Die Klinik am See Staffel 1 – Arztroman. Britta Winckler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Britta Winckler
Издательство: Bookwire
Серия: Die Klinik am See Staffel
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740912307
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bin bereits in der Verdauungsphase«, antwortete er feixend.

      »Gut, dann verschwinde ich jetzt«, erklärte Astrid. »Nach der Übertragung komme ich noch mal und gebe dir einen Gutenachtkuß.«

      »Darum möchte ich auch gebeten haben«, meinte Dr. Lindau und griff wieder nach dem Fachblatt, das er vorhin zur Seite gelegt hatte. Mit einem zärtlichen Blick sah er seiner Tochter nach, die aus dem Zimmer ging. Plötzlich mußte er wieder an die auf dem Umschlag der Langspielplatte abgebildete Opernsängerin denken. »Parvetti«, murmelte er, »das klingt irgendwie italienisch.« In der nächsten Sekunde aber schob er solche Gedanken beiseite und widmete sich wieder seiner unterbrochenen Lektüre.

      *

      Die Frau, die in diesen Minuten in ihrer Garderobe im Frankfurter Opernhaus vor dem Spiegel saß und gerade im Begriff war, sich eine Perücke über ihr glänzendes schwarzes Haar zu stülpen, hatte keine Ahnung davon, daß sich etwa vierhundert Kilometer südlich, hinter München, ein Frauenarzt mit seiner Tochter über sie unterhielt. Schon gar nicht aber konnte sie wissen, wie bald sie diesen Arzt persönlich treffen würde.

      Sonja Parvetti hatte an wichtigere Dinge zu denken, an Probleme, mit denen sie sich schon seit Wochen beschäftigte.

      Es ging um ihr persönliches Glück mit Roger Steenwell, mit dem sie sich in Liebe verbunden fühlte und dessen Frau sie in Kürze werden sollte. Roger, der acht Jahre älter war und drüben in den Staaten als Musikverleger ein riesiges Vermögen gemacht hatte, war zwar nicht ihre erste Liebe, aber die größte und intensivste in ihrem nunmehr dreißigjährigen Leben. Sie liebte ihn mit aller Kraft, derer sie nur fähig war. Seine Frau zu werden und gemeinsam mit ihm durchs Leben gehen, bedeutete ihr mehr als alle Erfolge, die sie bisher in europäischen und auch teilweise in überseeischen Opernhäusern errungen hatte. Diese Erfolge würden auch noch in weiterer Zukunft nicht ausbleiben. Dessen war sich Sonja Parvetti sicher. Sie war bekannt, beliebt und gefragt. Dafür sorgte auch nicht zuletzt die Presse, die über sie in regelmäßigen kurzen Abständen schrieb.

      Natürlich war Sonja den Presseleuten nicht gram, denn denen war es letztlich zu verdanken, daß sie so prominent geworden war. Schließlich und endlich wirkte sich das auch in finanzieller Hinsicht aus, denn die Opernhäuser, die eine Sonja Parvetti auf ihrer Bühne haben wollten, mußten dafür nicht zu unterschätzende Gagen zahlen. Nicht immer allerdings war Sonja mit den Artikeln und Abhandlungen der Presse einverstanden. Die Zeitungsleute schrieben oft Dinge aus ihrem Privatleben über sie, von denen sie selber keine Ahnung hatte. Manches wurde aufgebauscht und hinzugedichtet. Aus einem harmlosen Unwohlsein machten die Reporter gleich eine risikoreiche Krankheit, stellten Zukunftsthesen auf, wenn sie nur jemandem freundlicher zulächelte. Wenn es nach der Presse ging, dann wäre sie schon mindestens dreimal verlobt gewesen. Seit einem halben Jahr jedoch war Roger von den Presseleuten aufs Korn genommen worden – als der Favorit für eine eheliche Verbindung mit ihr, der prominenten Opernsängerin.

      Sonja Parvettis kurze Gedankensprünge wurden durch ein Klopfen unterbrochen. »Komm’ rein«, rief sie in der Annahme, daß es ihre Garderobiere sei, die sie beim Umkleiden und bei den Vorbereitungen für den Auftritt unterstützte. Ihre Augen wurden aber rund, als sie im Spiegel sah, daß Roger Steenwell die Garderobe betrat. Freudig sprang sie auf und strahlte den hochgewachsenen Mann mit den markanten Zügen und dem an den Schläfen schon ein wenig grau gewordenen Haar an.

      »Roger, Lieber, wo kommst du denn jetzt her?« fragte sie und vergaß ganz, ihren offenstehenden Hausmantel, unter dem sie außer ihrer seidenen Unterwäsche nichts anhatte, zu schließen. »Wir haben uns doch erst vor einer Stunde verabschiedet, und ich dachte, du seiest bereits in der Luft auf dem Flug in die Staaten.«

      »Freust du dich denn nicht, daß ich nochmals zu dir gekommen bin, Liebling?« fragte Roger Steenwell leise.

