Morde zwischen Rhein und Themse. Rita M. Janaczek. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rita M. Janaczek
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783959591270
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betrat den Schießstand. Henderson drehte sich zum Vorraum um, Sands war verschwunden.

      „Ich kann schießen, Bev“, sagte Paricia ohne Umschweife. Sie zog ein Etui aus der Tasche ihrer Kostümjacke, nahm dann eine Brille heraus, die sie sich auf die Nase schob. Die beiden Frauen setzten sich die Kopfhörer auf, und Henderson feuerte mehrere Schüsse ins Schwarze.

      „Wie bist du mit einer solchen Sehschwäche zur Polizei gekommen?“, wollte Beverly wissen.

      „Meine Augen waren nicht immer so schlecht. Die Brille hab ich noch nicht mal ein Jahr.“

      „Du bist doch nicht etwa eitel, oder was war das da eben Pat?“

      „Na ja, ich vertrage keine Kontaktlinsen.“

      „Und die Brille?“

      „Vertrag ich auch nicht, wenn Sands mich damit sieht.“

      „Er wird dich damit sehen, spätestens beim nächsten Einsatz, das ist dir doch wohl klar, Pat?“

      „Ja, ja. Ich weiß.“

      Patricia und Beverly nahmen eine Kanne Tee mit ins Büro und stöberten die Zeitungsblätter durch, während Bill Stanton alle Nummern und Chiffreanzeigen, die sie markiert hatten, in seinen Computer eingab. Alles, was in irgendeiner Form mit Klavier zu tun hatte, kam in seine Listen: Klavierkonzerte, Klavierunterricht, Klavierstimmer, Klavierbauer, Gesangsunterricht mit Klavierbegleitung. Obwohl sie strukturiert arbeiteten, floss der Nachmittag schnell dahin.

      „Ich glaube nicht, dass er ein Konzert besuchen würde“, bemerkte Beverly, fuhr sich mit der Hand über die schmerzende Stirn und betrachtete Bills Liste. „Nach allem, was wir von ihm wissen, würde er sich niemals in eine solche Menschenansammlung wagen.“

      „Da könntest du Recht haben“, bestätigte Bill. „Aber wir sollen alles aufnehmen, was annähernd mit Klavier zu tun hat. Dienstanweisung von Whitefield. … Ich werde morgen jedenfalls mit den chiffrierten Anzeigen bei der Presse auflaufen. Vielleicht bringt es was.“

      „Sieh mal hier, Bev“, warf Henderson ein. „Das wäre doch was für dich: Gutaussehender Mann, Mitte dreißig, vermögend, ungebunden, sucht ebensolche Sie bis dreißig für gemeinsame Stunden.“

      Beverly stöhnte genervt. „Du brauchst mich nicht zu verkuppeln.“

      „Ich dachte ja nur. ... Wie läuft es denn mit Fleming?“ Stanton blickte kurz auf.

      „Mit Fleming läuft nichts.“ Beverly warf Patricia einen giftigen Blick zu und vertiefte sich wieder in die Zeitung. Die Buchstaben verschwammen vor ihren Augen. Erst als ihre Kehle enger und enger wurde, begriff sie warum. Die Gedanken kamen wie in Wellen: Die Straßengang und der Überfall. Packt euch die Schlampe. Edward. Peggys gehässiger Blick. Du bist nur das Ergebnis einer abscheulichen Nacht. Fleming. Sie haben Angst vor dem Dienstschluss, weil danach nichts mehr kommt. Sands und die Frau im Rollstuhl, … seine Frau.

      Hektisch nestelte Beverly nach ihrer Sonnenbrille und schob sie sich auf die Nase. Sie spürte, dass Patricia sie ansah und hob den Blick. „Das Neonlicht geht mir allmählich auf die Augen.“ Sie arbeiteten schweigend weiter. Eine unausgesprochene Spannung schwebte im Raum. Beverly versuchte sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Der Rechner rauschte leise. Ab und zu tippte Bill etwas ein. Es war fast sieben, als sie die letzten Blätter zur Seite legten und Beverly die Brille abnahm. Stanton druckte die Listen, er schob sie in eine Mappe. „Mal sehen, was Whitefield morgen meint.“

      „Gehen wir noch was essen?“ Patricia sah erst Bill, dann Beverly an.

      Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Es reicht für heute.“

      „Willst du in deiner Bude versauern? Komm schon!“ Stanton nickte beipflichtend, so ließ sich Beverly zu einem okay hinreißen.

