Morde zwischen Rhein und Themse. Rita M. Janaczek. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rita M. Janaczek
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783959591270
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      „Ach, Kinder, müsst ihr euch denn immer streiten?“

      Peggy rümpfte die Nase, sie verließ mit einem Stapel Teller in den Händen die Küche. „Ich decke den Tisch, Robert wird gleich kommen, und Tante Rebecca ist sicher auch schon im Anmarsch.“

       Robert Brown kam pünktlich von der Schicht. Er war Maschinenführer in einer Fabrik in Reading. Nachdem er sich frisch gemacht und umgezogen hatte, gesellte er sich zu ihnen.

      Robert und Peggy hatten gleich nach Beverlys Auszug geheiratet und das Haus umgebaut. Beverly war es damals so vorgekommen, als habe Peggy nur darauf gewartet, ihre Schwester endlich loszuwerden. Das war nun schon fast zehn Jahre her. Robert war ein etwas untersetzter Mann, aber seine lebhaften runden Augen strahlten mit einer Selbstverständlichkeit, dass es jeden ansteckte. Sein glattes dunkelblondes Haar war sauber gescheitelt, seine rundlichen Wangen glühten. „Hallo, da ist ja meine allerliebste Schwägerin.“ Er riss sie an sich und drückte sie mit solcher Inbrunst, dass sie glaubte, ihre Rippen würden zu splittern anfangen.

      „Hey, Robert. Lass meine Knochen heil.“

      „Ja, ja, die Evans-Frauen. Irgendwie hat man nie richtig was in den Armen.“ Er grinste.

      Beverly war sich sicher, dass Robert es nur mit ihrer knurrigen Schwester aushielt, weil er alles mit Gelassenheit nahm und selbst ihre Spitzen mit Humor ertrug. Sie mochte ihn. Er strahlte die Herzlichkeit aus, die Peggy fehlte, er brachte Wärme in dieses Haus. Es war schön zu sehen, wie nett er mit seiner Schwiegermutter umging. Es war erstaunlich, wie er es immer wieder schaffte, Peggy trotz ihrer Launen um den kleinen Finger zu wickeln. Er war der ideale Mann für sie, optimistisch, locker und leidensfähig.

      Er setzte sich und blickte erwartungsvoll über den gedeckten Tisch. „Na, was gibt es denn Gutes?“

      „Kannst du immer nur ans Essen denken, Robert?“, erwiderte Peggy gereizt.

      „Ans Essen, ans Kochen und an dich“, lachte er.

      „Hör auf damit. Bevy, setz dich da rüber. Wo bleibt Tante Rebecca? Kann sie denn nie pünktlich sein? Sie hat es sicher vergessen. Oder sie treibt sich wieder rum.“ Es klingelte, als Peggy sich gerade gesetzt hatte. Sie stand mit einem wütenden Schnauben wieder auf.

      „Ich kann hingehen“, warf Beverly ein, aber Peggy schob sich an ihr vorbei. „Nein, du nicht!“

      Rebecca war zwei Jahre älter als ihre Schwägerin, aber im Gegensatz zu Melinda sah man ihr das Alter nicht an. Sie war trotz ihrer dreiundsechzig Jahre ein Hingucker, modisch gekleidet, dezent geschminkt, immer perfekt frisiert. Tante Rebecca war Dauergesprächsstoff in Aldermaston. Beverly wusste, dass ihre Schwester diese Tatsache peinlich fand. Peggy war der Ansicht, dass Rebecca sich völlig daneben benahm, weil sie immer wieder dem einen oder anderen Witwer der Stadt den Kopf verdrehte.

      Rebecca verlor keine Zeit und stürmte auf Beverly zu. „Wie lange habe ich dich nicht mehr gesehen? Mein Gott, Beverly, schön wie die Venus.“

      „Danke, ich gebe das Kompliment unverändert an dich zurück. Wie geht es dir?“

      „Bestens. Ich bin frisch verliebt.“ Rebecca setzte sich neben Robert und puffte ihm mit dem Ellenbogen in die Seite.

      Er lachte. „Hilfe, diese scharfe Tante baggert mich immer an.“

      Peggys Ausdruck war wie versteinert.

      Rebecca nestelte in ihrer Handtasche und zog ein kleines Päckchen hervor. „Schwesterherz, für dich.“

      „Wir wollten diese Schenkerei doch sein lassen“, mäkelte Peggy.

      „Du vielleicht. Was ich tue, musst du mir schon selbst überlassen. Ich bin schließlich alt genug“, konstatierte Rebecca ruhig.

