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Nach Fürst Andree kam Boris und forderte sie zum Tanz auf, dann auch jener Adjutant und Tanzordner und noch andere junge Leute. Natalie gab ihre überflüssigen Tänzer an Sonja ab und tanzte den ganzen Abend glücklich und strahlend. Sie bemerkte nichts und sah nichts von dem, was alle Welt auf dem Ball in Anspruch nahm. Sie bemerkte nicht, wie der Kaiser lange mit dem französischen Gesandten sprach, wie er besonders gnädig mit einer Dame sprach, was Prinz Soundso machte und sagte, welch großen Erfolg Helene hatte, sie sah auch nicht den Kaiser und bemerkte, daß er abgefahren war, erst daran, daß der Ball sich mehr belebte. Den Kotillon vor dem Souper tanzte Fürst Andree mit Natalie. Wie alle Leute, welche in der Welt aufgewachsen sind, schätzte er das, was nicht das allgemeine, weltliche Gepräge hatte, und eine solche Ausnahme war Natalie mit ihrer naiven Freude und Schüchternheit und ihrem fehlerhaften Französisch. Er sprach besonders zärtlich und bedächtig mit ihr über ganz einfache Gegenstände und ergötzte sich an dem freudigen Glanz ihrer Augen und ihrem Lächeln, das mit dem Gegenstand des Gesprächs nichts zu tun hatte, sondern aus ihrer innerlichen Glückseligkeit entsprang. Er beobachtete ihre schüchterne Grazie. Während des Kotillons hatte Natalie zwei Damen auszuwählen, Fürst Andree sah ihr nach, während sie durch den Saal ging.
»Wenn sie zuerst zu ihrer Cousine geht und dann nach einer anderen Dame, so wird sie meine Frau«, sagte Fürst Andree plötzlich zu sich selbst. Sie ging zuerst auf Sonja zu.
»Auf welchen Unsinn man zuweilen verfällt!« dachte Fürst Andree. »Aber dieses Mädchen besitzt wirklich eine so eigentümliche Liebenswürdigkeit und Grazie, daß sie kaum einen Monat tanzen, dann aber heiraten wird, das ist hier eine Seltenheit«, dachte er, als Natalie, die Rose auf ihrer Brust feststeckend, sich neben ihn setzte. Am Ende des Kotillons trat der alte Graf in seinem blauen Frack zu den Tanzenden, lud Fürst Andree ein, ihn zu besuchen, und fragte die Tochter, ob sie vergnügt gewesen sei. Natalies Blicke antworteten: »Wie kann man so fragen?«
»So vergnügt wie nie in meinem Leben«, erwiderte sie, und Fürst Andree bemerkte, wie rasch sich ihre dünnen Arme erhoben, um ihren Vater zu umarmen. Sie befand sich auf jener höchsten Stufe der Glückseligkeit, wo der Mensch vollkommen gut und edel wird und nicht an die Möglichkeit des Bösen, des Unglücks und des Kummers glaubt.
Auf diesem Balle fühlte sich Peter zum erstenmal verletzt durch die Stellung, die seine Frau in den höchsten Sphären einnahm. Zerstreut und finster blickte er durchs Fenster hinaus.
Als Natalie an ihm vorüberging, fiel ihr sein düsteres, unglückliches Gesicht auf. Sie blieb stehen, sie wünschte ihm zu helfen und ihm etwas von dem Überfluß ihres Glückes abzutreten.
»Wie prächtig, wie heiter, Graf!« sagte sie. »Nicht wahr?«
Peter lächelte zerstreut; er hatte augenscheinlich nichts verstanden.
»Ja, ich bin sehr erfreut«, sagte er.
»Wie ist es möglich, daß man über irgend etwas unzufrieden sein kann?« dachte Natalie, »besonders ein so guter Mensch, wie dieser Besuchow.« In den Augen Natalies waren alle auf diesem Balle Anwesenden ohne Ausnahme gute, liebenswürdige, prächtige Menschen, die alle einander liebten und sich nicht beleidigen konnten, und darum alle glücklich sein mußten.
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Am andern Tage machte Fürst Andree Besuche in verschiedenen Häusern, wo er noch nie gewesen war und darunter auch bei Rostows. Es waren nicht nur die Gesetze der Höflichkeit, die in ihm den Wunsch rege machten, dieses lebhafte, eigentümliche Mädchen zu Hause zu sehen.