      »Dumme Frage«, gab Sonja lä­chelnd zurück. »Selbstverständlich freue ich mich«, fügte sie hinzu und umarmte den Mann ihres Herzens. Der Kuß, den sie ihm gab, fiel allerdings nicht so innig und leidenschaftlich aus wie sonst, weil sie ihr Make-up nicht in Gefahr bringen wollte.

      Roger Steenwell verstand das. »Mein Flug nach drüben wurde wegen einer Schlechtwetterzone verschoben«, erklärte er der Frau, die er liebte. »Was konnte ich also besseres tun, als mich rasch hierherfahren zu lassen, um dich nochmals zu sehen, mein Darling.«

      »Wie schön, Roger«, flüsterte die Sängerin. »Leider haben wir nicht viel Zeit, denn in gut zwanzig Minuten ist mein erster Auftritt.« Zärtlich schmiegte sie sich an Roger.

      Dem wurde es heiß, und ein feines Zittern überlief seinen Körper. So war das immer, wenn er diese Frau in den Armen hielt und diese sich verlangend und gleichermaßen hingebend an ihn schmiegte. »Schade, daß ich gleich wieder weg muß«, stieß er leise hervor.

      »Und ich bedaure, daß ich bald auf die Bühne muß«, gab Sonja flüsternd zurück.

      Sanft schob Roger Steenwell die Sängerin von sich. In seinen Augen war plötzlich ein verlangendes Funkeln, als sein Blick auf die unter dem offenstehenden Hausmantel sichtbar werdende Gestalt Sonjas fiel.

      Diese spürte die Blicke und schloß hastig ihren Mantel. Nicht aus Verlegenheit, o nein, denn Roger hatte sie schon vollkommen unbekleidet gesehen und gespürt. Etliche Male schon. Der Grund war ein anderer. Sie hatte einfach eine leise Angst, daß er bemerken würde, daß sie ein klein wenig fülliger geworden war. Nur sie allein wußte, daß sie am Beginn einer Mutterschaft war. Seit zwei Monaten war ihr das klar. Und seit eben diesen zwei Monaten wurde diese im Grunde genommen glücklichmachende Tatsache für sie zu einem Problem. Natürlich freute sie sich auf ein Kind von Roger, wünschte es sich von Herzen. Doch bisher hatte sie noch nicht den Mut aufgebracht, Roger von ihrem süßen Geheimnis etwas zu sagen. Zu gut erinnerte sie sich an seine Einstellung dazu. In Gedanken hörte sie wieder seine Worte – noch bevor sie geahnt hatte, daß sie bald Mutterfreuden entgegensehen würde.

      »Wir werden ein wundervolles Leben zusammen führen, wenn dein Vertrag ausgelaufen ist.«

      »Ja, mein Lieber, und wir werden eine glückliche Familie sein«, war ihre Erwiderung gewesen.

      »Familie? Meinst du damit Kinder?«

      »Ja, eins, vielleicht auch zwei…«

      »Darling, daran sollst du nicht denken, denn ich liebe dich so sehr, daß ich dich allein für mich haben möchte und mit niemand anderem deine Liebe zu mir teilen möchte.«

      »Aber es könnte doch sein, daß…«

      Roger hatte ihr das Wort abgeschnitten. »Es darf eben nicht sein, denn ich will mein Leben mit dir genießen, solange es nur möglich ist. Ein Kind würde das aber verhindern.« Seine entschlossenen Worte hatten sie erschreckt.

      Und nun war es doch passiert. Vor zwei Monaten. Sonja hätte jetzt auf Befragen gar nicht genau sagen können, wie es gekommen war. Hatte sie vergessen, die Pille zu nehmen, oder gab es eine andere Erklärung dafür? Sie wußte es nicht. Eines aber wußte sie genau, glaubte es zumindest annehmen zu müssen – nämlich daß sie Gefahr lief, Roger zu verlieren, wenn er erfuhr, daß er Vater werden sollte. Das aber war das letzte, was sie sich wünschte, denn dazu liebte sie ihn zu sehr und konnte sich ein Leben ohne ihn gar nicht mehr vorstellen.

      Was aber sollte sie tun? Wie sollte sie sich verhalten? Das waren Fragen, über die sie schon seit Wochen nachgrübelte.

      Blitzartig waren alle diese erinnernden Gedanken jetzt durch Sonjas Kopf gerast. Für einige wenige Sekunden hatte sie sogar Rogers Gegenwart vergessen.

      Doch der brachte sich sofort wieder in Erinnerung. »Du bist plötzlich so still geworden, Darling«, sagte er. »Ist etwas nicht in Ordnung?« Forschend sah er die Sängerin an.

      Sonja lächelte verlegen. »Mach dir keine Sorgen, Roger«, erwiderte sie mit verhaltener Stimme. »Ich... ich… habe nur eben daran gedacht, daß ich die nächsten Tage ohne dich verbringen muß.« Eine bessere Erklärung für ihr plötzliches Schweigen war ihr nicht eingefallen.

      »Aber Darling...« Roger Steenwell strich Sonja sanft über die Wange. »In einer Woche etwa bin ich ja