Als er die Papiere seiner verstorbenen Frau durchsah, fühlte er nur tiefes Mitleid für sie, weil sie das Glück, das er jetzt kannte, nicht kennengelernt hatte. Fürst Wassil, der jetzt einen neuen Rang und Orden erhalten hatte und besonders stolz darüber war, erschien ihm als ein rührender, guter Greis.
Oft erinnerte sich Peter später an diese Zeit glücklicher Geistesabwesenheit. »Vielleicht«, dachte er dann, »bin ich damals lächerlich und seltsam gewesen, aber ich war damals nicht so unvernünftig wie es schien, im Gegenteil, ich war damals klüger und scharfsinniger als jemals und begriff alles, was im Leben wert ist, begriffen zu werden, weil… ich glücklich war!«
257
Seit jenem Abend, wo Natalie mit freudig spöttischem Lächeln zu Marie gesagt hatte, er sei wie frisch aus dem Bade gekommen, war in der Seele Natalies etwas Verborgenes und ihr Unbekanntes erwacht. Ihr Gesicht, ihre Stimme – alles hatte sich plötzlich verändert. Eine ihr selbst unerwartete Lebenskraft und die Hoffnungen auf künftiges Glück verlangten Befriedigung. Sie klagte nicht mehr über ihre Lage, sprach nicht von ihrer Vergangenheit und machte heitere Pläne für die Zukunft. Sie sprach wenig von Peter, aber wenn Fürstin Marie an ihn erinnerte, flammte in ihren Augen der längst erloschene Glanz wieder auf. Marie bemerkte die Veränderung an Natalie mit Verwunderung, und als sie ihre Veranlassung begriff, sogar mit Zürnen. »Hat sie wirklich Andree so wenig geliebt, daß sie ihn so schnell vergessen konnte?« dachte sie, aber in Gegenwart von Natalie zürnte sie ihr nicht mehr. Die erwachte Lebenskraft Natalies war augenscheinlich so unwiderstehlich, daß die Fürstin Marie ihr nicht grollen konnte. Als Marie an jenem Abend nach dem Gespräch mit Peter in ihr Zimmer ging, kam ihr Natalie auf der Schwelle entgegen.
»Hat er gesprochen? Ja, hat er gesprochen?« wiederholte sie, und ein Ausdruck der Freude und zugleich der Bitte um Verzeihung erschien auf ihrem Gesicht. »Ich wollte an der Tür horchen, aber ich wußte, daß du mir alles sagen wirst.« Natalie verwunderte sich, als sie hörte, daß Peter nach Petersburg reisen wolle. »Nach Petersburg?« wiederholte sie. Beim Anblick der kummervollen Miene Maries erriet sie die Veranlassung dieser Betrübnis und brach in Tränen aus. »Marie«, sagte sie, »was soll ich tun? Ich fürchte schlecht zu handeln, was du sagst, werde ich tun, rate mir!«
»Du liebst ihn?«
»Ja«, flüsterte Natalie.
»Warum weinst du dann? Ich freue mich für dich!« sagte Marie, welche Natalie für diese Tränen ihre Freude verzieh.
»Es wird nicht schnell sein, später einmal! Aber bedenke, welches Glück, wenn ich seine Frau sein werde, und du Nikolai heiratest!«
»Natalie, ich habe dich gebeten, nicht davon zu sprechen.«
Sie schwiegen.
»Aber warum nach Petersburg?« fragte Natalie plötzlich und antwortete selber hastig darauf: »Nein, nein, es mußte so sein! Nicht wahr, Marie?«
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