Morde zwischen Rhein und Themse. Rita M. Janaczek. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rita M. Janaczek
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783959591270
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trauernde Geliebte. Du hast es auch nicht gerafft, Evans.“

      Sie sah ihn völlig entnervt an. Im Profil seines Gesichtes erkannte sie Häme.

      „Ich hab euch Turteltauben vor einer Ewigkeit in einem Hauseingang rumknutschen sehen. Hab ’nen Kumpel in der Hackney Street abgeholt. ... Na ja, turteln ist nicht ganz das richtige Wort. Die Szene war eindeutig. So wie Edward an dir rumgefummelt hat. Er war spitz wie ein Straßenköter. Ich dachte, er reißt dir noch auf der Straße die Klamotten vom Leib. Brad und ich haben ’ne Weile zugesehen. War schon schwer, sich von dem Anblick loszureißen. Mein Gott, war das scharf.“

      Beverly glaubte, ihr würde schlecht, unwillkürlich griff sie sich an den Mund.

      „Glaubst du im Ernst, dass du die einzige warst, mit der er ins Bett gestiegen ist? Der war doch hinter jeder Braut her, die nicht bei drei auf ’nem Baum saß. Geschieht dir ganz recht. Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall, Evans.“

      Das Hotel war nicht einmal Mittelklasse, aber es machte einen sauberen Eindruck. Sie wurden freundlich empfangen. Beverly wollte jetzt nichts sehnlicher als allein sein, und Miller wünschte ihr süße Träume, bevor er an die Bar ging.

      Sie lag auf dem breiten Bett, ein Glas Wein auf dem Nachtschränkchen, sah an die Decke und fragte sich ernsthaft, warum sie jetzt über Millers Geschwafel nachdachte. Sie hatte sich doch geschworen, ja, Beverly, das hast du, nichts mehr auf sein Gerede zu geben. Er lästerte ständig über alles und jeden. Er hatte immer irgendeine peinliche Geschichte auf Lager. Nur jetzt gab es da einen kleinen Unterschied. Nun war klar, dass Miller über ihre Affäre mit Edward Bescheid wusste. Sie kannte ihn nur zu gut, um zu wissen, was passieren würde. Er würde sie nicht in Ruhe lassen. Er würde ihr ständig damit auf die Pelle rücken. Es gab jedoch einen Gedanken, der sie trotzdem beruhigte. Auch wenn Miller auf die Idee kommen sollte auszupacken, wer würde ihm die Geschichte abkaufen? Er hatte seinen speziellen Ruf. Er war der Gerüchtekoch des Yard. Niemand würde seinen Geschichten Glauben schenken. Also spar deine Kraft und reg dich bloß nicht über diesen Mist auf, morgen wird ein anstrengender Tag.

      Donnerstag, 7. März

      Es hatte aufgehört zu regnen. Ein paar zaghafte Sonnenstrahlen fanden den Weg durch die Wolken und spielten in den Vorhängen von Beverlys Zimmer. Sie brauchte einen Moment, um zu realisieren, wo sie sich befand. Augenblicklich drängte sich Millers Monolog vom Vorabend wieder in ihr Gedächtnis und trübte ihre ohnehin gedrückte Stimmung noch weiter. Hoffentlich hielt er heute seine verdammte Klappe, sonst konnte sie für nichts garantieren. Mit Befriedigung stellte sie fest, dass sich ihr Entsetzten und die Scham vom Abend allmählich in Wut verwandelten. Dieser Mistkerl, dieser elende Spanner! Sie duschte und zog sich an. Im Hotelrestaurant war schon ein Großteil der Tische besetzt, als sie hinunter kam. Miller war nicht da. Sie würde nicht auf ihn warten. Nimm es als besonderen Service des Hauses, nimm es als Service, dass du ohne ihn hier sitzen darfst. Es roch nach Rühreiern mit Speck, nach Tee und frischem Toast. Das Frühstück war erstaunlich gut, es hob ihre Laune. Während sie es sich schmecken ließ, schaute sie in die Straßenkarte. Als sie den letzten Schluck Tee nahm, kam Miller an ihren Tisch.

      „Wir können los.“ Er sah übernächtigt aus und roch nach Alkohol.

      „Willst du nicht frühstücken?“

      „Das ist Zeitverschwendung, morgens krieg ich sowieso nichts runter.“ Er schob sich eine Pfefferminzpastille in den Mund, während er ungeduldig von einem Fuß auf den anderen trat.

      „Wir müssen in Richtung Walsall aus der Stadt heraus und bei einer kleinen Kapelle rechts ab. Soll ich fahren?“

      „Kommt nicht in Frage. Ich lass mir doch von einer Frau nicht meinen Wagen ruinieren.“ Er schob sich eine zweite Pastille in den Mund, man konnte ja nie wissen, und schlurfte hinaus. D

      as Sonnenlicht glitzerte auf der schwarzen Nässe des Parkplatzes. Sie stiegen in Millers Wagen. Er grinste sie von der Seite an. Dabei schob er sich einen Zigarillo in den Mund, zündete ihn an und kurbelte das Seitenfenster herunter. Dann ließ er den Motor aufheulen, drehte das Radio laut, steuerte langsam auf die Straße und legte dort mit quietschenden Reifen einen Kavalierstart hin. Beverly seufzte gedehnt, unüberhörbar.

