazu, der eine Sohn, Michael, betätigte sich als Spielleiter, und der zweite Sohn, Wendelin, wirkte als Bratschist im Orchester mit. Tochter Christiane, auch das geht aus dem Programmzettel hervor, übernahm die Rolle einer Lore. Und dann gab es auch noch einen Hofarzt: Diesen mimte Fritz Wunderlich. Zum ersten Mal wohl überhaupt taucht hier sein Name auf einem Theaterzettel auf.

      Fritz Wunderlich auf jenen vielbeschworenen Brettern, welche die Welt bedeuten! Dieser Anfang, in Kusel im Winter 1947/48, sah allerdings wenig heroisch aus. Mittun, Spaß haben im Kreise Gleichaltriger – das war es, was für ihn zählte. Schauspieler- oder Sängerallüren hatte er keine; an die sprichwörtliche »große Karriere« zu denken wäre ihm nie ernsthaft in den Sinn gekommen. Sicher, für die Musik hatte er eine besondere Vorliebe: »Es stand für mich eigentlich immer fest, daß ich auf irgendeine Art Musik machen würde im Leben«, erzählte er rückblickend. »Nur wußte ich eben nicht, daß ich singen würde Ich bin sehr früh mit der Tanzmusik in Berührung gekommen, habe aber nie irgendwelche Ambitionen gehabt mit der Stimme«[15] Fine große Aufbruchstimmung war damals spürbar, die alles zu erfassen und mitzureißen schien. Man war begeistert, ließ sich begeistern und anstecken: nämlich zu eigenem Tun. Nach den langen Jahren politisch verordneter Gleichschaltung, die sich lähmend auf das Kulturleben ausgewirkt hatte, war man glücklich, nun endlich wieder frei, gleichsam nach Lust und Laune agieren zu können. Im privaten Leben oder aber auf der Bühne. Kulturelle Veranstaltungen, Vergnügungsabende und Theateraufführungen, Dichterlesungen im improvisierten Kreis und Hausmusikabende bei Kerzenlicht: Alles stieß damals auf regen Zuspruch. Auch in Kusel. Zumal die großen kulturellen Metropolen fast ausnahmslos zerstört waren und Kunstschaffende vermehrt auf die entlegenen Gegenden, auf die Provinz setzten. Theatervereine wurden gegründet und Lesezirkel, neue Orchester formierten sich, Kammermusikgruppen fanden zusammen, Chöre entstanden. Irgendwo fand jeder seinen Platz: Mittun, wie gesagt, war die Hauptsache, war Freude und Befriedigung zugleich.

      Fritz Wunderlich wollte hier nicht im Abseits stehen, im Gegenteil. »Er war immer schon ein theatralischer Mensch gewesen, improvisatorisch begabt. Aus dem Stegreif konnte er andere imitieren; gerne machte er den Kollegen auch etwas vor und hatte dann seine helle Freude, wenn die sich von ihm wirklich bluffen ließen.«[16] Sicher, die Bühne hat da ihre eigenen Gesetze: Improvisieren und Faxenmachen allein genügen nicht. Übrigens konnte Fritz bald selber erfahren, daß die urtümliche Spiellust, die ihn stets antrieb, durch ein ganz sonderbares Gefühl beeinträchtigt werden kann. Durch ein Gefühl, das einen, meistens erst kurz vor dem Auftritt, wenn es ernst gilt, in gleichsam existentielle Nöte bringen kann. Die Rede ist vom Lampenfieber. Da war ein Johann-Strauß-Abend, veranstaltet von der Westricher Volksbühne mit dem verstärkten Orchester der Westricher Volksbühne. Kein Laientheater also, sondern ein professionelles Konzert. Heinz Leopold Sulanke, musikalischer Leiter des Pfälzischen Landestheaters in Kaiserslautern, dirigierte. »Zuerst sang Fritz das ›Gondellied‹ aus der Operette Eine Nacht in Venedig«, erinnerte sich Sulankes Gattin, die Sopranistin Liselotte Walter, die als Hauptsolistin engagiert war. »Fritz kam in einem etwas improvisiert wirkenden schwarzen Anzug auf die Bühne; einen Frack hatte er selbstverständlich nicht.« Zum krönenden Abschluß des Konzerts war ein Duett programmiert: »Wer uns getraut« aus dem Zigeunerbaron. »Wie wir kurz vor unserem gemeinsamen Auftritt hinter der Bühne standen, merkte ich plötzlich, daß Fritz schrecklich zitterte. ›Was ist denn los mit dir?‹ fragte ich erstaunt. ›Du zitterst ja!‹ Bleich hauchte Fritz: ›Ja, glauben Sie denn, daß ich wirklich neben Ihnen bestehen kann?‹« [17]

      Auch in der Kuseler Zeitung stieß man nun auf den Namen Fritz Wunderlich. Das erste Mal allerdings nur in einer ziemlich kärglichen Nebensatzkonstruktion und den Namen erst noch in Klammern gesetzt: »Nach dem Auftreten des jugendlichen Tenors (Fritz Wunderlich) entwickelte sich aus der Rahmenhandlung die zwerchfellerschütternde Szene des Astrologen und seiner entzückend doofen Klientin.«[18] Die Rede ist von einer sogenannten »Werbe-Revue«, dargeboten von der Westricher Volksbühne, wiederum unter der musikalischen Leitung von Heinz Leopold Sulanke. Fritz Wunderlich gab hier das Operettenlied »Immer wenn ich fern dir bin, muß ich traurig sein« von Karl Bette zum Besten. Für seinen Auftritt kriegte er fünf Mark. Von dieser »zwerchfellerschütternden« Angelegenheit hätte der Sprung zur nächsten Aufgabe nicht größer sein können: Fritz verwandelte sich nämlich kurzfristig vom jugendlichen Tenor zum Charakterbariton. In der Märchenoper Hänsel und Gretel von Engelbert


<p>15</p>

In: Große Interpreten als Gäste des Südfunks.

<p>16</p>

Interview des Autors mit Hans-Martin Hackbarth, 24. November 1989.

<p>17</p>

Interview des Autors mit Liselotte Sulanke-Walter, 11. November 1989.

<p>18</p>

Kuseler Anzeiger; die Premiere in Kusel fand am 2. Dezember 1948 statt.