Morde zwischen Rhein und Themse. Rita M. Janaczek. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rita M. Janaczek
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783959591270
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Mann: Er trug keinen Ring.

      „Wir ermitteln in zwei Mordfällen. … Die Recherchen haben uns bis ins Jahr 1963 zurückgebracht.“ Beverly berichtete über alle Anhaltspunkte, die bisher von den Kollegen zusammengetragen wurden, legte die Ergebnisse der Gerichtsmedizin vor, zeigte Fotos der Opfer. Sie erläuterte die Vermutungen, die hinsichtlich der möglichen Täter aufgekommen waren, und begründete das Für und Wider ihrer Theorien. Fleming lauschte ihren Ausführungen und immer wieder fühlte sich Beverly von seinem Blick seltsam berührt. „Inzwischen sind wir an einem Punkt angekommen, der nicht mehr viel hergibt“, schloss sie und schaute ihn abwartend an.

      Er zog die Augenbrauen hoch und atmete hörbar ein. Rein optisch, befand Beverly, war dieser Mann ein Volltreffer. Ob er Victor auch fachlich das Wasser reichen konnte, das bezweifelte sie. Allein beim Klang des Wortes Institut, schwebte Beverly der Gedanke an staubtrockene Theorie im Kopf, nichts, das mit der Realität zu tun hatte. Außerdem hatte er, das stand für sie von vornherein fest, keinen blassen Schimmer von Polizeiarbeit, von den Strukturen und den ungeschriebenen Gesetzen. Victor würde zurück sein, bevor sich dieser Fleming überhaupt halbwegs eingearbeitet hatte.

       „Sie warten aber jetzt nicht darauf, dass ich hier auf der Stelle den ultimativen Geistesblitz liefere?“, holte er sie aus ihren Gedanken.

      Sie lächelte. „Was sonst?“

      „Ein wenig Einarbeitungszeit müssen Sie mir zubilligen.“

      „War ein Scherz!“

      „Sie arbeiten schon länger hier?“ „Ja“, sie hielt kurz inne, „es sind inzwischen vier Jahre.“

      „Sie wirken ziemlich abgeklärt“, stellte er fest und fixierte sie mit seinen dunklen Augen.

      „Das war kein Kompliment.“ Sie konnte keine Reaktion in seiner Mimik lesen, spürte gerade deshalb das Bedürfnis sich zu erklären. „Das ist Selbstschutz. Das müssten Sie doch wissen!“

      „Ja, in der Tat. Kann ich die Unterlagen noch einmal in Ruhe durchsehen?“

      Beverly stapelte die Dossiers und reichte sie ihm. Er schob sich eine Lesebrille auf die Nase; sie betrachtete ihn. Die Vorstellung, ihm die Brille wieder abzunehmen, um ihn zu küssen. … aber warum hatte sie plötzlich das wirklich alberne Gefühl, sie würde Sands betrügen? Sie seufzte.

      Sie ließ Fleming in dem kleinen Büro allein, weil er sich entschieden hatte, die Akten gleich hier und auf der Stelle durchzuarbeiten. Verdammt, wieso kam sie von dem Gedanken an Sands nicht los? Er war verheiratet. Er hatte ihr nicht ein einziges Mal einen Anlass zu der Hoffnung gegeben, sie hätte eine Chance bei ihm. Und du, Evans, bist trotzdem hoffnungslos in ihn... Vergiss es endlich! Ja, sie wollte einen Mann an ihrer Seite, aber einen Mann der ihre Gefühle erwiderte. War nicht gerade Sands derjenige, der diese Sehnsucht nie erfüllen würde? Warum übte er einen so unwiderstehlichen Reiz auf sie aus? Wenn sie ernsthaft daran dachte, eine überlebensfähige Beziehung mit einem anderen Mann einzugehen, dann musste sie lernen, die Gefühle für Harold Sands endlich hinter sich zu lassen. Ihr Privatleben hatte sich auf Belanglosigkeiten reduziert, sie arbeitete lieber, als sich der Einsamkeit ihrer Wohnung zu stellen, als sich dort mit der Frage zu beschäftigen, warum sie sich immer die falschen Männer aussuchte. Wollte sie ernsthaft so weitermachen? Es hätte so einfach sein können. Sie brauchte es nur zuzulassen.

      Es war Dienstschluss; das Unbehagen, das sich in Form des Wochenendes genähert hatte, war jetzt unabwendbar da. Beverly hatte ihrer Mutter versprochen, dieses Wochenende bei ihr in Aldermaston zu verbringen, aber sie bereute es schon jetzt. Während sie ihre Reisetasche packte, grübelte sie über passende Ausreden nach, vielleicht sollte sie sich einfach krank ins Bett legen. Sie schminkte sich und sah dabei das Schuldbewusstsein in den grünen Augen. Sie hatte versprochen zu kommen, ihre Mutter hatte Geburtstag.