      Sie waren etwa zwanzig Minuten gefahren, als vor ihnen die Kapelle auftauchte. Sie war von einigen Bäumen umgeben, und lag eingebettet in einer Kurve. Das Moos, das sie vom Sockel bis zu den zerschlagenen Fenstern bedeckte, gab ihr ein verwittertes Aussehen. Hank trat so abrupt auf die Bremse, dass Beverly den Druck des Sicherheitsgurtes auf ihrem Körper spürte, bog ab und trat wieder aufs Gas. Der Weg schlängelte sich stark. Er war von hohen Beerensträuchern gesäumt. Miller schien Mühe zu haben die engen Kurven richtig einzuschätzen. Manchmal riss er am Lenker und es schien, als könnte die nächste auch die letzte Kurve für sie sein.

      Wenigstens hält er den Mund.

      Die Zufahrt endete auf einem riesigen Vorplatz. Ein prächtiges herrschaftliches Gebäude reckte sich vor ihnen in den Himmel. Zwei mächtige Säulen stützten das von Marmorlöwen bewachte Portal. Hier also sollte ein Junge eine Tat begangen haben, die Parallelen zu ihrem Fall aufwies. Niemand in diesem Haus wusste, dass Scotland Yard ihnen heute einen Besuch abstatten würde.

      „Die ehrwürdige Familie St. Williams. Alter englischer Adel“, spöttelte Miller, während er den Türklopfer betätigte.

      Es dauerte eine Weile, bis geöffnet wurde. Eine rundliche ältere Dame in einem schlichten Hauskleid öffnete die Tür. Ihre prallen Wangen waren von kleinen roten Äderchen durchzogen, ihre blauen, freundlichen Augen blickten durch die Gläser einer kleinen, schlichten Brille. „Sie wünschen bitte?“

      „Wir sind von Scotland Yard. Wir ermitteln in einem schwierigen Fall und möchten Sie um ihre Mithilfe bitten. Sie sind Victoria St. Williams?”

      „Nein”, sie lächelte. „Ich bin Maria Clement, die Hausdame. Sie sind nicht angemeldet“, stellte sie fest.

      „Nein, aber es ist dringend. Würden Sie uns bei Mrs. St. Williams ankündigen?“

      „Ich werde es versuchen. Ich werde mein Möglichstes tun. Kommen Sie doch bitte so lange in die Halle.“

      Die Eingangshalle war riesig. Alles war aus glänzendem, hellem Marmor, der Boden, die Wände, die riesige Treppe, über die Maria Clement jetzt nach oben verschwand. Beverly fiel auf, das es hier weder Teppiche, noch Blumen oder Bilder an den Wänden gab, der ganze Raum wirkte vollkommen entseelt.

      „Dieses vornehme Getue ist ja nicht auszuhalten, wenn ich...“

      Beverly ließ Miller nicht ausreden. „Wir sind zumindest schon im Flur. Ein bisschen Takt würde dir auch nicht schaden.“

      „Ekelhaft, dieses Adelspack, einfach nur ekelhaft.“

      „Tja, Hank, da musst du jetzt durch.“

      „Kommen Sie, bitte“, die Hausdame winkte ihnen über die Balustrade zu, „Sie können sie kurz sprechen.“

      Victoria St. Williams saß in einem riesigen Wohnzimmer, das von langen grünen Vorhängen verdunkelt war und eine beklemmende Atmosphäre ausstrahlte. Auf dem tadellos gepflegten Parkettboden lag ein kunstvoll gearbeiteter Orientteppich, der sicherlich ein Vermögen gekostet hatte. Der Raum war ringsum von Wandlampen schwach beleuchtet. Der hohe Kamin schien schon eine Ewigkeit nicht benutzt worden zu sein. Die Stirnwand des Zimmers hing voller Portraits. Schriftzüge darunter verrieten, dass sie die Ahnen der Familie St. Williams zeigten. An der rechten Wand stand ein mächtiger alter Schrank aus dunklem Holz, gerahmt von unzähligen Geweihen, gegenüber ein riesiger schwarzer Flügel. In der hintersten Ecke des Raumes saß Victoria St. Williams kerzengerade in einem übergroßen Sessel. Sie schien auf Besucher keinerlei Wert zu legen und demonstrierte dies durch die Tatsache, dass es hier keine weiteren Sitzmöbel gab. Ein kleines Tischchen mit einer edlen Porzellankanne und einer Tasse standen vor ihr. Victoria St. Williams war ausgemergelt, ihre