Peter war schon am frühen Morgen gekommen und fühlte sich sehr unbehaglich in seiner engen Uniform. Er war in Aufregung. Die ungewöhnliche Versammlung, nicht nur des Adels, sondern auch der Kaufmannschaft, erweckte in ihm längst vergessene Ideen von einer Beratung des Kaisers mit seinem Volk, von einer Konstitution und der französischen Revolution. Das kaiserliche Manifest wurde vorgelesen und rief Begeisterung hervor, und dann gingen alle schweigend umher. Peter hörte, wie man darüber sprach, wo die Adelsmarschälle stehen sollen, wenn der Kaiser eintrete, wann man dem Kaiser einen Ball geben werde, ob man sich nach Kreisen oder nach Gouvernements aufstellen solle und so weiter. Sobald aber die Rede auf den Krieg kam, war alles unentschlossen und unklar.
Ein schöner Mann in der Uniform eines verabschiedeten Marineoffiziers sprach in einem der Säle, und man drängte sich um ihn. Peter hörte zu und überzeugte sich, daß er wirklich ein Liberaler war, aber in ganz anderem Sinn, als Peter geglaubt hatte. Es war die Rede von der Einberufung des Landsturms.
»Wenn die Adelsversammlung es nötig findet, so kann sie ihre Ergebenheit für den Kaiser auf andere Weise betätigen. Wir haben den Landsturm vom Jahre 1807 noch nicht vergessen. Hat er etwa dem Vaterlande Nutzen gebracht? Nicht im geringsten! Und was zu uns zurückkehrt, ist weder Soldat noch Bauer, sondern verworfenes Gesindel. Lieber eine Aushebung! Der Adel scheut keine Opfer, wir geben selbst alles und stellen noch Rekruten, und wenn der Kaiser ruft, sterben wir alle für ihn!« rief der Redner.
Der Graf Rostow hörte mit Begeisterung zu und stieß Peter an. Peter wollte auch reden, obgleich er nicht wußte, was. Er öffnete eben den Mund, als ein Senator mit klugem und boshaftem Gesicht, der neben ihm stand, Peter unterbrach.
»Ich vermute, meine Herren«, sagte er leise, »daß wir berufen sind, nicht um zu überlegen, was für das Reich am besten sei, Aushebung oder Landsturm, sondern um auf den Aufruf zu antworten, dessen uns der Kaiser gewürdigt hat. Was besser ist, Aushebung oder Landsturm, das überlassen wir der höchsten Gewalt zu beurteilen …«
Jetzt fand Peter plötzlich einen Ausweg für seine Aufregung, er war erzürnt auf den Senator, über seine Pedanterie und Engherzigkeit.
»Entschuldigen Sie mich, Exzellenz«, begann Peter, »wenn ich damit nicht übereinstimme.« Er kannte den Senator sehr wohl, hielt es aber für notwendig, einen offiziellen Ton zu beobachten. »Aber ich glaube, es ist die Pflicht der Adelsversammlung, nicht nur ihre Begeisterung auszudrücken, sondern auch jene Maßregeln zu überlegen, mit denen wir dem Vaterland helfen können. Ich vermute«, fuhr er noch lebhafter fort, »daß der Kaiser selbst unzufrieden wäre, wenn er in uns nur die Besitzer von Leibeigenen finden würde, die wir ihm als Kanonenfutter geben, und bei uns keinen Rat finden würde!«
Viele, welche ein verächtliches Lächeln des Senators bemerkten, verließen den Kreis. Nur Graf Rostow war zufrieden mit Peters Rede, wie er mit der des Marineoffiziers, des Senators und überhaupt immer mit der zuletzt gehaltenen Rede einverstanden war.
»Ich bin der Meinung, ehe wir diese Frage erörtern«, fuhr Peter fort, »sollten wir Seine Majestät ehrerbietig bitten, uns mitzuteilen, wieviel Truppen wir haben, und in welchem Zustand sie sich befinden, und dann…«
Kaum hatte Peter diese Worte gesprochen, als man von drei Seiten zugleich ihn anfiel. Am giftigsten war einer seiner alten Bekannten, der so oft freundschaftlich Boston mit ihm gespielt hatte, namens Adraxin. Er trug auch Uniform und erschien Peter darin ganz fremdartig. Mit boshaftem, verzerrtem Gesicht schrie er Peter an.
»Erstens muß ich Ihnen sagen, daß wir nicht das Recht haben, Seine Majestät danach zu fragen, und zweitens, wenn der russische Adel auch das Recht hätte, so könnte der Kaiser uns diese Frage nicht beantworten. Die Truppen bewegen sich je nach den Bewegungen des Feindes, manche fallen oder werden verwundet.«
»Es ist jetzt nicht Zeit zu überlegen«, schrie ein anderer, den Peter als schlechten Kartenspieler kannte, »man muß handeln! In Rußland herrscht Krieg, unser Feind ist gekommen, um Rußland zu vernichten und die Gräber unserer Väter zu beschimpfen, um Frauen und Kinder fortzuführen!« Dabei schlug sich der Mann auf die Brust. »Aber wir stehen alle wie ein Mann, alle für unser Väterchen, den Zar!« schrie er.
