Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi. Leo Tolstoi. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Leo Tolstoi
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027211456
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lassen, sie würden sie wieder ausspannen, und sie dürfe nicht abreisen, denn es sei verboten, die Wohnung zu verlassen. Vergebens hatte Alpatitsch versucht, sie zur Vernunft zu bringen. Dron war unsichtbar, aber ein anderer Anführer, Karp, hatte erklärt, sie würden die Abreise der Fürstin nicht zulassen, sie würde den erhaltenen Befehlen zuwiderlaufen, aber wenn sie bleibe, so werden sie, wie bisher, ihr dienen und gehorchen. Die Fürstin hatte jedoch beschlossen, trotz der Vorstellungen von Alpatitsch, der alten Amme und ihrer Dienstleute, um jeden Preis abzureisen, und befohlen, einzuspannen, als plötzlich Rostow und Ilin im Galopp auf der Landstraße herankamen. Alles verlor den Kopf, da man sie für Franzosen hielt, die Kutscher liefen davon, und das ganze Haus war in Verzweiflung. Rostow wurde als Befreier empfangen.

      Als er in den Salon trat, war Marie im ersten Augenblick kaum imstande, zu begreifen, wer er sei, aber an seinem Äußeren und seinem ganzen Wesen bemerkte sie sogleich, daß er der feinen Gesellschaft angehörte.

      »Welche seltsame Fügung des Schicksals führt mich zu diesem verlassenen und vom Schmerz niedergedrückten Mädchen, das schutzlos den aufständischen Bauern gegenübersteht?« dachte Rostow.

      Sie richtete ihre leuchtenden Augen auf ihn und erzählte ihm mit zitternder Stimme, was nach dem Tode ihres Vaters vorgefallen war. Die Aufregung überwältigte sie, aber als sie in den Augen des jungen Offiziers Tränen glänzen sah, richtete sie einen ihrer tiefen, milden Blicke auf ihn, die ihre Häßlichkeit sogar vergessen machten.

      »Ich kann Ihnen nicht sagen, Fürstin, wie sehr ich dem Zufall dankbar bin, der mich hierhergeführt hat! Wenn Sie abreisen wollen, so verspreche ich Ihnen auf meine Ehre, daß niemand es wagen wird, sich im geringsten feindlich gegen Sie zu zeigen. Bewilligen Sie mir nur die Erlaubnis, Sie zu begleiten!« Er grüßte sie mit einer Hochachtung, als ob sie eine Prinzessin des kaiserlichen Hauses gewesen wäre, und wandte sich der Tür zu. Durch diese Hochachtung schien er auszudrücken, daß er glücklich wäre, nähere Bekanntschaft mit ihr zu machen, daß aber sein Zartgefühl ihm nicht erlaube, ihren Schmerz und ihre Verlassenheit zu benutzen, um die Unterhaltung fortzusetzen. So faßte Marie sein Benehmen auf.

      »Ich bin Ihnen sehr dankbar«, erwiderte sie französisch. »Ich hoffe, daß das alles nur ein Mißverständnis ist, und daß Sie keine Schuldigen vorfinden werden!« Sie brach in Tränen aus.

      Rostow verließ den Saal nach einer tiefen Verbeugung.

      157

       Inhaltsverzeichnis

      »Ist sie hübsch? O, die meinige, die Rosafarbige, ist entzückend! Sie heißt Dunjascha!« rief Ilin, aber beim Anblick von Rostows Miene verstummte er sogleich. Er sah, daß sein Held und Chef nicht zu Scherzen aufgelegt war und sich rasch in der Richtung nach dem Dorfe zu entfernte. Alpatitsch holte ihn mit Mühe ein.

      »Was haben Sie beschlossen?« fragte er ehrerbietig.

      »Beschlossen!« rief der Husar, ihn mit den Fäusten bedrohend. »Die Bauern machen Aufstand, und du stehst da und siehst sie an und weißt dir keinen Gehorsam zu verschaffen! Du bist ein Verräter! Ich kenne euch alle und werde euch alle abschlachten lassen!« Darauf setzte er hastig seinen Weg wieder fort. Alpatitsch folgte ihm so gut er konnte und drängte das Gefühl unverdienter Kränkung zurück. Er sagte Rostow, es wäre gefährlich und unklug, bei der sinnlosen Hartnäckigkeit der Bauern sich auf einen offenen Kampf mit ihnen einzulassen, bevor Hilfe von der bewaffneten Macht herbeigeholt sei.