      Aldermaston war ein kleiner Ort, etwa fünfzig Kilometer westlich von London. Sie erinnerte sich daran, wie frei sie sich gefühlt hatte, als sie die provinzielle Enge endlich hatte verlassen können. Besonders heute spürte sie, wie bedrückend es war, dorthin zurückzukehren. Stell dich nicht so an, Beverly, es ist ja nur für eine Nacht. Sie warf die Tasche in den Wagen und machte sich im verebbenden Tageslicht auf den Weg. Sie verließ die beleuchteten Straßen und fuhr hinaus in die Dunkelheit. Was hatte dieser Fleming gesagt? Abgeklärt? Pah, was wusste er denn schon von ihr? Ja, sie war froh, wenn es ihr gelang, die grausamen Bilder verdrängen zu können, wenn sie nicht ständig darüber nachdenken musste. Sie war froh darüber, wenn sie einen kühlen Kopf bewahren konnte. Kühl, nicht kalt, denn es war immer noch die Bereitschaft da, Mitgefühl zuzulassen. Zumindest sich selbst gegenüber konnte sie zugeben, dass es oft wehtat. Was wusste schon dieser Daniel Fleming! Peggy Brown war eine hagere, hochgewachsene Frau Anfang vierzig, deren verkniffener schmaler Mund und die restlos weggezupften Augenbrauen sie wesentlich älter wirken ließen. Ihre blassgrünen Augen wirkten tonlos und matt, das kurze rote Haar kräuselte sich wie eine Pudelfrisur um das blasse Gesicht. Sie trug einen geblümten Rock, der die Knie bedeckte, dazu eine schlichte weiße Bluse. Förmlich reichte sie Beverly die Hand, ihre schmalen Lippen versuchten ein Lächeln. „Hallo Bevy-Baby, immer noch solo?“ „Hallo, Peggy.“ Beverly schob sich mit ihrer Tasche durch den engen Flur und stellte sie auf die Treppe. „Wo ist Mum?“ „In der Küche, wie immer.“ Peggy drängte sich an ihrer jüngeren Schwester vorbei und öffnete die abgeblätterte weiße Tür an der Stirnseite des Flures. „Mum, Bevy ist da.“

      Mrs. Evans hätte nicht leugnen können, dass Peggy ihre Tochter war. Sie war ihr wie aus dem Gesicht geschnitten. Mit Beverly hatte sie, wenn man von den kupferroten Haaren und den grünen Augen einmal absah, nichts gemein. Melinda Evans Statur war von Arbeit gebückt, ihr Gesicht von Falten durchzogen und genauso verkniffen wie das ihrer ältesten Tochter. Ein Großteil ihres kurzgeschnittenen Haares war ergraut. Sie drehte sich zu Beverly um. „Hallo, Kind. Bring deine Sachen rauf.“ Wortkarg wie sie war, wandte sie sich wieder dem Herd zu.

      Da ist sie wieder, dachte Beverly. Mums Angst, … Mums Angst vor Peggys Missgunst.

       Das Gästezimmer war einmal Beverlys Zimmer gewesen, doch nichts erinnerte mehr daran. Peggy hatte jegliche Erinnerung an ihre jüngere Schwester aus diesem Raum verbannt. Eine Schlafcouch, ein Kleiderschrank und ein Sessel waren die einzigen Möbel. Der weiß geflieste Boden, die hellblauen schlichten Vorhänge und die weiße Tapete gaben dem Raum etwas Kaltes. Es war nichts vorbereitet. Peggy zeigte ihr wieder einmal deutlich, was sie vom Besuch ihrer Halbschwester hielt. Beverly zog die Schlafcouch auseinander. Sie nahm die Bettwäsche aus dem Schrank, um die Decke zu beziehen, die zusammengeknautscht auf dem Schrank gelegen hatte. Es war ja nur für eine Nacht. Sie blickte aus dem Fenster und sah Peggy mit einer Taschenlampe über den Hof zum Hühnerstall gehen.

      Es könnte alles ganz normal sein, es könnte sogar schön sein, ohne diese ständige und sinnlose Eifersucht. Ja, genau das ist es, diese Eifersucht macht alles kaputt. Beverly ging hinunter in die Küche. Was immer ihre Mutter da zusammenbraute, es duftete köstlich. „Wie geht’s dir, Mum?“ Sie schob Melinda ein kleines Bündel Geldscheine in die Schürzentasche und streichelte ihr unsicher über den Rücken. „Das gibst du nur für dich aus, Mum, kauf dir irgendwas Schönes, ja?“

      Mrs. Evans blickte auf. „Bevy, du weißt, dass ich nichts brauche. Peggy und Robert sorgen für mich.“

      „Ich will, dass du es nimmst, Mum. Kauf dir was Schönes zum Anziehen, irgendwas, nur für dich.“

      „Die Küche bräuchte einen neuen Anstrich, Farbe könnte ich kaufen.“ Beverly seufzte.

      „Hier sind die Eier, Mum“, Peggy hielt kurz inne, ihr argwöhnischer Blick sprang zwischen den beiden Frauen hin und her,.

      „Bevy, du hast ihr doch nicht schon wieder Geld gegeben“, sagte sie vorwurfsvoll.

      Melinda senkte schuldbewusst den Kopf.

      „Du kümmerst dich auch sonst nicht um Mum, also lass das! Sie hat alles, was sie braucht.“

      „Peggy, das ist unfair! Du weißt, dass ich