Das Hoffräulein war schon bereit, gewaschen, parfümiert, gepudert und geschminkt, trotz ihres Alters und ihrer Häßlichkeit. Auch ihre alte Zofe bewunderte entzückt ihre Toilette, als sie mit gelbem Kleid und einer Schärpe in den Salon trat. Man bewunderte gegenseitig die Toiletten und den Geschmack und um elf Uhr bestieg man vorsichtig den Wagen und fuhr ab.
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Beim Eintritt in den ersten Saal wurde Natalie betäubt von dem gleichmäßigen Geräusch der Stimmen und Schritte und geblendet vom Lichtglanz. Der Herr und die Dame des Hauses, welche schon seit einer halben Stunde an der Eingangstür standen und jedem Gast immer dieselben Worte wiederholten: »Sehr erfreut! Sehr erfreut, Sie zu sehen!« empfingen auch Rostows und das Hoffräulein. Im Saal drängten sich die Gäste bei den Eingangstüren in Erwartung des Kaisers. Die Gräfin nahm in den ersten Reihen Platz. Natalie hörte, wie mehrere Stimmen nach ihr fragten. Das alte Hoffräulein bezeichnete der Gräfin die bedeutendsten Persönlichkeiten unter den Anwesenden.
»Hier ist der holländische Gesandte«, sagte sie und deutete nach einem Greis mit silbergrauen Haaren, »und hier ist die Beherrscherin von Petersburg, die Gräfin Besuchow!«
»Wie schön!«
»Sehen Sie, wie die jungen und alten Leute sie bewundern! Sie ist schön und geistreich, man sagt, der Prinz… sei wahnsinnig in sie verliebt! Aber diese zwei dort, obgleich sie nicht hübsch sind, werden noch mehr bestürmt.«
Sie deutete auf eine Dame, welche durch den Saal ging mit einer sehr häßlichen Tochter.
»Das ist eine Millionenerbin«, sagte das Hoffräulein, »und da kommen auch Freier. – Das ist der Bruder der Gräfin Besuchow, Anatol Kuragin«, sagte sie und deutete nach einem hübschen Offizier der Chevaliergarde, der mit hocherhobenem Kopf bei ihnen vorüberging und über die Damen wegblickte. »Wie schön! Nicht wahr? Man sagt, er werde diese reiche Erbin heiraten. Und da ist Ihr Vetter Drubezkoi, der ihr auch sehr den Hof macht; man sagt, sie habe Millionen. Da kommt auch der französische Gesandte, sieht aus wie der Kaiser, aber diese Franzosen sind doch sehr nett. Und hier dieser Dicke mit der Brille, das ist der Allerweltsfreimaurer«, fuhr das Hoffräulein fort, als sie Besuchow erblickte. »Stellen Sie ihn neben seine Frau – die reine Vogelscheuche!«
Peter wälzte seinen dicken Körper weiter und nickte nachlässig und gleichmütig nach rechts und links. Er schien jemand zu suchen. Natalie sah erfreut das bekannte Gesicht Peters und wußte, daß Peter die Ihrigen und besonders sie selbst in der Menge suchte, er hatte ihr versprochen, auf dem Ball zu sein und ihr Tänzer vorzustellen. Doch Peter kam nicht, sondern blieb vor einem kleinen, sehr hübschen Offizier in weißer Uniform stehen, der am Fenster mit einem hochgestellten Herrn mit Sternen und Ordensband sprach. Natalie erkannte sogleich den kleinen jungen Mann in der weißen Uniform. Es war Bolkonsky, welcher ihr sehr vergnügt und hübscher geworden zu sein schien.
»Da ist noch ein Bekannter, Bolkonsky! Sehen Sie, Mama!« sagte Natalie, nach dem Fürsten Andree deutend.
