Fritz Wunderlich. Werner Pfister. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Werner Pfister
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783795786120
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in Stuttgart mit dem Stuttgarter Kantatenchor, anschließend im Opernhaus Nürnberg als 5. Städtisches Philharmonisches Konzert. Hier hatte Wunderlich besonderen Erfolg: »Bei den Solisten… muß vor allem der Evangelist von Fritz Wunderlich gerühmt werden, dessen Tenor vom feinsten Piano bis zum strahlenden Forte so hervorragende Eigenschaften hat, daß man von einem glanzvollen Phänomen sprechen kann. Dazu kam ein inniger und einfühlsamer Vortrag, der eine begeisternde Gesamtleistung ergab.«[103]

      Zwei Wochen später folgte Handels Messias mit dem Philharmonischen Chor und den Stuttgarter Philharmonikern unter der Leitung von Heinz Mende, Chordirektor der Württembergischen Staatsoper. Wunderlich sang an der Seite von Trude Eipperle, Margarete Bence und Ernst Denger. Dieses Konzert hörte sich auch Eva Jungnitsch an und wartete anschließend auf eine Freundin, die im Chor mitgesungen hatte: Man war verabredet. Wunderlich scheint sie während des Konzerts im Publikum entdeckt zu haben. Jedenfalls kam er nach Konzertschluß sehr schnell zum Künstlerausgang und entdeckte dort die wartende Eva. »Er kam auf mich zu und wollte wissen, wie es mir gefallen habe. Und bei der nächsten Antigonae-Vorstellung schickte er mir einen Korrepetitor in den Orchestergraben hinunter. Der hatte den Auftrag, mir zwei Karten anzubieten für das nächstfolgende Wunderlich-Konzert, Haydns Schöpfung in der Stuttgarter Eberhardskirche. ›Warum kommt er denn nicht selbst?‹ habe ich mich gefragt und den Korrepetitor unverrichteter Dinge wieder zurückgeschickt. Kaum war ich zu Hause, schellte das Telefon; Wunderlich meldete sich und fragte ziemlich aufgeregt: ›Ja, wollen Sie nun die Karten oder nicht?‹ Natürlich habe ich sie dann genommen.«

      So kam ein Kontakt zustande. Vorerst sehr förmlich: Herr Wunderlich, Fräulein Jungnitsch. Mal ein Gespräch, mal ein kleiner Spaziergang.

      Am 25. April ging Bedřich Smetanas Oper Die verkaufte Braut in einer Neuinszenierung erstmals über die Bühne. Josef Traxel sang den Hans, Wunderlich war als Zweitbesetzung vorgesehen und konnte also Fräulein Jungnitsch zur Premiere einladen. »Da war ich schon ein bißchen nervös – was dann auch Folgen hatte. Ich fuhr meinen Vater mit dem Wagen zur Oper, mußte dort, um in den Parkplatz hineinzukommen, den Gegenverkehr kreuzen. Vielleicht habe ich nicht aufgepaßt – jedenfalls kollidierte ich mit einem Motorroller. Nichts Schlimmes, zum Glück; immerhin mußte die Polizei einen Rapport aufnehmen.« In der Oper sprach sich das unter den Musikern selbstverständlich sofort herum; auch Wunderlich hörte davon. Sofort ging er hinaus, um Eva Jungnitsch beim Erstellen des Polizeirapports behilflich zu sein. »Inzwischen hatte die Premiere der Verkauften Braut längst begonnen, doch hatten wir keine Lust mehr, noch hineinzugehen. ›Ich fahr’ Sie noch ein bißchen mit meinem Wagen herum‹, schlug Wunderlich vor, ›damit Sie sich beruhigen können. Und dann kommen wir vor Vorstellungsschluß zurück und holen Ihren Vater ab.‹ Wir kurvten ungefähr eine Stunde in der Stadt herum; ich war ziemlich schweigsam. Und plötzlich sagte er, nun wolle er mich etwas fragen, aber ich dürfe bitte jetzt keine Antwort geben, sondern ich solle erst darüber nachdenken. Er wolle mich heiraten.«[104]

      Bald folgten die offiziellen Vorstellungsbesuche, zuerst bei den Eltern Evas, anschließend bei Mama Wunderlich in Kusel. Bislang hatte Fritz seine Mutter regelmäßig zu Konzerten mitgenommen. Sie war dann stets sehr glücklich und genoß die Erfolge ihres Sohnes, empfand sie gleichsam als kleinen Lohn für all ihre aufopfernde Sorge in entbehrungsreichen Kriegsjahren. Nun würde Eva ihn begleiten, und sie mußte sich auf ein einsameres Leben einstellen. Aber sie blieb zuversichtlich.

      Seit dem 1. Mai duzten sich Eva und Fritz; am 25. August 1956 wurde in Stuttgart im kleinen familiären Rahmen geheiratet. Die kirchliche Trauung, die Fritz sehr ernst nahm, fand in Kusel statt, am frühen Morgen und ohne einen einzigen Zaungast. Vollzogen wurde sie von jenem Dekan, der Fritz einst konfirmiert hatte. Anschließend bezogen die Neuvermählten eine kleine Mansardenwohnung im Haus von Evas Eltern in Stuttgart-Heumaden. Am Sonnenweg 48.

