»Was gibt es?« fragte Napoleon.
»Ein Kosak, den man gefangen hat, sagt, die Truppen Platows vereinigen sich mit der Hauptarmee, und Kutusow sei zum Obergeneral ernannt worden. Der Bursche ist sehr gesprächig und scheint intelligent zu sein.«
Napoleon lächelte, befahl, dem Kosaken ein Pferd zu geben und ihn herzuführen, um das Vergnügen zu haben, ihn selbst zu verhören. Einige Adjutanten galoppierten davon, um den Befehl auszuführen, und einen Augenblick darauf erschien unser alter Bekannter Lawruschka, Rostows Diener, im Anzug eines Offizierburschen zu Pferd, auf einem französischen Kavalleriesattel. Napoleon ließ ihn neben sich reiten, um ihn zu befragen.
»Du bist Kosak?« fragte er.
»Ja, Euer Wohlgeboren.«
»Der Kosak wußte nicht, in welcher Gesellschaft er sich befand – denn das einfache Wesen Napoleons entsprach nicht seiner Vorstellung von einem Selbstherrscher« – erzählt Monsieur Thiers, »und sprach mit der größten Zutraulichkeit über den Krieg.«
Lawruschka war etwas angetrunken. Er war am Tage vorher von seinem Herrn durchgeprügelt worden, weil er nicht rechtzeitig für Mittagessen gesorgt hatte. Deswegen war er in ein Dorf gegangen, um Hühner zu stehlen und war dabei von den Franzosen erwischt worden. Lawruschka hatte viel in seinem Leben gesehen und war eine jener dreisten, aufgeweckten Naturen, welche stets zu allen möglichen Verlogenheiten und Täuschungen bereit sind.
Er hatte Napoleon sofort erkannt und suchte sich dessen Gunst zu sichern, ohne sich im geringsten einschüchtern zu lassen.
Er erzählte, was er von seinen Kameraden gehört hatte, aber als Napoleon ihn fragte, ob die Russen Bonaparte zu besiegen glaubten, witterte er eine Schlinge in dieser Frage und überlegte mit zusammengezogenen Augenbrauen.
»Wenn es bald eine Schlacht gibt«, erwiderte er, »dann ist es möglich, aber wenn drei Tage vorübergehen, ohne daß es zur Schlacht kommt, so zieht es sich in die Länge.«
Dieser sibyllinische Ausspruch wurde vom Dolmetscher dem Kaiser übersetzt wie folgt: »Wenn die Schlacht vor Ablauf von drei Tagen geliefert werde, so werden die Franzosen gewinnen, aber wenn sie später stattfinde, so könne Gott wissen, wie es kommen werde.«
Napoleon, der sich in vortrefflicher Laune befand, hörte dieses Orakel, ohne zu lachen, an und ließ es sich wiederholen. Lawruschka bemerkte es und stellte sich noch immer, als ob er nicht wisse, mit wem er spreche. »Wir wissen wohl, daß ihr einen großen Napoleon habt, der die ganze Welt besiegt hat, aber bei uns wird ihm das nicht so leicht werden«, sagte er.
»Die Antwort des Kosaken machte den Kaiser lachen«, erzählt Monsieur Thiers. Er machte einige Schritte vorwärts, lachend sagte er zu Berthier, er wünsche den Eindruck zu sehen, den auf diesen Steppensohn die Nachricht machen werde, daß er mit dem Kaiser spreche, mit demselben Kaiser, der auf die Pyramiden seinen siegreichen Namen geschrieben hatte.
Als man das Lawruschka sagte, erriet dieser sogleich, daß Napoleon erwarte, ihn vor Schrecken starr zu sehen, und spielte seine Rolle sehr gut. Er verdrehte die Augen und machte ein ganz verdutztes Gesicht mit dem Ausdruck, der ihm gewohnt war, wenn er zur Strafe für irgendein Vergehen einige Rutenstreiche erhalten sollte. Napoleon beschenkte ihn, entließ ihn und setzte seinen Weg fort, nur von dem Gedanken an dieses Moskau erfüllt, während Lawruschka zu dem Vorposten zurückkehrte und über die phantasievolle Geschichte nachdachte, die er seinen Kameraden erzählen wollte. Es genügte ihm nicht, nur die einfache Wahrheit zu erzählen. Lawruschka kam am Abend bei seinem Regiment an, in dem Augenblick, wo Rostow zu Pferde stieg, um mit Ilin einen Streifzug in der Umgebung zu machen. Lawruschka erhielt den Befehl, ihnen zu folgen.
