Morde zwischen Rhein und Themse. Rita M. Janaczek. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rita M. Janaczek
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783959591270
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weil es ihr nicht gut ging. Unterwegs hat sie sich übergeben, und vor der Tür ist sie dann kollabiert.“

      Sie spürte, dass der Unbekannte an ihr Bett trat und sich zu ihr herunterbeugte.

      „Miss Evans, ich bin Dr. Webber, können Sie mich verstehen?“

      Sie zwang sich, ihn anzusehen und flüsterte ein kaum vernehmbares „Ja“.

      Er nahm eine kleine Lampe und versuchte ihr damit in die Augen zu leuchten. „Offen lassen, lassen Sie die Augen offen, Miss Evans.“

      Grelles Licht, dann wieder Dunkel.

      „Warum ist sie nicht im Krankenhaus geblieben?“

      „Keine Ahnung. Ich nehme an, sie wollte nicht.“

      „Unvernünftig, sehr unvernünftig. ... Sie hat eine Gehirnerschütterung. Zwei, drei Tage strikte Bettruhe. Ich werde jetzt noch etwas spritzen, um den Kreislauf zu stabilisieren.“ Sie spürte die Latexhandschuhe an ihrer Haut, kaltes Sprühen, den Einstich. Sie fühlte sich so elend, dass sie alles über sich hätte ergehen lassen, nur um endlich wieder in Ruhe gelassen zu werden. Sie schaffte einen letzten Blick durch ihre Wimpern und sah, wie Fleming die Vorhänge wieder zuzog. Dann schlief sie ein.

      Es war dunkel. Durch den Türspalt war Licht zu sehen. Beverly setzte sich vorsichtig auf. Die Kopfschmerzen waren erträglicher geworden, aber ihr Mund war trocken und klebrig wie Haferschleim. Sie rutschte aus dem Bett, ging durch den hellen Flur und das Wohnzimmer in Richtung Küche. Sie blieb kurz stehen. Auf der Couch lag etwas, das dort nicht hingehörte. Ein Psychologe. Er war in ihre Wolldecke eingewickelt und schlief. Sie betrachtete sein friedliches Gesicht und das zerzauste Haar. Schlafend gefiel er ihr beinahe noch besser. Sie riss sich von dem Anblick los und ging an den Kühlschrank. Sie trank ein Glas Mineralwasser, schraubte die Flasche zu und nahm sie mit. Völlig erschöpft kroch sie wieder ins Bett. Sie hatte bereits vergessen, dass Fleming in ihrem Wohnzimmer lag. Sie rollte sich zusammen und schlief wieder ein.

      Samstag, 16. März

      Beverly saß im Bett und starrte aus dem Fenster. Fleming war weg. Er hatte sie geweckt, ihr Frühstück ans Bett gestellt und ihr versichert, am Nachmittag noch einmal nach ihr zu sehen. Arthur Hays erwartete ihn um neun im Yard. Es ging um die Prostituiertenmorde. Er wollte vorher noch in seine Wohnung, um sich umzuziehen. Beverly fand das nachvollziehbar. Die Nacht auf dem Sofa hatte unübersehbare Spuren an seinem Outfit hinterlassen. Wie aber sollte sie jetzt die Stunden bis zum Mittag überstehen? Sie dachte kurz darüber nach, auch zum Yard zu fahren, verwarf den Gedanken aber wieder. In der Vergangenheit war ihr immer dann die Decke auf den Kopf gefallen, wenn sie länger als einen Tag allein in der Wohnung verbringen musste. Ihr Freundeskreis war innerhalb der letzten Jahre gewissermaßen auf Null geschrumpft, und sie wusste, dass es ihre eigene Schuld war. Ständig hatte sie abgesagt, verschoben, vertröstet. Sie hatte den Dienst immer dem Privatleben vorgezogen, hatte zusätzliche Stunden gemacht, zusätzliche Aufgaben übernommen, die Übungszeiten für das eigene Schießtraining verlängert und mit Kollegen Karate trainiert. Die letzten zwei Freundinnen, die sich noch immer um sie bemüht hatten, hatte sie verprellt, indem sie jede freie Minute damit verbracht hatte, auf Edward zu warten. Sie hatte sämtliche Einladungen ihrer Freundinnen abgewehrt, um ihn nicht zu verpassen. Irgendwann kamen auch keine Einladungen mehr, nicht einmal Anrufe. Sie seufzte, legte sich hin und sah an die Decke. Sie musste sich dringend um ihr Privatleben kümmern. Sie dachte daran, wie sehr sie sich vorgestern über Flemings Aussage geärgert hatte, ...weil er Recht hatte. Sie haben Angst vorm Dienstschluss, weil danach nichts mehr kommt.

