Fritz Wunderlich. Werner Pfister. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Werner Pfister
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783795786120
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aufwartet und an die Sänger entsprechend hohe Anforderungen stellt, bearbeitet und den Verhältnissen der Westricher Volksbühne angepaßt. »Ein Märchenspiel mit Musik von Humperdinck« heißt es denn auch auf dem Plakakt. Und noch etwas fällt dort auf: Friedrich Wunderlich steht auf der Liste der Mitwirkenden. Ein Zeichen dafür, daß Fritz nun mit vollem Namen, mit vollem Einsatz und gleichsam mit der Verantwortung eines erwachsenen Künstlers hinter seiner Leistung stehen wollte? Jedenfalls schien er die Frage nach einer sängerischen Zukunft erstmals ernsthaft ins Auge zu fassen. »Fritz sang den Besenbinder Peter mit ungeschliffener Naturstimme«, erinnerte sich Liselotte Walter. »Und nach der Aufführung ging er zu meinem Mann: ›Ach, Herr Sulanke‹, fragte er schüchtern, ›glauben Sie denn, es lohnt sich, meine Stimme ausbilden zu lassen?‹ Daraufhin mein Mann: ›Na, sag mal, bei wem soll es sich denn lohnen, wenn nicht bei dir!‹«[19]

      »Die Aufführung bedeutet, nach der gelungenen ›Werbe-Revue‹, eine weitere Steigerung«, schrieb Joseph Müller-Blattau über die Kuseler Aufführung von Hänsel und Gretel. Wiederum einen Nebensatz widmete er in seiner Kritik auch »dem charakteristischen, schön singenden Vater (Fritz Wunderlich)« .[20] Anschließend ging die Westricher Volksbühne mit beiden Stücken auf eine kleine Tournee, die Kulissen alle auf einen Lastwagen gepfercht, und spielte in den umliegenden Dörfern. Fünf Mark erhielt Fritz pro Abend, ein herausragendes Ereignis inmitten eines sonst mühseligen Alltags. Die Oberschule für Jungen hatte er im Sommer 1948, nach Abschluß der siebten Klasse, verlassen und war an die Pädagogische Akademie übergetreten. Nicht zuletzt wegen seiner häufigen krankheitsbedingten Absenzen, denn nach wie vor machte er Tanzmusik. Oft spielte er in den amerikanischen Unteroffiziersclubs im benachbarten Baumholder, meistens zusammen mit vier Kollegen, alle mit schwarzem Hemd, schwarzer Hose und einer Fliege uniformiert. Auch eine eigene Band hatte er gegründet, »Die Hutmacher«, sieben bis neun Musiker, je nach Bedarf. Sie spielten zum Tanz auf, bei Festen und Wochenendveranstaltungen, gaben die neuesten amerikanischen Schlagermelodien zum besten, wobei Fritz abwechslungsweise Trompete spielte, zum Akkordeon griff oder auch sang. Ein eigentliches Multitalent. Und seit geraumer Zeit auch ein fotografisches Talent: Er hatte sich von einem Kollegen eine alte Kamera erstanden, fotografierte im Schwimmbad aus verstecktem Hinterhalt die jungen Damen und verkaufte die Bilder an seine Kollegen.

      Längst war der Mutter das außergewöhnliche musikalische Talent ihres Sohnes aufgefallen. Stolz war sie und unschlüssig zugleich, vor allem, wenn sie an die Zukunft ihres Sohnes dachte. Musik als Beruf? Damit hatte sie sich selber ein Leben lang abgemüht, und sie war auf keinen grünen Zweig gekommen. Zudem war es stets ein Leben am Rande der Gesellschaft gewesen: Was waren denn schon Musikanten, die zum Tanz, zur Unterhaltung aufspielten? Nein, ihr Sohn sollte es besser haben. In ihrer unnachgiebig forschen Art hieß sie ihn Bewerbungen schreiben. Eine Bürostelle auf dem Landratsamt, die würde ihm zumindest eine sichere Zukunft in Aussicht stellen. Folgsam, aber widerwillig schrieb er solche Bewerbungen, und er brachte sie anschließend auch zur Post. Oder genauer: bis zur Brücke über den Kuseler Bach. Dort vertraute er alle seine Bewerbungen dem davonsprudelnden Wasser an. Und die Mutter wartete zu Hause auf einen Bescheid. Wie es weitergehen sollte, wußten beide nicht.[21]

      Kaiserslautern, 1949. Seit einem Jahr leitete Emmerich Smola, einer der bekanntesten deutschen Rundfunkdirigenten, in der hier stationierten Zweigstelle des Südwestfunks Baden-Baden das Große Unterhaltungsorchester. Sein künstlerisches Profil verdankte Smola nicht zuletzt der Originalität seiner Programme, die er als Produzent betreute und die, vom einfachen Volkslied über Volksmusiksendungen bis zur großen Oper reichend, ein weites Spektrum von Unterhaltung boten. Im Herbst dieses Jahres produzierte Smola eine Sendung »Hausmusik bei Zelter«, ein Porträt des kleinformatigen Berliner Komponisten und Goethe-Freundes Carl Friedrich Zelter, welches Einblick in das Berliner Musikleben zu Beginn des 19. Jahrhunderts geben sollte. Das Manuskript zu dieser Sendung hatte Joseph Müller-Blattau geschrieben; nun suchte Smola nach einem kleinen Chor, der die verschiedenen Lieder und Vokalsätze in dieser »Hausmusik bei Zelter« singen sollte. »Müller-Blattau, der seinerzeit an der Pädagogischen Lehrerakademie in Kusel unterrichtete…, sagte mir auf meine Ratlosigkeit hin, daß es dort einen entsprechenden Chor gäbe«, erzählte Smola später. »Ich solle ihn mir doch anhören. Also fuhr ich hin, und auf der Bühne eines Landgasthauses – in den Tannenkulissen einer vergangenen Laientheateraufführung – stand nun der Chor. Recht schmalbrüstige junge Männer; aber es wurde auffallend frisch gesungen. Ein Vorsänger fiel mir so stark auf, daß ich Müller-Blattau im Verdacht hatte, er habe mir einen echten Sänger unterschoben. Dieser aber versicherte mir, daß es sich bestimmt um einen Anstaltsangehörigen handle, was mich wiederum zu der hier recht unbeliebten Bemerkung veranlaßte, daß es für so eine Begabung doch zu schade wäre, im Lehrerberuf unterzugehen…«[22]