»Ach, Sie kennen ihn?« fragte das Hoffräulein. »Ich kann ihn nicht ausstehen! Alle Welt ist jetzt vernarrt in ihn! Und ein Stolz ohne Grenzen, er gleicht seinem Vater! Hat sich an Speransky gehängt und schreibt Prospekte. Sehen Sie, wie er sich gegen Damen benimmt! Sie spricht mit ihm und er kehrt sich um! Ich würde ihn abtrumpfen, wenn er sich gegen mich so benehmen würde wie gegen diese Damen.«
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Plötzlich geriet alles in Bewegung. Die Menge teilte sich und in der dadurch entstandenen Gasse erschien bei den Klängen des Orchesters der Kaiser, gefolgt von dem Herrn und der Dame des Hauses. Der Kaiser grüßte nach rechts und links. Die Musik spielte eine Polonäse. Während der Kaiser in den Saal trat, wogte die Menge an den Türen, einige Personen eilten hastig mit aufgeregten Mienen dahin und dorthin, dann wogte die Menge wieder von der Saaltür zurück, in welcher der Kaiser erschien, im Gespräch mit der Dame des Hauses. Ein junger Mann mit ganz aufgeregtem Gesicht stürzte auf einige neugierige Damen zu, die sich allzusehr vordrängten, ohne auf ihre Toilette Rücksicht zu nehmen, und bat sie, zurückzutreten. Ein Schwarm von Generalen, Gesandten, Ministern folgte dem Kaiser. Mehr als die Hälfte der Damen hatten Tänzer und schritten in der Polonäse mit. Natascha ließ ihre dünnen Arme hängen, und während ihr unbestimmter Busen sich gleichmäßig hob und senkte, blickte sie mit glänzenden, erschreckten Augen auf die Menge. Sie sah nicht den Kaiser, noch alle die vornehmen Personen, welche das alte Hoffräulein nannte, nur ein Gedanke nahm sie ein: »Wird wirklich niemand zu mir kommen? Werde ich nicht mit den ersten tanzen? Bemerkt mich keiner dieser Herren, welche jetzt mich nicht zu sehen scheinen? Nein, das kann nicht sein!« dachte sie. »Sie müßten wissen, wie gern und wie schön ich tanze!«
Die Klänge der Polonäse, die ziemlich lange dauerte, klangen traurig in ihren Ohren, sie war dem Weinen nahe. Das Hoffräulein verließ sie, der Graf war am anderen Ende des Saales, die Gräfin stand mit Sonja und Natalie allein, wie im Walde, in dieser fremden Menge, von niemand beachtet.
Fürst Andree ging mit einer Dame an ihnen vorüber und erkannte sie nicht. Der schöne Anatol sagte lächelnd etwas zu der Dame, die er führte, und blickte Natalie mit einer Miene an, als ob er die Wand ansähe. Boris kam zweimal an ihnen vorüber und wandte sich jedesmal ab. Berg und seine Frau, welche nicht tanzten, traten auf sie zu, aber Natalie sah sie nicht an. Endlich blieb der Kaiser neben seiner dritten Tänzerin stehen, die Musik schwieg. Ein geschäftiger Adjutant eilte auf die Gräfin zu und bat sie, noch mehr zurückzutreten, obgleich sie schon an der Wand standen. Jetzt ertönten die verführerischen, gemessenen Klänge eines Walzers. Der Kaiser blickte sich lächelnd im Saale um, eine Minute verging, niemand fing an. Der diensteifrige Adjutant und Tanzordner trat auf die Gräfin Besuchow zu und lud sie zum Tanze ein. Lächelnd erhob sie den Arm und legte ihn auf die Schulter des Adjutanten, ohne ihn anzusehen. Der Adjutant, ein Meister des Tanzes, umfaßte die Dame und begann nachlässig, mit gemessenen Schritten eine Glissade, dann an der Ecke des Saales ergriff er ihre linke Hand, wandte sich um, und unter den sich beschleunigenden Klängen der Musik hörte man nur das gemessene Klirren der Sporen an den schnellen und gewandten Füßen des Adjutanten. Natalie sah nach ihnen und war dem Weinen nahe.
Der Fürst Andree in seiner weißen Oberstenuniform mit Strümpfen und Schuhen stand heiter angeregt in den ersten Reihen des Kreises, nicht weit von Rostow. Baron Vierhof sprach mit ihm über die gestrige Sitzung des Staatsrats, aber Andree hörte nicht darauf und blickte bald nach dem Kaiser, bald nach den Tänzern, die nicht in den Kreis zu treten wagten. Peter kam auf Fürst Andree zu und erfaßte ihn am Arm.
»Sie tanzen ja immer! Dort ist mein Schützling, die kleine Rostow, fordern Sie sie auf!« sagte er.
»Wo?« fragte Bolkonsky. »Entschuldigen Sie«, sagte er zu dem Baron, »wir werden dieses Gespräch an einer andern Stelle fortsetzen, auf dem Balle aber muß man tanzen!« Er ging in der Richtung, welche Peter ihm anzeigte, und erblickte bald das verzweifelte Gesichtchen Natalies. Jetzt erkannte er sie und erriet ihre Gefühle. Mit einer tiefen Verbeugung gegen die Gräfin trat er auf Natalie zu und erhob den Arm, um ihre Taille zu umfassen, noch ehe er seine Aufforderung zum Tanz ausgesprochen hatte. Natalies betrübte Miene erhellte sich mit einem glücklichen, dankbaren, kindlichen Lächeln.
»Schon lange habe ich dich erwartet«, sagten ihre in Tränen schimmernden Augen, indem sie ihren Arm auf die Schulter des Fürsten Andree legte. Sie waren das zweite Paar, das in den Kreis trat. Fürst Andree war einer der vortrefflichsten Tänzer seiner Zeit, und Natalie tanzte nicht minder vorzüglich, und ihre Füßchen in den Atlastanzschuhen taten leicht und ganz unabhängig von ihr ihre Pflicht, während ihr Gesicht in Entzücken strahlte. Ihr entblößter Hals und ihre Arme waren hager und nicht schön im Vergleich mit den Schultern Helenes, aber auf Helene schien durch die tausend Blicke, welche