      Sie stand auf und ging ins Bad. Ihr Gesicht war nicht mehr so geschwollen wie am Vortag, aber umso bunter. Ihre Augen waren glasig. Sie duschte, zog frische Sachen an, räumte ein wenig auf und legte sich wieder ins Bett. Stille. Elf Uhr, das Telefon klingelte. Sie sprang ein wenig zu schnell aus dem Bett und spürte den dumpfen Schmerz im Hinterkopf. Sands war am anderen Ende der Leitung.

      „Ich weiß, ihr hattet mich ja gewarnt“, sagte sie schnell, bevor er irgendetwas sagen konnte. „Kannst dich entspannen. Ich bleibe das Wochenende über im Bett. Was macht die Arbeit?“

      „Miller hat eine Spur von St. Williams gefunden. Er war zeitweise in einer Unterkunft, die von Nonnen geführt wird.“

      „Miller? Na ja, ein blindes Huhn findet auch mal ein Korn. Wie geht es weiter?“

      „Du legst dich wieder ins Bett, Beverly. Alles andere kann warten, bis du wieder fit bist.“

      „Dann sehen wir uns am Montag im Yard.“

      „Ich bin erst am Dienstag wieder da. Pass auf dich auf.“

      „Werde ich, keine Sorge.“

      Sie legte auf und stand unschlüssig im Wohnzimmer. Sie griff sich eine Zeitschrift und nahm sie mit ins Bett. Nach wenigen Zeilen legte sie das Blatt zur Seite, weil das Lesen sie zu sehr anstrengte. Sie zog die Decke höher und blickte zum Fenster. Wolkenfetzen trieben vorbei. Ihre Augen brannten, sie schloss die Lider. Ein leichter traumloser Dämmerschlaf überkam sie, und erst das Klingeln an der Tür weckte sie aus ihrer Lethargie.

      Patricia zog sich die Pumps von den Füßen, warf das blonde Haar zurück und ließ sich aufs Sofa fallen. „Sie haben noch eine Tote gefunden. In einem Kühlhaus. Sie lag zwischen den Schweinehälften.“ Dann schien sie das Fragezeichen in Beverlys Gesichtsausdruck zu bemerken und fuhr fort: „Nicht unser Fall. Der Prostituiertenmörder. Der Anruf kam heute Mittag. Hays hat seine ganze Liga ins Schlepptau genommen und ist los. Fleming musste auch mit. Darum hat er mich gebeten, nach dir zu sehen. Ich glaube kaum, dass er noch Gelegenheit haben wird, hier heute aufzukreuzen, es sei denn, er will hier übernachten.“

      Sie grinste vielsagend. Anscheinend wusste sie, dass er die letzte Nacht hier verbracht hatte.

      „Ich glaube kaum, dass er das vorhat“, erwiderte Beverly kühl, „eine Nacht auf dieser Couch hat ihn sicherlich ein für allemal kuriert.“

      Patricia zog eine Schnute. „Man, war doch nur ein Joke. Bist du immer so empfindlich?“

      Wenn es um Männer geht, schon. „Ich bin nicht empfindlich. Ich rede nur Klartext.“

      Pat begutachtete einen Moment lang ihre perfekt manikürten Fingernägel. „Also, ich würde Fleming nicht von der Bettkante stoßen.“

      „Bei dem Tempo, das er vorlegt, um eine von uns rumzukriegen, wundert es mich, dass er es noch nicht bis auf deine Bettkante geschafft hat.“

      „Man, bist du unfair.“ Pat senkte den Kopf und schaute wieder auf den glänzend roten Lack, der ihre Nägel zierte. Es lag Unmut in dieser Geste.

      Beide schwiegen. Beverly warf einen Blick auf die Uhr an der Wand gegenüber, deren Sekundenzeiger unaufhaltsam seine Runden drehte. Es war fast sechs. Sie hatte den vollen Nachmittag verschlafen.

      Patricia schaute auf, sie seufzte. „Eigentlich bin ich nicht gekommen um zu streiten, sondern um dir Gesellschaft zu leisten. Ich könnte uns was zu essen besorgen.“

      Essen! Seit dem Frühstück hatte Beverly nichts mehr zu sich genommen. Das Wort Essen erlangte plötzlich eine ungeahnte Bedeutung. „Ich könnte eine riesengroße Pizza vertragen.“

      Pats Gesicht hellte sich auf, auch über Beverlys Gesicht huschte ein Lächeln. Das war’s! Sie hatte einfach nur Hunger. Deswegen war sie so gereizt.

      Es war dunkel, nur ein paar Kerzen brannten, leise Musik mischte sich in das Rauschen der Spülmaschine. Beverly hatte sich der Länge nach auf der Couch ausgestreckt. Sie war so satt, dass es eigentlich nicht mehr schön war. Sie nahm einen Schluck Mineralwasser und stellte das Glas auf den kleinen Tisch. „Geht’s dir auch so dreckig?“

      Pat hing quer im Sessel und ließ die Beine über die Lehne baumeln. „Noch schlimmer“, seufzte sie. „Gut, dass uns jetzt keiner sehen kann. Hoffentlich bin ich am Montag wieder arbeitsfähig.“