154
Die Fürstin Marie befand sich nicht in Moskau in Sicherheit, wie Fürst Andree glaubte. Als Alpatitsch aus Smolensk zurückkam, erwachte der Fürst wie aus einer Betäubung. Er versammelte den Landsturm und schrieb dem Obergeneral, er sei entschlossen, in Lysy Gory zu bleiben und es aufs äußerste zu verteidigen, und er überlasse es ihm, Maßregeln zum Schutze eines Ortes zu ergreifen, wo einer der ältesten russischen Generale gefangengenommen oder getötet werden werde, oder nach seinem Belieben dies zu unterlassen. Dann kündigte er feierlich dem ganzen Hause seine Absicht an, Lysy Gory nicht zu verlassen. Seine Tochter sollte den kleinen Fürsten nach Bogutscharowo mit sich nehmen, und er traf sogleich Anordnungen für ihre Abreise mit Desalles. Die Fürstin Marie war durch diese fieberhafte Tätigkeit beunruhigt und konnte sich nicht entschließen, den alten Fürsten allein zu lassen. Zum erstenmal in ihrem Leben erlaubte sie sich, ungehorsam zu sein. Ihre Weigerung, abzureisen, hatte eine sehr heftige Szene zur Folge. Der alte Fürst überhäufte sie mit den schrecklichsten Vorwürfen. Sie habe sein Dasein vergiftet, ihn mit seinem Sohn entzweit und ihn abscheulich verleumdet, schrie er, sie solle sein Zimmer verlassen und machen, was sie wolle, er wolle sie nicht mehr kennen, und sie solle sich vor seinen Augen nicht wieder zeigen. Die Fürstin Marie war froh, daß sie nicht mit Gewalt in einen Wagen gesetzt und fortgefahren wurde, und sah darin einen unverkennbaren Beweis dafür, daß ihr Entschluß, bei ihm zu bleiben, ihn sehr befriedigte. Am Tage nach der Abreise seines Enkels zog der alte Fürst seine große Uniform an und machte sich auf den Weg, den Obergeneral aufzusuchen. Sein Wagen war vorgefahren. Marie bemerkte, wie er, ganz mit Orden bedeckt, nach einer Allee des Gartens ging, um dort die Bauern und die Dienerschaft, die er bewaffnet hatte, zu besichtigen. An ihrem Fenster sitzend, hörte sie gespannt auf die Befehle, die er gab, als plötzlich einige Leute mit bestürzten Gesichtern auf das Haus zugelaufen kamen. Sie eilte sogleich hinaus in die Allee und erblickte einen Haufen von Bauern und inmitten derselben den alten Fürsten, welcher, unterstützt von einigen Leuten, sich mühsam nach dem Hause schleppte. Als sie näher kam, war sie tief ergriffen. Seine harte, entschlossene Miene hatte einen Ausdruck von Kraftlosigkeit und Unterwürfigkeit angenommen. Beim Anblick seiner Tochter bewegte er seine Lippen, aus welchen rauhe, unverständliche Töne hervorkamen. Man trug ihn in sein Kabinett und legte ihn auf den Diwan.
Der Arzt, welcher aus der Stadt geholt wurde, pflegte ihn die ganze Nacht und erklärte, die rechte Seite sei durch einen Schlag gelähmt worden. Der Aufenthalt in Lysy Gory wurde mit jedem Augenblick gefährlicher, deshalb ließ Marie den Kranken nach Bogutscharowo bringen und schickte ihren Neffen nach Moskau unter der Obhut von Desalles.
Der alte Fürst brachte drei Wochen im Hause seines Sohnes zu, immer in demselben Zustand. Er lag regungslos in halber Bewußtlosigkeit da und murmelte zuweilen unverständliche Worte. Es war nicht zu verstehen, ob er von Familienangelegenheiten oder von politischen Ereignissen sprechen wollte.
Der Arzt sagte, diese Aufregung habe nichts zu bedeuten und rühre von physischen Ursachen her, aber die Fürstin Marie war vom Gegenteil überzeugt, und die Unruhe, die der Kranke zeigte, wenn sie zugegen war, bestärkte sie darin.
Es war keine Hoffnung auf Genesung mehr, und es war unmöglich, ihn weiterzubringen, da man befürchtete, daß er unterwegs sterben würde.
»Wäre das Ende nicht besser als dieser Zustand?« sagte sich zuweilen Marie. Zu ihrem Schrecken konnte sie sich nicht verhehlen, daß alle ihre Hoffnungen, die sie seit so vielen Jahren vergessen hatte, plötzlich wieder erwachten, daß sie an ein unabhängiges Leben, voll neuer Freude, frei von dem Joch der väterlichen Tyrannei, dachte. Die Möglichkeit, zu lieben und endlich das eheliche Glück zu genießen, schwebte ihr beständig in ihrer Einbildungskraft vor wie Dämonen der Versuchung. Dann war das Gebet ihr einziger Trost. Jetzt war der Aufenthalt in Bogutscharowo auch nicht mehr ungefährlich, die Franzosen näherten sich,