      Seit längerer Zeit ließ sich Wunderlich durch die Theateragentur Felix Ballhausen vertreten. Bereits im April waren die bestehenden Verträge mit der Stuttgarter Oper revidiert worden. Schließlich sang Wunderlich nun Hauptpartien. Vorbei war es mit den »Wurzen«, den kleinen Rollen. Und das sollte künftig auch entsprechend honoriert werden: 12000 DM sollten Wunderlich in der Spielzeit 1957/58 ausbezahlt werden, so steht es im Vertrag – dreimal soviel wie seine Anfangsgage beim Antritt des Stuttgarter Engagements. Und für die Spielzeit 1958/59 wurde vertraglich gar ein Betrag von 13200 DM festgelegt.

      Ende April sang Wunderlich erstmals den Pang in Puccinis letzter Oper Turandot, eine mittelgroße Partie und nicht ohne Tücken, eine jener sechs Partien, die er in der laufenden Spielzeit noch einstudieren mußte. Am 14. Mai stand er zum ersten Mal als Hans in der Verkauften Braut auf der Bühne. Mit dieser Rolle, eigentlich für einen jugendlich-dramatischen Tenor geschrieben, kam er zweifellos an die Grenzen seiner stimmlichen Belastbarkeit. »Am Anfang hat er sich auch merklich schwer getan damit«, erinnerte sich Josef Dünnwald, der die Aufführungen dirigierte, »vor allem mit den dramatischen Stellen. Und schließlich ist es eine große Partie. Er hat sie später sehr gut gesungen und vor allem sehr gern.« Bereits eine Woche später, am 22. Mai, das nächste Rollendebüt: In Luigi Dallapiccolas Einakter Nachtflug, der in Stuttgart zum ersten Mal präsentiert wurde, sang Wunderlich die Partie des Piloten Pellerin. Ein publikumswirksames Werk, musikalisch nicht eigentlich »modern«, und es kam in Stuttgart entsprechend gut an. Der Komponist kam zur Premiere extra nach Stuttgart. »Im Orchester schmissen die Hörner einmal ziemlich arg«, erinnerte sich Staatskapellmeister Dünnwald. »Sie setzten zu früh ein, und es ging ein paar Takte ziemlich durcheinander – das klang dann wirklich ›modern‹. Am Schluß der Vorstellung kam Dallapiccola selbstverständlich zu uns auf die Bühne, um den Applaus des Publikums entgegenzunehmen. Ich entschuldigte mich bei ihm für den Patzer; er aber schien nicht begriffen zu haben und fragte, was denn los gewesen sei. Ich machte ihn auf die mißlungene Stelle der Horner aufmerksam. ›Das habe ich überhaupt nicht bemerkt‹, war seine Antwort.«

      Am 16. Juni, zwischen den beiden Othello-Gastspielen Mario del Monacos, sang Fritz Wunderlich zum ersten Mal den Belmonte in der Entführung aus dem Serail, seine zweite große Mozart-Rolle. Einige Klavierproben waren vorher angesetzt worden – Wunderlich mußte wie üblich in eine längst bestehende Inszenierung hineinspringen, ohne Proben mit einem Regisseur und auch musikalisch nur in knappstem Rahmen vorbereitet. Diesmal gab es allerdings Probleme: Die Koloratursopranistin Olga Moll, seit Jahren ein geschätztes Ensemblemitglied – sie sang die Konstanze –, weigerte sich, zusammen mit einem Anfänger zu proben. Dünnwald, der die Probe leitete, nahm sie ins Gebet: Wenn einer auf der Bühne eine vollwertige Leistung erbringe, sei er auch ein vollwertiger Kollege. »Sie ließ sich aber nicht belehren, sondern stellte sich teilnahmslos ans Fenster und guckte hinaus. Ich redete Fritz dann zu – er solle sich nichts daraus machen, solle seine Partie möglichst schön singen, dann sei die Schlacht für ihn sicher gewonnen. Und tatsächlich hielt er am Abend phänomenal durch und konnte einen großen persönlichen Erfolg buchen.«[105]

      Das Jahr 1956 – für die musikalische Welt ein fast magisches Datum: 200 Jahre zuvor, am 27. Januar 1756, wurde in Salzburg Wolfgang Amadeus Mozart geboren. Mozart-Feiern und Festaufführungen waren demnach an der Tagesordnung. Die Württembergische Staatsoper präsentierte gleich zwei Neuinszenierungen von Mozart-Opern: am eigentlichen Geburtstag Mozarts den Don Giovanni und zum Saisonschluß, am 30. Juni, Die Gärtnerin aus Liebe. Und diese im stimmungsvollen Barocktheater des Schlosses in Ludwigsburg. Der siebenjährige Mozart war hier einst Gast gewesen, zusammen mit der Schwester Nannerl und dem Vater Leopold. Allerdings wurden sie von Herzog Karl Eugen von Württemberg nicht zur Audienz vorgelassen, sondern mußten mit dem Hofoberkapellmeister Niccolo Jommelli vorliebnehmen. Dieser zeigte sich vom Spiel des Siebenjährigen sehr beeindruckt und meinte, »daß es zu verwundern und kaum glaublich seye, daß ein Kind deutscher Geburt so ein Musikalisches genie und so viel Geist und Feuer haben könne«.[106]

      In der Gärtnerin aus Liebe, diesem frühen Dramma giocoso Mozarts, sang Wunderlich den Belfiore, eine eigentümliche Mischung aus männlichen Tugenden und Eitelkeiten


<p>103</p>

8-Uhr-Blatt Nürnberg, 3. April 1956.

<p>104</p>

Interview des Autors mit Eva Wunderlich, 4./8. Dezember 1989.

<p>105</p>

Interview des Autors mit Josef Dünnwald, 10. Januar 1990.

<p>106</p>

Hermann Abert: W. A. Mozart, Band 1, 36.