      »Ich werde es ihnen zeigen!« erwiderte Rostow. Er ging in heftiger Erregung auf die Menge zu, welche sich bei der Scheune gesammelt hatte. Obgleich Rostow keinen vorbedachten Plan hatte, sah Alpatitsch doch voraus, daß dieses Ungestüm guten Erfolg haben werde. Schon während der Unterhaltung Rostows mit der Fürstin Marie hatte sich unter den Bauern Unschlüssigkeit gezeigt. Mehrere meinten, die Reiter seien wirklich Russen und werden es nicht zulassen, daß man die Fürstin mit Gewalt zurückhalte. Dron war auch dieser Ansicht und äußerte sie laut, aber Karp widersprach ihm sogleich.

      »Seit wieviel Jahren hast du die Gemeinde ausgesogen?« schrie Karp. »Du hast gut reden! … Du hast irgendwo einen Topf mit Geld vergraben und damit gehst du davon; was kümmert’s dich, wenn unsere Häuser geplündert werden?«

      »Wir wissen, daß es befohlen wurde«, schrie ein anderer, »die Dörfer nicht zu verlassen und nichts fortzubringen, auch nicht ein Getreidekorn! Nun, und doch will sie dort fortfahren!«

      »An deinem Sohn war die Reihe, Soldat zu werden, aber das gefiel dir nicht, und deshalb hat man meinen Iwan dafür genommen!« rief zornig ein kleiner Greis.

      »Es bleibt uns nichts mehr übrig als zu sterben! … Ja, sterben!«

      »Man hat mich noch nicht abgesetzt!« erwiderte Dron.

      »Ja, ja, man hat dich noch nicht fortgejagt, aber das wird bald geschehen.«

      Sobald Karp Rostow, begleitet von Ilin Lawruschka und Alpatitsch kommen sah, ging er ihnen entgegen, die Finger in den Gürtel gesteckt, mit lächelnder Miene, Dron aber verbarg sich in den hintersten Reihen.

      »Heda! Wo ist der Älteste?« fragte Rostow.

      »Der Älteste? Was wollen Sie von ihm?« fragte Karp. Kaum hatte er seine Worte beendigt, als er einen so heftigen Schlag erhielt, daß seine Mütze in die Luft flog.

      »Die Mützen ab, ihr Halunken!« rief Rostow mit wilder Stimme. »Wo ist der Älteste?« wiederholte er.

      »Der Älteste! Er fragt nach dem Ältesten! Dron, dich meint er!« sagten mehrere Stimmen, während die Mützen nacheinander abgenommen wurden.

      »Wir machen keinen Aufstand, wir gehorchen den erhaltenen Befehlen«, begann Karp.

      »Wir haben nach dem Rat der Alten gehandelt.«

      »Ihr wagt es, mir zu antworten, Bande?« rief Rostow, indem er den großen Karp am Kragen faßte. »Da nehmt ihn und bindet ihn!«

      Lawruschka sprang auf ihn zu und faßte seine Arme von hinten.

      »Soll ich die Unsrigen rufen«, rief er, »welche dort am Bergabhang stehen?«

      »Das ist überflüssig!« erwiderte Alpatitsch. Er rief zwei der Bauern mit Namen und befahl ihnen, ihre Gürtel abzunehmen, um den Gefangenen damit zu binden.

      Die Bauern gehorchten schweigend.

      »Wer ist der Älteste?« sagte Rostow.

      Dron entschloß sich endlich, mit bleichem Gesicht zu erscheinen.

      »Du bist’s? Binde ihn auch, Lawruschka!« rief Rostow gebieterisch, als ob dieser Befehl keinem Widerstand begegnen konnte. Und wirklich traten noch zwei Bauern hervor, und Dron nahm selbst seinen Gürtel ab, um sich die Hände binden zu lassen.

      »Jetzt hört ihr da«, fuhr Rostow fort, »ihr kehrt im Augenblick nach Hause zurück, und nun kein Wort mehr!«

      »Wir haben nichts Böses getan, es war nur Dummheit, nichts weiter!«

      Nun folgten gegenseitige Vorwürfe.

      »Ich habe es vorher gesagt«, murmelten mehrere Bauern zu gleicher Zeit.

      »Habe ich euch nicht gleich gesagt, daß das sehr schlecht von euch ist, Kinder?« rief Alpatitsch, welcher fühlte, daß er wieder im Vollbesitz der Gewalt war.

      »Ja, Jakob Alpatitsch, wir sind dumm gewesen!« erwiderten die Bauern, und die Menge zerstreute sich ruhig, während man die Gefangenen nach dem Herrenhause führte.

      Zwei Stunden später standen die Wagen angespannt vor dem Haus und die Bauern luden die Sachen auf unter Aufsicht von Dron, welcher auf die Bitte der Fürstin freigelassen worden war.

      »Achtung!« rief einer der Bauern, ein junger Bursche mit einnehmender Miene seinem Genossen zu, der eine Kassette aus den Händen der Kammerzofe empfing. »Sie ist kostbar! Wirf sie nicht achtlos in eine Ecke! Siehst du so, man legt sie sorgfältig ins Heu!«