Die Klinik am See Staffel 1 – Arztroman. Britta Winckler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Britta Winckler
Издательство: Bookwire
Серия: Die Klinik am See Staffel
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740912307
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und das schon seit längerer Zeit, kamen rat- und hilfesuchende Frauen und Mädchen in die Sprechstunde, die nicht im Ort wohnten, sondern von viel weiter her – aus Rosenheim, Memmingen, Landshut und aus dem Großraum München. Sogar aus der Schwarzwaldgegend und aus dem Stuttgarter Raum waren welche hierhergekommen. Sie alle hatten sich an Dr. Lindau gewandt, dessen Ruf als guter Frauenarzt sich inzwischen herumgesprochen hatte und von dem sie nun nach erfolglosen Konsultationen ihrer jeweiligen Hausärzte Hilfe erhofften und auch bekamen.

      Die Frauen kamen aus den unterschiedlichsten Schichten. Dr. Lindau hatte es schon längst aufgegeben, sich zu wundern, weshalb diese Frauen mit ihren verschiedenen Leiden, Krankheiten und damit verbundenen Problemen ausgerechnet zu ihm kamen, obwohl den meisten durch ihren eigenen Hausarzt hätte geholfen werden können. Sehr bald war er allerdings dahinterkommen, daß manche dieser Frauen auf eine Weise anonym bleiben wollten, andere wieder aus einer gewissen – man konnte fast sagen, seelischen Not – den Weg zu ihm gefunden hatten.

      Geholfen hatte er jedenfalls allen – ob es nun die Studentin war, die sich vor den Folgen einer heimlichen Liebe fürchtete, oder die vermögende Geschäftsfrau, die sich wegen eines vielleicht von ihr als peinlich angesehenen Leidens von ihrem eigenen Hausarzt, mit dem sie und ihr Mann auch noch gesellschaftlichen Kontakt hatte, schämte. In einem aber war sich Dr. Lindau immer treu geblieben, nämlich seinem ärztlichen Gewissen und seiner Berufung, Leben zu erhalten, so lange es nur möglich war, und alles zu unternehmen, was ihm als Arzt möglich war, um Körper und Seele seiner Patienten und Patientinnen zu heilen. Manch eine hatte von ihm medizinisch-ärztliche Dinge erwartet, ja, sogar verlangt, die er als verantwortungsbewußter Arzt hatte ablehnen müssen. Und das Erstaunliche war geschehen – man hatte es ihm nicht verübelt, sondern war ihm zu guter Letzt – bis auf ganz wenige Ausnahmen –, dann sogar dankbar gewesen.

      »Hier sind die Karteikarten der bereits wartenden Patienten«, unterbrach Marga Stäuber die blitzartigen Gedankengänge ihres Chefs und übergab diesem die schon von ihr vorbereiteten Karten.

      »Ach so... ja«, fand Dr. Lindau wieder in die Gegenwart zurück. »Wieviel haben wir denn?«

      »Bis jetzt sieben«, antwortete die Sekretärin. »Aber es kommen bestimmt noch welche hinzu.«

      Dr. Lindau überflog die Karten. »Neupatienten dabei?« fragte er.

      »Nur eine«, erwiderte Marga Stäuber. »Kommt aus…«

      »Schon gut«, unterbrach Dr. Lindau die Sekretärin und zog sich den weißen Mantel über. »Ist Frau Sieber schon hier?« Er meinte damit Bettina Sieber, die junge medizinischtechnische Assistentin, die er vor knapp zwei Jahren eingestellt hatte, weil er es ohne Hilfe einfach nicht mehr geschafft hatte.

      »Sie ist im Sprechzimmer«, erwiderte Marga Stäuber. Besonders freundlich klang ihre Stimme dabei nicht. Zwischen ihr und Bettina Sieber bestand ein etwas gespanntes Verhältnis. Das war aber nicht wegen des guten Aussehens der schlanken blondhaarigen Bettina, bei der Marga manchmal das Gefühl hatte, daß sie es auf ihren Doktor abgesehen hatte. Daß Bettina aber einen festen Freund hatte, der zur Zeit bei der Handelsmarine war, wußte Marga Stäuber nicht. Ihre Aversion gegen die um zwölf Jahre jüngere Bettina basierte mehr auf der Einbildung, daß die Assistentin des Doktors ihr, Marga Stäuber, den Einfluß auf den reibungslosen Ablauf und Betrieb der Praxis streitig machen könnte. Das aber wäre das letzte gewesen, was sich Marga gewünscht hätte. Bisher jedenfalls hatte sie sich immer als »die Seele des Geschäfts« gefühlt, wie es so schön hieß. Das war schon bei Dr. Lindaus Vorgänger so gewesen.

      Marga Stäuber wollte noch etwas sagen, kam aber nicht mehr dazu, denn Dr. Lindau verschwand gerade durch die Tür, die zu seinem Sprechzimmer führte.

      »Sind wir soweit, Frau Bettina?« wandte er sich an seine Sprechstundenhilfe.

