Von dem Leben und den Meinungen berühmter Philosophen. Diogenes Laertius. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Diogenes Laertius
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9783843800181
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      Zweites Buch

      Erstes Kapitel

       Anaximander

      1. (1) Anaximander, Praxiades Sohn, war ein Milesier.

      2. Er sagte, Ursprung und Grundstoff seien das Unendliche, ohne dass er Luft oder Wasser oder sonst etwas bestimmte. Die Teile desselben würden zwar verändert, aber das Ganze sei unveränderlich. Die Erde sei in die Mitte gestellt und nehme den Mittelpunkt ein, sie sei rund. Der Mond habe ein erborgtes Licht und werde von der Sonne erleuchtet; die Sonne aber sei nicht kleiner als die Erde, und sie sei das reinste Feuer.

      3. Er erfand auch zuerst den Sonnenzeiger und stellte ihn auf der Sonnenuhr in Lakedämon auf, wie Favorin in seinen vermischten Geschichten schreibt. Er verfertigte auch Werkzeuge, um die Sonnenwenden und Nachtgleichen anzuzeigen, ingleichen zur Stundenbemerkung. (2) Den Umfang der Erde und des Meeres hat er zuerst gezeichnet und auch eine Kugel verfertigt. Die Hauptpunkte seiner Lehren hat er auseinandergesetzt, welche Schrift dem Athener Apollodor in die Hände fiel.

      4. Dieser sagt auch in seiner Zeitgeschichte, dass er im zweiten Jahr der 58. Olympiade 64 Jahre alt gewesen und bald nachher gestorben, und dass seine Blüte vorzüglich in die Zeiten des samischen Gewaltfürsten Polikrates falle. Man erzählt, die Knaben hätten ihn beim Singen ausgelacht, und er habe, wie er das gewahr geworden, gesagt: ich werde besser singen müssen, wegen der Knaben.

      5. Es gab außer ihm noch einen Anaximander, der ein Geschichtsschreiber war und auch aus Milet kam und in der ionischen Mundart geschrieben hat.

       Anaximen

      1. (3) Anaximen[es], Eurystrats Sohn, ein Milesier, hörte Anaximander. Einige sagen, er habe auch den Parmenides gehört. Er machte die Luft und das Unendliche zum Ursprung und behauptete, dass die Sterne sich nicht über, sondern um die Erde bewegten. Er bediente sich der ungekünstelten und ungeschmückten ionischen Mundart. Er wurde, nach Apollodors Bericht, in der 63. Olympiade geboren und starb um die Zeit der Eroberung von Sardes.

      2. Es sind noch zwei andere Anaximenes gewesen, beide von Lampsakos, ein Redekünstler und ein Geschichtsschreiber, welcher ein Schwestersohn des Redekünstlers war und Alexanders Taten beschrieben hat.

      3. Von unserem Philosophen sind folgende Briefe:

      Anaximen an Pythagoras.

      (4) Thales ist in einem rühmlichen Alter auf eine unglückliche Weise gestorben. In einer heiteren Nacht ging er, seiner Gewohnheit nach, mit einer Magd aus seiner Wohnung und beobachtete die Sterne, und da er bei seinen Beobachtungen nicht daran dachte, dass er auf einer Klippe stand, so stürzte er hinab. Nun sagen die Milesier: das Ende hat der Himmelsbeobachter genommen! Wir selbst aber, seine Schüler, wollen uns des Mannes nicht allein erinnern, sondern auch noch unsere Kinder und Zuhörer mit seinen Reden unterhalten. Thales soll immer der Anfang unserer Gespräche sein.

      4. Und weiter:

      Anaximen an Pythagoras.

      (5) Du hast den besten Entschluss unter uns gefasst, dass du von Samos nach Kroton gezogen bist, wo du ruhig lebst. Aber die Söhne des Aiakus sinnen nicht nur auf Böses gegen andere, sondern fahren auch fort, die Milesier eigenmächtig zu beherrschen. Den medischen König aber haben wir zu fürchten, doch nicht, wenn wir ihm Steuern bezahlen wollen. Die Ionier indes stehen im Begriff, die allgemeine Freiheit von den Medern mit den Waffen zu erkämpfen. Werden sie besiegt, so ist keine Hoffnung der Rettung mehr für uns. Wie kann also Anaximen seinen Geist mit Himmelsbeobachtungen beschäftigen, da er in Furcht des Todes oder der Knechtschaft sein muss? Du aber bist den Krotonern lieb und wert und auch den anderen Italiern. Aus Sizilien werden ebenfalls Zuhörer zu dir kommen.

