30
§ 30 Abs. 1 OWiG setzt die Begehung einer Anknüpfungstat durch einen Menschen voraus, der als Leitungsperson fungiert: bei der juristischen Person das vertretungsberechtigte Organ oder ein Mitglied des Organs (Nr. 1); beim nichtrechtsfähigen Verein der Vorstand oder das Mitglied des Vorstands (Nr. 2); bei einer rechtsfähigen Personengesellschaft ein vertretungsberechtigter Gesellschafter (Nr. 3). Seit dem 1. November 1994[98] sind auch bestimmte gewillkürte Vertreter, nämlich Generalbevollmächtigte, in leitender Stellung tätige Prokuristen und Handlungsbevollmächtigte (Nr. 4) einbezogen, um einer Verschleierung der Verantwortung entgegenzutreten.[99] Schließlich sind seit dem 30. August 2002 alle sonstigen Personen einbezogen, die für die Leitung verantwortlich handeln, wozu auch die Überwachung der Geschäftsführung oder die sonstige Ausübung von Kontrollbefugnissen in leitender Stellung gehört (Nr. 5). Damit wurde europäischen Vorgaben Rechnung getragen und einer Verlagerung der Verantwortlichkeit auf untergeordnete Ebenen weiter entgegengewirkt.[100]
31
Die Straftat oder Ordnungswidrigkeit muss entweder Pflichten verletzt haben, welche die juristische Person oder Personenvereinigung treffen (§ 30 Abs. 1 Alt. 1 OWiG), oder diese bereichert bzw. der Täter dies beabsichtigt haben (§ 30 Abs. 1 Alt. 2 OWiG). Die Pflichtverletzungsalternative bezieht nur die Verletzung betriebsbezogener Pflichten ein, also von Sonderpflichten, die speziell dem Verband obliegen, und von Allgemeinpflichten im Zusammenhang mit dem Betrieb des Verbandes.[101] Dagegen sollen durch die Bereicherungsalternative unrechtmäßige Vorteile abgeschöpft werden, die dem Verband zugeflossen sind.[102] Die Anknüpfungstat muss schuldhaft bzw. vorwerfbar begangen worden sein, da dem Verband die Schuld der natürlichen Person als eigene zugerechnet wird. Wichtigste Anknüpfungstat ist § 130 OWiG, da Taten i.d.R. durch Personen unterhalb der Leitungsebene begangen werden und die Aufsichtspflicht (des Inhabers bzw. seiner Vertreter, § 9 OWiG) eine betriebsbezogene Pflicht ist.[103] Hierdurch ist der „Durchgriff“ auf den Verband möglich, wenn ein Mitarbeiter eine Tat begangen hat und die Aufsichtspflichtverletzung einer Leitungsperson i.S.v. § 30 OWiG festzustellen ist. Maßgebend ist diesbezüglich, ob die Zuwiderhandlung „durch gehörige Aufsicht verhindert oder wesentlich erschwert worden wäre“ (§ 130 Abs. 1 S. 1 OWiG). Damit wurde die sog. Risikoerhöhungslehre im Ordnungswidrigkeitenrecht normiert.[104] Wegen der engen Verzahnung von §§ 9, 30 und 130 OWiG ist von einer „Troika“[105] die Rede. Sanktionslücken bestehen aber dann, wenn ein Mitarbeiter eine Tat begangen hat und lediglich die Aufsichtspflichtverletzung einer Person vorliegt, die nicht zu dem herausgehobenen Kreis der Leitungspersonen zählt.[106] Weiter ist es gut möglich, dass Aufsichtsmaßnahmen ergriffen werden, die nach außen hin Rechtstreue dokumentieren, im Innenverhältnis jedoch nicht ernsthaft Anwendung finden („window-dressing“).[107] Schließlich sind Lücken bei der Erfassung von Auslandstaten durch das Ordnungswidrigkeitenrecht denkbar, da die Anwendbarkeit des deutschen Rechts und damit die Möglichkeit zur Festsetzung einer Verbandsgeldbuße davon abhängig sein kann, dass der Verband im Ausland Leitungspersonen mit deutscher Staatsangehörigkeit einsetzt, auf deren Straftaten nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB deutsches Recht anwendbar ist.[108]
32
Bei beiden Tatalternativen ist ein Vertretungsbezug erforderlich, d.h. die Leitungsperson muss „als“
3. Bußgeldrahmen und Bußgeldzumessung
33
Der Bußgeldrahmen richtet sich nach der Anknüpfungstat. Bei einer Straftat beträgt das Höchstmaß der Verbandsgeldbuße seit dem 30. Juni 2013[114] bei vorsätzlicher Begehung 10 Mio. Euro, bei fahrlässiger Begehung 5 Mio. Euro (§ 30 Abs. 2 S. 1 OWiG). Die vorherigen Höchstbeträge wurden verzehnfacht, da der Bußgeldrahmen nicht mehr ausreichend erschien und es bei hohen wirtschaftlichen Vorteilen dazu kommen konnte, dass „ein unverhältnismäßig hoher Anteil“ ausschließlich der Abschöpfung diente.[115] Bildet eine Ordnungswidrigkeit
34
Die Zumessung der Verbandsgeldbuße bestimmt sich nach h.M.[119] – trotz fehlender Verweisung – nach § 17 Abs. 3 OWiG. Grundlage ist daher die Bedeutung der Anknüpfungstat für den Verband und der Vorwurf, der den Täter der Anknüpfungstat trifft und dem Verband zugerechnet wird, wobei die wirtschaftlichen Verhältnisse des Verbands zu berücksichtigen sind. Für die Bemessung ist zudem von Bedeutung, ob ein effizientes Compliance-Management installiert ist, das auf die Vermeidung von Rechtsverstößen ausgelegt sein muss, entsprechende Regelungen optimiert und die betriebsinternen Abläufe so gestaltet sind, dass vergleichbare Normverletzungen „zukünftig jedenfalls deutlich erschwert“ werden.[120] Im Ahndungsteil der Verbandsgeldbuße geht es um den „kollektiven Anteil an der fehlerhaften Sinnbestimmung“.[121]