Die Klinik am See Staffel 1 – Arztroman. Britta Winckler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Britta Winckler
Издательство: Bookwire
Серия: Die Klinik am See Staffel
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740912307
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      »Paps, du hast keinen Grund, dich bei mir zu entschuldigen«, erklärte Astrid. »Aber darf ich dich etwas fragen?«

      »Immerzu, Mädchen.« Dr. Lindau blickte auf die Uhr. »Bis zum Beginn der Sprechstunde habe ich noch ein wenig Zeit.«

      Astrid zögerte etwas, nahm sich dann aber ein Herz und fragte: »Wie war das eigentlich damals mit Mama? Ich weiß von dir nur, daß sie gestorben ist, als sie im Begriff war, mir ein Brüderchen zu schenken. Etwas Näheres hast du mir nie erzählt.«

      »Stimmt, Astrid, das habe ich nicht getan«, bestätigte Dr. Lindau. »Doch das geschah nicht in böser Absicht oder weil ich aus Mutters Tod ein Geheimnis machen wollte, sondern…« Mitten im Satz brach er ab und sah seine Tochter fest an.

      »Sondern?« hakte Astrid fragend nach.

      »Nun, das ist eigentlich in wenigen Worten erklärt«, erwiderte Dr. Lindau. »Erstens warst du damals noch viel zu klein, um alles zu begreifen, und außerdem warst du ja all die Jahre bei Vera…. hm… Tante Vera, weil ich mich doch wegen meiner Arbeit nicht um deine Erziehung kümmern konnte.« Zärtlich sah er seine Tochter an und setzte hinzu: »Wie ich feststellen muß, ist das Vera aber vorzüglich gelungen.«

      »Danke, Paps, es freut mich, daß du das sagst. Ich bin Tante Vera ja selbst sehr dankbar dafür, daß sie sich um mich gekümmert hat.« Auf Astrids Lippen zeigte sich die Andeutung eines Lächelns. »Sie hat viel von dir gesprochen, denn sie mag dich auch sehr«, fügte sie hinzu.

      Für Hendrik Lindau war das keine Neuigkeit. Er hatte immer schon gewußt, daß Vera Stolte, mit der er auf der gleichen Schule gewesen war, für ihn etwas übrig gehabt hatte. Ihrer beider Wege hatten sich dann aber getrennt. Er hatte Helen geheiratet, und Vera war fast zur gleichen Zeit auch in den Hafen der Ehe eingelaufen.

      In diesen Augenblicken mußte Dr. Lindau auch wieder an die geradezu sonderbar anmutende Duplizität der Ereignisse denken. Nämlich daß Vera kurz vor Helens Tod auch ihren Mann verloren hatte. Er war ihr immer noch dankbar dafür, daß sie damals spontan bereit gewesen war, seine zweijährige Tochter zu sich in ihr Haus im fünfzig Kilometer weit entfernten Eibling zu nehmen und sie dort aufzuziehen. Natürlich hatte er den Kontakt mit Astrid nie verkümmern lassen. Sporadisch hatte er sie in Eibling besucht, oder sie war zwischendurch über die Wochenenden bei ihm im Doktorhaus gewesen. Ausgenommen davon waren die zwei Jahre, in denen er sich in der Münchener Universitätsklinik zum Facharzt für Frauenkrankheiten, zum Gynäkologen, ausgebildet hatte.

      Astrids Stimme unterbrach die nur Sekunden dauernden erinnernden Gedanken ihres Vaters. »Jetzt bin ich aber wieder hier bei dir – vorläufig jedenfalls«, sagte sie, »und es interessiert mich, wie das mit meiner Mutter gewesen ist. Bitte…«, bat sie, »… erzähle es mir.«

      Erneut sah Dr. Lindau auf die Uhr und nickte. »Also gut«, ergriff er das Wort, »du bist jetzt mit deinen achtzehn Jahren kein kleines Kind mehr. Deine Mutter und das erwartete Brüderchen für dich sind gestorben, weil sich die Plazenta gelöst hatte, was innere Blutungen hervorrief, die unrettbar zum Tod führten.«

      »Plazentalösung also, das heißt, daß der Mutterkuchen…«

      »Sieh an«, staunte Dr. Lindau, »du scheinst ein wenig Bescheid zu wissen.«

      »Aber wirklich nur ein wenig, Paps«, gab Astrid zurück. Fragend blickte sie den Vater an. »Eine Rettung war dir nicht mehr möglich?« kam es leise über ihre Lippen.

      Hendrik Lindau schüttelte den Kopf. »Zu dem Zeitpunkt nicht mehr«, stieß er hervor. »Eine Rettung wäre vielleicht möglich gewesen, wenn man rechtzeitig, also noch vor der Loslösung der Plazenta, hätte entsprechende Symptome dafür erkennen und deine Mutter schnellstens in die nächste Klinik hätte bringen können. Aber auch dann wären wegen des langen Anfahrtweges bis nach München oder vielleicht nach Rosenheim die Chancen sehr gering gewesen. Eine durch eine Plazentalösung hervorgerufene starke innere Blutung wirkt sich ungeheuer schnell und verheerend aus, wie es sich ja gezeigt hat.«

      In Astrids Züge trat ein nachdenklicher Ausdruck. »Paps, ich möchte dich zum Schluß noch etwas fragen und bitte dich um eine ehrliche Antwort«, kam es dann leise über ihre Lippen.