      Natürlich war es Fritz Wunderlich, und daß seine Stimme einem Kenner wie Emmerich Smola auffiel, hatte seinen Grund. Seit einigen Wochen nämlich nahm Wunderlich Gesangsunterricht. Sulankes Antwort von damals: »Na, sag mal, bei wem soll es sich denn lohnen, wenn nicht bei dir!« war ihm nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Eine Lehrerin wurde bald gefunden. Sulanke beriet sich mit einer seiner Sängerinnen am Pfälzischen Landestheater, und die schlug ihm ihre eigene Gesangslehrerin vor, die immer noch in Kaiserslautern unterrichtete, Käthe Bittel-Valckenberg. Fortan radelte Fritz einmal die Woche von Kusel nach Kaiserslautern, auf Hartgummireifen selbstverständlich, hin und zurück je 40 Kilometer. Ein ganzer Tag ging drauf, und das hieß für ihn: ein Arbeitstag war verloren. Sein Tätigkeitsfeld hatte er mittlerweile ausgedehnt: In der Nachbargemeinde Ehweiler amtierte er neuerdings als Dirigent. Aufgrund seiner zahlreichen Auftritte mit den »Hutmachern« war er eine regionale Berühmtheit geworden, »und so fragte man ihn eines Abends, ob er denn nicht Lust hätte, die freie Dirigentenstelle in Ehweiler zu übernehmen. Bereits am Freitag der folgenden Woche kam er pünktlich zur Probe angeradelt. In Erinnerung geblieben ist noch die abenteuerliche Lenkstange seines Fahrrades, die mit unwahrscheinlich vielen Lampen und Glocken ausgestattet war. Für eine Mark fünfzig, ein paar Eier, Wurst- und Butterbrote kam Wunderlich während der nächsten eineinhalb Jahre jede Woche zur Gesangsprobe nach Ehweiler.«[23]

      Übrigens gab es zur Rundfunksendung »Hausmusik bei Zelter« noch ein kleines Nachspiel: »Etwa drei Wochen später meldete mein Vorzimmer den Besuch einer Dame mit Namen Wunderlich und eines dazugehörigen jungen Herrn«, erzählte Emmerich Smola. »Ich hatte Kusel schon längst vergessen und war überrascht, daß man sich meine Bemerkung von damals… durch den Kopf gehen ließ. Die Frage, wohin zum Studium, wurde schnell geklärt. Ich sagte ihm, er solle nach Freiburg gehen. Er solle aber nicht nur Gesang machen, sondern auch ein Instrument spielen.«[24] Ein zweites Mal wurde Fritz von berufener Seite, und das heißt: von einem Berufsmusiker, bestätigt, daß er wirklich eine Stimme und womöglich auch das Zeug zu einem Sänger habe. Bald gesellte sich noch ein drittes fachmännisches Urteil dazu: Auch Joseph Müller-Blattau war von den stimmlichen Qualitäten Wunderlichs überzeugt, und auch er empfahl Freiburg. Er ließ seinen Schützling aber nicht nur so auf gut Glück zur Aufnahmeprüfung hinfahren, sondern gab ihm ein Gutachten mit auf den Weg. Der Name Joseph Müller-Blattau hatte in der musikwissenschaftlichen Fachwelt Gewicht, nach wie vor; darauf konnte sich Fritz verlassen. Das Gutachten ist datiert vom 28. Februar 1950 und lautet:

      Der Musiker Fritz Wunderlich verfügt über eine Naturstimme von gutem Sitz und natürlichem Schmelz, ferner über eine ungewöhnliche musikalische Begabung. Die Ausbildung in Kaiserslautern, der er sich unter großen äußeren Schwierigkeiten unterzog (für eine Stunde etwa einen Tag Arbeitsausfall), hat ihn soweit gefördert, daß er die Mikrofonprüfung mit Erfolg ablegen konnte und im Rundfunk zu Nachwuchssendungen herangezogen wurde. Es wäre dringend erwünscht, daß ihm durch eine Ausbildungsbeihilfe die Möglichkeit gegeben würde, eine regelrechte Ausbildung durchzuführen ohne den ständigen Zwang, Tanzmusik machen zu müssen. – Es kann jetzt schon gesagt werden, daß Fritz Wunderlich nach abgeschlossener Ausbildung eine große Zukunft als Sänger hat.

      Anfang Oktober fand die Aufnahmeprüfung an der Staatlichen Hochschule für Musik in Freiburg


<p>19</p>

Interview des Autors mit Liselotte Sulanke-Walter, 11. November 1989.

<p>20</p>

Die Aufführung in Kusel fand am 16. Dezember 1948 im Kinosaal statt.

<p>21</p>

Interview des Autors mit Eva Wunderlich, 4./8. Dezember 1989.

<p>22</p>

In: Zauber der Musik.

<p>23</p>

Rainer Dick: Es dirigiert: Fritz Wunderlich.

<p>24</p>

In: Geboren in Kusel.