      Sie stellten ihre Autos auf einem schmalen Parkplatz ab. Von dort waren es noch etwa fünfzig Meter bis zum Italiener. Der Himmel zog sich allmählich zu, es wehte ein unangenehm kühler Wind. Sie betraten das Restaurant und setzten sich an einen Tisch nahe der Tür. Beverly setzte sich neben Patricia, Bill nahm ihr gegenüber Platz. Erste Regentropfen besprühten das Fensterglas, die kleinen Bäume auf der anderen Straßenseite neigten sich mit den Windböen. Die Menschen auf der Straße beschleunigten ihre Schritte. Beverly blickte gedankenverloren in den Regen, bis sich die Tür des Restaurants öffnete und Fleming eintrat. Er schien überrascht, sie hier zu sehen. Anscheinend hatte er nur mit Stanton und Henderson gerechnet. Er kam zu ihnen an den Tisch, begrüßte sie und setzte sich. Beverly blickte kurz zu Patricia. Kupplerin, ... elende.

      Sie bestellten Getränke und versenkten ihre Blicke in die Speisekarten. Sie tranken Wein, während sie auf das Essen warteten. Beverly spürte Flemings Blicke, aber sie sah nach draußen in den Regen. Sie konnte der Unterhaltung nicht folgen und fragte sich stattdessen, was er jetzt dachte.

      „Hey, Bev, träumst du?“ Patricia stieß ihr den Ellenbogen in die Seite. „Reiß dich zusammen!“

      „Ich bin müde, das wird ja wohl noch erlaubt sein.“ Genau das hatte sie nicht gewollt, sich zusammenreißen, genau deswegen wäre sie lieber nach Hause gefahren. Sie sah Stanton an, dessen blonde Locken sich heute besonders kräuselten. Es musste an der feuchten Luft liegen.

      „Nach dem Essen geht’s dir sicher besser“, warf er unbekümmert ein und wandte sich wieder Patricia zu.

      Fleming war erstaunlich schweigsam. Beverly fragte sich, was er vorhatte. Er taxierte sie. Nein, er sah sie anders an, ganz anders als gestern in der Teeküche, besorgt, nein zärtlich. Sie wich seinem Blick aus und schaute auf ihre Hände. Es war wie eine Erlösung, als die Bedienung endlich das Essen brachte. Irgendwie würde sie diesen Abend mit Würde zu Ende bringen.

      Es war schon nach elf, als sie das Restaurant verließen. Harter Wind schlug ihnen entgegen. Der Regen prasselte auf den Gehweg, der nasse Asphalt reflektierte die Lichter der Straßenbeleuchtung. Sie standen unschlüssig unter dem Vordach und warteten einige Minuten auf das Nachlassen des Schauers, bis sich Patricia entschied, drinnen zu warten. Bill folgte ihr. Beverly schlang sich die Arme um den Körper. Sie fröstelte.

      „Sieht nicht aus, als würde es heute noch aufhören“, sagte Fleming zu ihr. Sie hatte geahnt, dass er diese Chance nutzen würde. Sie waren allein. Allein mit dem Regen, der Dunkelheit und dem Wind. Er würde wieder versuchen, sie mit seinen Verführungskünsten einzuwickeln aber diesmal war sie wachsam. Er kam langsam auf sie zu, ließ dann seine Finger sanft an ihrem Haaransatz entlang wandern. Sie wich zurück. Kein Sturz ins Bodenlose, nicht jetzt.

      „Es wird Sie nicht gleich umbringen, wenn Sie Ihre Gefühle endlich zulassen“, sagte er leise und versuchte sie an sich zu ziehen. Sie drückte ihn mit ihren schmalen Händen weg. Noch ein Schritt rückwärts.

      „Ich sag Ihnen jetzt was, Fleming. Ich hab einige ziemlich schmerzliche Beziehungen hinter mir, ich brauche nicht noch mehr davon. Ich ertrage es nicht mehr.“ Sie atmete heftig und versuchte, das Feuer in seinen Augen mit der Kälte ihres Blicks zu löschen. Doch es gelang ihr nicht. Sie wusste, dass er jetzt alles in ihren Augen sehen konnte, nur keine Kälte. „Vielleicht sind Sie es ja gewohnt, immer alles zu bekommen was Sie reizt. Aber ich will keinen Mann für eine Nacht. Ich will auch keinen Mann für ein paar Wochen. Ich will mich nicht auf einen Psychologen einlassen, der sich ein kleines Abenteuer erhofft und nach ein paar netten Tagen auf Nimmer-Wiedersehen in sein Institut verschwindet.“ Ihre Kehle schnürte sich zu und in dieser Sekunde erkannte sie, dass sie ihm längst verfallen war. „Und wenn Sie nichts weiter von mir wollen als eine flüchtige Affäre, dann lassen Sie mich besser in Ruhe!“ Tränenblind wandte sie sich von ihm ab und ging hinaus in den strömenden Regen.

      Mittwoch, 20. März

      Whitefield hielt die Listen in den Händen, er überflog sie. Seine Pupillen wanderten hin und her. Ab und zu zuckten seine Mundwinkel, als wolle er