      „Ja, vor allem alt.“

      Robert warf seiner Frau einen wütenden Blick zu, aber Rebecca lächelte beschwichtigend. „Was manchmal von Vorteil ist, weil man im Alter viele Dinge nicht mehr so verkniffen sieht.“

      „Wenn du das Lotterleben meinst, über das sich alle das Maul zerreißen!“

      „Peggy!“ Robert war aufgesprungen; Beverly hatte ihn noch nie mit einem solch unbeherrschten Gesichtsausdruck gesehen. Rebecca zog ihn am Ärmel zurück auf seinen Stuhl. „Liebe Nichte. Wir sollten das klären, bevor wir deiner Mutter den Geburtstag verderben. Merke dir bitte: Es ist ganz allein meine Sache, wie ich mein Leben lebe, solange ich niemandem damit schade. Wenn die so genannten Leute darüber tratschen wollen, so sollen sie es meinetwegen tun. Es lässt mich kalt, weil es mit der Wahrheit wenig gemein hat. Wenn du allerdings glaubst, Peggy, ich würde dir schaden, weil ich die Familie dadurch in den Schmutz ziehe, dann kannst du allen gern sagen, dass du mit deiner Tante nichts zu schaffen hast.“ Sie nahm ihr Glas und prostete allen zu. „Gegen das Gerede kann ich dir übrigens Ohrstöpsel empfehlen. Lasst uns jetzt trinken, auf Melinda Evans und die einundsechzig Jahre, die sie auf dieser Erde weilt.“

       Sie stießen an und tranken, während Peggy mit hochrotem Kopf hastig das Zimmer verließ.

      „Ja, du hast Recht“, keifte sie, bevor sie die Tür zuschlug, „du und Bevy, ihr seid wirklich eine Schande für die ganze Familie.“

      Sonntag, 10. März

      Beverly stand am Morgen früher auf als der Rest der Familie. Sie wollte im Bad fertig sein, bevor sich Peggy darüber beschweren konnte, dass sie es blockierte. Sie hatten noch einen schönen Abend verbracht, ... ohne Peggy. Obwohl Robert ihr nachgegangen war, um sie zu beschwichtigen, hatte sie sich geweigert, in diese Runde zurückzukehren. Sie hatte sich nicht mehr blicken lassen. Robert jedenfalls hatte sich seine Laune davon nicht verderben lassen.

       Beverly warf ihren Mantel über und wagte trotz des leichten Nieselregens einen Morgenspaziergang durch das verschlafene Dorf. Es dämmerte, aber der wolkenverhangene Himmel schien das langsam aufkeimende Tageslicht zu verschlucken. Sie bog in einen schmalen Weg, den sie als Kind oft gegangen war, ließ die Häuser hinter sich und ließ ihren Gedanken freien Lauf. Warum konnte Peggy sie nicht einfach in Ruhe lassen? Sie hatte doch das Leben, das sie sich gewünscht hatte, ein Haus und einen netten Mann. Na ja, das Geld floss nicht gerade in Strömen, und eigentlich hatte sie schon immer vom sozialen Aufstieg geträumt. Aber den gab es nun einmal nicht, wenn man um alles in der Welt in Aldermaston bleiben wollte. Immer wenn Peggy über verpasste Chancen nachdachte, war Robert schuld, er hatte keinen Ehrgeiz, war zu genügsam, er war zufrieden mit seiner Arbeit und seinem Leben, ... und er war zeugungsunfähig. Das allerdings hatte Peggy schon vor ihrer Hochzeit gewusst. Dann, als mit den Jahren ihr Wunsch nach einem Kind immer stärker wurde, zog Peggy den Kreis aus Missgunst und Unzufriedenheit immer enger um sich selbst. Wen wunderte es da, dass sie immer unglücklicher wurde?

      Der Regen wurde stärker, deshalb trat Beverly den Rückweg an. Sie konnte ihrer Schwester nicht helfen, sie selbst war ja der Grundstein aller Probleme. Ohne besondere Berechtigung hatte sie sich vor neunundzwanzig Jahren in die traute Zweisamkeit von Mutter und Tochter gedrängt, hatte Peggy gezwungen, ihre geliebte Mutter mit jemand anderem zu teilen. Peggy würde es nie akzeptieren, niemals würde sie zugeben, dass Beverly das gleiche Recht auf ihre Mutter hatte wie sie selbst. „Du bist nur das Ergebnis einer abscheulichen Nacht. Weiter nichts.“ Diesen Satz wurde Beverly nicht wieder los, seit Peggy ihn im Streit und mit dem Brustton fester Überzeugung ausgesprochen hatte.

       Es schien, als hätten sich mit den dunklen Gedankengängen auch die schwarzen Wolken vollends geöffnet. Es goss Bindfäden. Beverly rannte das letzte Stück zum Haus, erreichte die schmale Überdachung der Haustür, klingelte und lehnte sich prustend an die Wand.

      Robert öffnete. „Ich hab dich laufen sehen. Hohe Luftfeuchtigkeit“, grinste er und warf ihr ein Handtuch zu. „Ich hab uns ein erstklassiges Frühstück gemacht.“

      Beverly zog den tropfnassen Mantel aus und frottierte ihr Haar. „Na fantastisch, das ist genau