      Bettina Sieber brachte zuerst einen Morgengruß an. »Es kann losgehen, Herr Doktor«, sagte sie dann lächelnd. »Übrigens – die Laborberichte über die Blutuntersuchungen von Frau…«

      »... liegen hier auf meinem Schreibtisch«, fiel Dr. Lindau seiner Assistentin ins Wort. »Ich habe sie gesehen und werde sie mir gleich mal vornehmen. In zwei oder drei Minuten können Sie die erste Patientin dann reinbitten.« Er vertiefte sich in die genannten Laborberichte und nickte zufrieden.

      Minuten darauf ließ Bettina die erste Patientin, ein etwas pummelig wirkendes Mädchen mit flachsblondem Haar ins Sprechzimmer. »Lisbeth Kramer«, sagte sie mit verhaltener Stimme zu Dr. Lindau und legte ihm die Karteikarte des Mädchens vor.

      Dr. Lindau blickte hoch. Lächelnd sah er das vor ihm stehende Mädchen an. »Wir kennen uns doch«, sagte er freundlich und warf einen raschen Blick auf die vor ihm liegende Karteikarte.

      »Ja, Herr Doktor, vor einem halben Jahr war ich bei Ihnen«, antwortete das Mädchen leise. »Es war wegen der Blasenentzündung.«

      »Stimmt, eine Zystitis«, murmelte Dr. Lindau. In normaler Lautstärke aber fragte er dann: »Was führt dich...«, lächelnd sah er das Mädchen an, »… oder muß ich Sie sagen – heute zu mir?«

      »Sie können mich ruhig duzen, Herr Doktor, denn ich bin ja erst…«

      »Sechzehn, ich weiß«, unterbrach Dr. Lindau das Mädchen.

      »Aber ich gehe schon auf die siebzehn zu«, stieß Lisbeth Kramer hervor.

      »In Ordnung, Lisbeth«, entgegnete Dr. Lindau. »Also, was hast du für Beschwerden?«

      Verlegene Röte legte sich über das Gesicht des Mädchens. Ein Blick flog zu der im Hintergrund mit dem Sortieren einiger Instrumente beschäftigten Bettina hin.

      Dr. Lindau verstand diesen Blick sofort. »Du kannst ruhig sprechen«, sagte er. »Frau Sieber ist meine Assistentin, also auch eine Art Doktor. Nun?« Auffordernd sah er das Mädchen an, das auf einen Wink von ihm vor dem Schreibtisch Platz genommen hatte.

      Lisbeth Kramer zögerte etwas, gab sich dann aber einen Ruck und begann mit leiser Stimme zu sprechen. »Eigentlich sind es zwei Dinge, derentwegen ich hergekommen bin«, sagte sie. »Ich… ich… habe Angst, Herr Doktor, daß ich… daß ich vielleicht ein... ein... Kind bekommen könnte.« Stockend kamen diese Worte über ihre Lippen.

      Dr. Lindau horchte auf. Gerade erst sechzehn Jahre jung und schon soweit, anzunehmen, schwanger zu werden, dachte er. Unwillkürlich mußte er dabei an seine eigene Tochter denken. Die war zwar schon achtzehn, aber auch bei ihr war nicht auszuschließen, daß sie über kurz oder lang Mutter werden konnte. Er hoffte nur, daß Astrid ihn nicht so schnell zum Großvater machte. Seine blitzartigen Gedanken beiseite schiebend, wandte er sich an seine junge Assistentin. »Wie kommst du darauf, daß du schwanger sein oder werden könntest?« fragte er.

      »Weil… weil… na ja, weil meine Tage schon lange nicht mehr…«

      Ängstlich und hilfesuchend sah Lisbeth Kramer den Arzt an.

      »Hast du denn einen festen Freund?« fragte der.

      »Ja, und ich bin jedes Wochenende mit ihm zusammen, wenn er Ausgang hat, er ist nämlich Soldat in Rosenheim.«

      »Nimmst du keine Pille?«

      Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Meine Mutter würde mich halb umbringen, wenn ich ihr damit käme...«

      »Hast du denn mit ihr nie darüber gesprochen?« forschte Dr. Lindau. Die Problematik solcher jungen Mädchen war ihm nur zu gut bekannt. Einerseits waren sie schon fast ausgereift trotz ihrer erst 15 oder 16 Jahre, waren voll entwickelt und praktizierten Liebe. Sehr oft folgten dann auf die sogenannten glückseligen Stunden die Schwierigkeiten.

      »Nein, denn sie hätte nicht verstanden, daß ich Robert – das ist der Soldat – so sehr gern habe«, beantwortete Lisbeth Kramer die letzte Frage des Arztes. »Sie meint sicher, daß ich für solche Dinge noch zu jung bin.«

      Dr. Lindau mußte lächeln, als er hörte, wie das Mädchen die Liebe und alles, was mit ihr zusammenhing, bezeichnete. Sofort wurde er aber wieder ernst. Ihm war klar, daß man den jungen Leuten, die im Grunde genommen teilweise noch zur Schule gingen, mit Verboten