Natalie begegnete ihm zuerst. Sie trug ein blaues Hauskleid, in dem sie Fürst Andree noch vorteilhafter erschien als im Ballstaat. Fürst Andree wurde wie ein alter Freund, einfach und herzlich empfangen. Die ganze Familie, welche Fürst Andree früher so streng beurteilt hatte, erschien ihm jetzt in vorteilhaftem Licht. Der alte Graf lud ihn so herzlich zu Tisch ein, daß er nicht ablehnen konnte.
»Ja, es sind gute, vortreffliche Menschen«, dachte er. »Natürlich haben sie keine Ahnung davon, welchen Schatz sie in Natalie besitzen.«
Nach Tisch ging Natalie auf Fürst Andrees Bitte zum Klavier und sang. Fürst Andree stand beim Fenster und sprach mit den Damen, während er zuhörte. Plötzlich verstummte er und fühlte, wie Tränen in seine Kehle traten. Etwas Neues, Glückseliges ging beim Anblick Natalies in ihm vor. Er hatte durchaus keine Ursache zu weinen; war aber nahe daran. Warum? Um seine frühere Liebe? Um die kleine Fürstin? Um seine Enttäuschungen oder wegen seiner Hoffnungen für die Zukunft? … Ja und nein.
Als Natalie aufgehört hatte, zu singen, fragte sie ihn, wie ihm ihre Stimme gefalle und wurde darauf selbst verlegen über ihre Frage. Er lächelte und sagte, ihr Gesang gefalle ihm ebensogut wie alles, was sie tue. Spät am Abend kam Fürst Andree nach Hause und legte sich schlafen, sah aber bald ein, daß er nicht schlafen konnte. So freudig war ihm zumute als ob er aus einem dumpfen Zimmer in das freie Tageslicht gekommen wäre. Er dachte nicht an sie, er dachte nicht, daß er verliebt sei. Zum erstenmal nach langer Zeit begann er glückselige Pläne für die Zukunft zu machen. Er wollte sich der Erziehung seines Sohnes widmen und ihm einen Erzieher suchen, dann Urlaub nehmen und ins Ausland reisen, nach England, Italien und der Schweiz.
»Ich muß meine Freiheit benutzen, solange ich noch so viel Jugendkraft in mir fühle«, sagte er zu sich selbst. »Peter hatte recht, als er sagte, man müsse an die Möglichkeit des Glückes glauben, um glücklich zu sein, und jetzt glaube ich daran. Lasset die Toten ihre Toten begraben; solange man lebt, muß man leben und glücklich sein.«
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Am andern Tage erschien Fürst Andree wieder bei Rostows zu Tisch, da ihn der alte Graf dringend eingeladen hatte, und brachte den ganzen Tag dort zu. Alle im Hause wußten, warum der Fürst kam, und er suchte auch unverhohlen Natalies Gesellschaft. Die Gräfin blickte besorgt und mit ernster Miene den Fürsten an, wenn er mit Natalie sprach, und machte schüchtern einige undeutliche Bemerkungen, sowie er sich nach ihr umsah. Sonja fürchtete sich, Natalie zu verlassen, fürchtete aber auch, überflüssig zu sein, wenn sie bei ihr blieb. Natalie erbleichte in freudiger Erwartung, wenn sie auf einen Augenblick mit ihm allein blieb. Sie war erstaunt über Andrees Schüchternheit und fühlte, daß er ihr etwas sagen wollte, sich aber nicht dazu entschließen konnte.
Als der Fürst abends nach Hause fuhr, rief die Gräfin Natalie zu sich und fragte sie flüsternd: »Nun, was?«
»Mama, ich bitte Sie, fragen Sie mich jetzt nicht; ich kann nicht sprechen«, sagte Natalie.
Aber an diesem Abend lag Natalie bald aufgeregt, bald erschrocken mit starren Augen lang auf dem Bette der Mutter. Sie erzählte, wie er sie belobt habe, wie er ihr erzählt hatte, er werde ins Ausland reisen, und gefragt habe, wo sie diesen Sommer zubringen werden. Dann habe er sie nach Boris gefragt. »Aber solch ein Gefühl habe ich niemals gehabt«, sagte sie. »Ich fürchte mich immer in seiner Gegenwart! Was bedeutet das? Mama, schlafen Sie?«
»Nein, mein Kind. Ich bin selbst in Angst«, erwiderte sie.
»Nun, ich werde schlafen. Was ist das für eine Dummheit, zu schlafen! Mama, Mama, konnten wir das denken! Er mußte auch jetzt gerade nach Petersburg kommen, wo wir hier leben! Und dann mußten wir ihn auf dem Ball treffen. Das ist Schicksalsfügung! Schon damals, als ich ihn sah, hatte ich ein eigentümliches Gefühl.«
»Was hat er dir noch gesagt? Lies