Einige beistimmende Zurufe kamen aus der Menge.
»Wir sind Russen und sparen nicht unser Blut für die Verteidigung des Glaubens, des Thrones und des Vaterlandes, aber unnütze Reden müssen wir unterlassen, wenn wir Söhne des Vaterlandes sind! Wir werden Europa zeigen, wie Rußland aufsteht für Rußland!« schrie er.
»Bravo! Bravo! So ist’s!« schrien einige.
Peter wollte erwidern, er scheue keine Opfer, aber er kam nicht mehr zum Wort und wurde sogar grob unterbrochen. Man wandte sich von ihm ab wie von einem gemeinschaftlichen Feind. Dies geschah nicht, weil man mit seiner Rede unzufrieden war, welche nach den vielen anderen angehörten Reden bereits wieder vergessen war. Aber die Menge verlangte einen greifbaren Gegenstand der Liebe und einen greifbaren Gegenstand des Abscheus, und Peter wurde letzteres. Es folgten noch viele Redner, manche sprachen auch gut und originell.
150
In diesem Augenblick trat Graf Rostoptschin in Generalsuniform ein.
»Seine Majestät wird gleich hier sein«, sagte er. »Ich komme eben von dort, ich denke, in jetziger Lage gibt es nicht viel zu überlegen. Der Kaiser hat geruht, uns und die Kaufmannschaft einzuberufen, von dorther fliegen die Millionen!« Dabei zeigte er nach dem Saale der Kaufleute. »Unsere Sache ist es, den Landsturm aufzustellen, das ist das Geringste, was wir tun können.«
Es folgte eine kurze, leise Beratung, dann wurde der Sekretär beauftragt, einen Beschluß der Moskauer Adelsversammlung zu protokollieren, wonach der Adel zehn Mann auf tausend stellen wolle mit voller Ausrüstung. Die Herren, welche am Tisch saßen, erhoben sich geräuschvoll und gingen im Saal auf und ab.
»Der Kaiser! Der Kaiser!« hieß es plötzlich und die ganze Menge drängte nach dem Eingang.
In der breiten Gasse, welche die Versammelten gebildet hatten, trat der Kaiser in den Saal. Auf allen Gesichtern erschien Ehrfurcht und furchtsame Neugierde. Peter stand zu fern, um die Rede des Kaisers ganz zu verstehen, er begriff nur, daß der Kaiser von der Gefahr des Vaterlandes sprach und von den Hoffnungen, welche er auf den Moskauer Adel gesetzt habe.
»Meine Herren«, sagte die zitternde Stimme des Kaisers, »niemals habe ich an der Hingebung des russischen Adels gezweifelt, aber heute wurde meine Erwartung übertroffen. Ich danke Ihnen im Namen des Vaterlandes, meine Herren! Handeln wir! Die Zeit ist kostbarer als alles.«
Der Kaiser schwieg. Die Menge drängte sich um ihn, und von allen Seiten hörte man Rufe der Begeisterung.
»Ja, kostbarer als alles! Das ist ein kaiserliches Wort!« rief Graf Rostow weinend. Er hatte nichts gehört, aber alles auf seine Weise verstanden.
Der Kaiser begab sich in den Saal der Kaufmannschaft und blieb dort etwa zehn Minuten. Als er zurückkam, bemerkte Peter Tränen der Rührung in seinen Augen. Später erfuhr man, daß der Kaiser kaum seine Rede an die Kaufleute begonnen hatte, als Tränen aus seinen Augen stürzten und er mit zitternder Stimme seine Rede beendigte. Der Kaiser wurde von zwei Kaufleuten begleitet, der eine war Peter bekannt, ein dicker Branntweinpächter, der andere war das Stadthaupt mit einem hageren, gelben Gesicht und dünnem Bart. Beide weinten. Der Hagere hatte Tränen in den Augen, aber der dicke Branntweinpächter heulte wie ein Kind und wiederholte immer wieder: »Unser Leben und Eigentum nimm hin, Majestät!«
Peter empfand in diesem Augenblick nur den glühenden Wunsch, zu beweisen, daß er alles zu opfern bereit sei. Über seine Rede mit dem konstitutionellen Anflug machte er sich selbst Vorwürfe und suchte eine Gelegenheit, sie wieder gutzumachen. Als er erfuhr, daß Graf Mamonow ein Regiment stellte, erklärte Besuchow