       Anaxagoras

      1. (6) Anaxagoras, Hegesibuls oder Gubuls Sohn, war ein Klazomenier. Er war Anaximens Zuhörer und legte der Materie zuerst Verstandesvermögen bei, indem er seine Schrift, die in einem angenehmen und prächtigen Stil geschrieben ist, so anfängt: Alle Dinge waren zugleich, nachher kam der Verstand, welcher sie ordnete und davon benannt wurde. Timon schreibt in den Sillen also von ihm:

      Drum nennt man Anaxagoras den mächtigen Helden,

       Nennt ihn den Verstand; ihm war es Verstand, der plötzlich sich erhob,

       Und alles verband, das vorher getrennt war.

      2. Er zeichnete sich durch Adel und Reichtum, aber auch durch Geistesgröße aus, denn er überließ sein väterliches Vermögen seinen Verwandten. (7) Da sie ihn nämlich der Sorglosigkeit beschuldigten, sagte er: nun denn, warum sorgt ihr nicht dafür? Zuletzt zog er sich zurück und beschäftigte sich mit Betrachtungen der Natur, ohne sich um Staatssachen zu bekümmern. Als ihm nun einmal einer sagte: Bekümmerst du dich denn gar nicht um dein Vaterland? antwortete er: Sprich gut! Mein Vaterland liegt mir recht sehr am Herzen! wobei er gen Himmel wies.

      3. Er soll bei dem Zuge des Xerxes 20 Jahre alt gewesen sein, und sein Leben auf 72 Jahre gebracht haben. Apollodor schreibt in seinen Zeitbüchern, dass er in der 70. Olympiade geboren, und im ersten Jahr der 78. Olympiade gestorben sei. Er fing zu Athen unter Kallias zu philosophieren an, wie er 20 Jahre alt war, schreibt der Phalerier Demetrius in seinem Buch von den Archonten, und er soll sich daselbst 30 Jahre aufgehalten haben.

      4. (8) Er behauptete, die Sonne bestehe aus glühendem Eisen und sei größer als die Peloponnes. Andere schreiben dies Tantalus zu. Der Mond, sagte er, sei bewohnt und habe Hügel und Täler. Der Anfang aller Dinge wären kleine, sich ganz ähnliche Teilchen; denn wie das Gold aus Teilstaub bestehe, so sei aus einander ähnlichen Teilchen auch das All zusammengesetzt. Die Vernunft mache den Anfang der Bewegung. Von den körperlichen Teilen nähmen die schweren den unteren Platz ein, wie die Erde, die leichten aber zögen sich in die Höhe, wie das Feuer; Wasser aber und Luft befänden sich in der Mitte. Daher stände auf der Erde, wo sie weit und flach wäre, das Meer, indem die Feuchtigkeiten durch die Sonne verdünnt würden. (9) Die Sterne hätten anfänglich wie ein Gewölbe in der Höhe gestanden, so dass der Pol sich immer der Spitze der Erde gezeigt habe, nachher erst hätten sie die Neigung bekommen. Die Milchstraße sei eine Brechung der Sonnenstrahlen, da die Sterne nicht herableuchtend wären. Die Kometen entständen aus der Zusammenkunft der Planeten, die Strahlen von sich ausließen. Die Sternschnuppen wären Feuerfunken, die von der Luft hin und her geschwankt würden. Die Winde entstünden durch Verdünnung der Luft durch die Sonne. Der Donner sei ein Zusammenstoßen der Wolken, und der Blitz ein Reiben der Wolken aneinander. Das Erdbeben entstehe durch das Drängen der unterirdischen Luft. Lebendige Geschöpfe wären durch Wasser, Wärme und Erde erzeugt und nachher von einander selbst, und zwar die männlichen von der Rechten und die weiblichen von der Linken.

      5. (10) Man sagt auch, dass er den Fall des Steins beim Ziegenflusse vorausgesagt und auch gesagt habe, er werde aus der Sonne herunterfallen. Daher habe auch Euripides, der sein Schüler war, im Phaeton die Sonne einen Goldklumpen genannt. Als er zu Olympia angekommen, habe er sich in ein Wildschauer gehüllt hingesetzt, weil es bald regnen würde und dies sei auch erfolgt. Als man ihn gefragt, ob die Berge in Lampsakos einmal wieder Meer werden würden, soll er geantwortet haben: wenn die Zeit nicht vorher aufhört.

      6. Als man in fragte, wozu er geboren sei, sagte er, zur Betrachtung der Sonne, des Mondes und des Himmels. Als ihm jemand sagte, du bist der Athener beraubt worden, erwiderte er: nicht ich ihrer, sondern sie meiner. Beim Anblick des Grabmals des Mausolus sagte er: ein kostbar erbautes Grab ist ein Bild in Stein verwandelten Reichtums. (11) Als einer sich für unglücklich hielt, weil er in einem fremden Land sterbe, sagte er: Man findet an allen Orten einen Hinabweg zum Hades.

      7. Wie Favorin in seinen vermischten Geschichten