      »Astrid, du wirst von mir immer ehrliche Antworten bekommen«, gab Dr. Lindau zurück »Also bitte, frag’…«

      Astrid gab sich einen innerlichen Stoß. »Deine Träume, Paps, und wie ich inzwischen weiß, dein damaliger spontaner Entschluß, Facharzt für Frauenleiden zu werden, hängt das alles irgendwie mit Mamas Tod zusammen?« forschte sie. »Ich meine, hast du... hast du... vielleicht damals das... das Gefühl gehabt, irgendwie…«

      »Ich weiß, was du sagen willst«, unterbrach Dr. Lindau die stockend hervorgebrachten Worte seiner Tochter.

      »Nein«, sagte er mit fester Stimme, »Schuldgefühle hatte ich nicht, denn vom medizinischen wie ärztlichen Standpunkt aus gesehen, konnte niemand deiner Mutter mehr helfen. Wenn das Wort Schuld überhaupt in diesem Zusammenhang gesagt werden darf, dann nur im Hinblick auf die Wissenschaft und Forschung, der es noch nicht vollständig gelungen ist, das rechtzeitige Erkennen der Symptome bei einem solchen akuten Krankheitsfall für den Arzt zu ermöglichen.«

      »Deshalb bist du Frauenarzt geworden, hab’ ich recht?« fragte Astrid leise.

      »Ja«, antwortete ihr Vater. »Ich wollte ganz einfach mein Wissen vermehren, um anderen Frauen besser helfen zu können. Frauen haben nun einmal einen etwas komplizierteren Aufbau und Organismus, als wir Männer«, fügte er hinzu. »Du wirst auch noch dahinterkommen. So, jetzt wird es aber Zeit für mich«, sagte er und erhob sich vom Frühstückstisch. »Ich muß hinunter in die Praxis. Was hast du heute vor?« wollte er wissen. »Na, nach deinem sehr gut bestandenen Abitur hast du dir Erholung verdient. Genieße den Tag! Wir sehen uns ja zum Mittag.« Er trat auf Astrid zu und drückte ihr einen Kuß auf die Stirn. »Jedenfalls bin ich sehr froh, daß ich dich habe und daß du jetzt bei mir zu Hause bist«, flüsterte er, drehte sich abrupt um und verschwand aus der Küche.

      Astrid, die vor knapp zwei Wochen ihr Abitur mit sehr gut bestanden hatte und jetzt schon an die weitere Zukunft dachte, hörte den Vater die Treppe hinunter in die Praxisräume gehen. Ein warmes Gefühl ergriff sie, und sie gestand sich ein, daß sie stolz auf ihren Vater war, den sie über alles liebte.

      *

      Die dunkelhaarige, ein wenig mollig aussehende Marga Stäuber war schon fleißig am Aussortieren der Karteikarten und Krankenunterlagen, als Dr. Lindau mit einem freundlichen Morgengruß die Praxis betrat. Er hatte damals bei der Übernahme der Praxis auf die bewährte Hilfe der siebenunddreißigjährigen Witwe, die bei seinem Vorgänger Sekretärin und Sprechstundenhilfe gewesen war, nicht verzichten wollen. Bis zum heutigen Tag hatte er das noch nicht zu bereuen gehabt. Marga Stäuber hatte sich als verläßliche und damit auch unentbehrliche Kraft bewiesen. Er konnte sich auf sie verlassen. Sie wußte in allen Dingen Bescheid, kannte fast alle Patienten des kleinen Ortes und auch die der nächsten Umgebung und wußte mit ihnen umzusehen. Das war nicht immer leicht, denn der in dieser Gegend lebende Menschenschlag hatte oft sehr merkwürdige Ansichten über Krankheiten und deren Behandlung.

      Oft genug hatte das Dr. Lindau erleben können. In früheren Jahren jedenfalls, als er noch ein ganz allgemeiner praktischer Arzt gewesen war. Seit aber das metallene Schild an der Eingangstür besagte, daß hier ein Facharzt für Frauenleiden praktizierte, hatte sich einiges in dieser Richtung geändert. Es schien fast so, als ob die Leute durch die Bezeichnung Facharzt zu mehr Respekt oder Hochachtung angeregt würden und eben diesem Facharzt mehr Vertrauen schenkten als dem bisherigen praktischen Arzt. Wahrscheinlich lag das nicht zuletzt auch ein wenig daran, daß die Patienten, die täglich in die Sprechstunde kamen, im Gegensatz zu früheren Zeiten vorwiegend weiblichen Geschlechts waren. Die Männerwelt war in der Minderzahl, denn sie begaben sich fast ausnahmslos mit ihren Gebrechen, Leiden und anderen Wehwehchen zu Dr. Scholl, einem alteingesessenen praktischen Arzt am anderen Ende des Ortes. Es war eine Art stilles Übereinkommen zwischen Dr. Lindau und Dr. Scholl, Patienten oder Patientinnen entsprechend der Art ihrer Leiden jeweils an den anderen Kollegen zu überweisen.

      Aber