4. Verfahren und Vollstreckung
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Für die Festsetzung
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Ausnahmsweise wird im selbstständigen Verfahren eine isolierte Verbandsgeldbuße festgesetzt, wenn gegen die Leitungsperson kein Verfahren eingeleitet, dieses eingestellt oder von Strafe abgesehen wurde (§ 30 Abs. 4 S. 1 OWiG). Lässt sich die Identität des Täters nicht ermitteln, steht aber fest, dass eine Leitungsperson i.S.d. § 30 Abs. 1 OWiG die Tat volldeliktisch begangen hat, kann eine anonyme Verbandsgeldbuße festgesetzt werden.[131] Ausgeschlossen ist die selbstständige Festsetzung, wenn die Anknüpfungstat aus rechtlichen Gründen – etwa bei Verjährung, aber auch bei Immunität, Exterritorialität, Amnestie oder fehlendem Strafantrag[132] – nicht verfolgt werden kann (§ 30 Abs. 4 S. 3 OWiG). Darüber hinaus kann in weiteren Fällen die selbstständige Festsetzung vorgesehen werden (§ 30 Abs. 4 S. 2 OWiG), wodurch allerdings Doppelermittlungen möglich werden. Eine solche Sonderregelung enthält seit dem 20. August 1997[133] § 82 GWB für Kartellverstöße, um bei Submissionsabsprachen auch nach der Hochstufung zur Straftat (§ 298 StGB) die Sachkunde und Erfahrung der Kartellbehörden nutzen zu können.[134] Ebenso gestattet seit dem 13. Juli 2005[135] § 96 EnWG der zuständigen Regulierungsbehörde beim Missbrauch einer
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Die Vollstreckung richtet sich nach §§ 89–92 OWiG, wobei für den Verband, der nur Nebenbeteiligter ist, auch die §§ 94, 96 und 97 OWiG – die sich eigentlich an den Betroffenen richten – gelten (§ 99 Abs. 1 Hs. 2 OWiG). Damit entspricht die Vollstreckung weitgehend derjenigen bei natürlichen Personen. So kann das Gericht die Erzwingungshaft (§ 96, 97 OWiG) gegen die vertretungsberechtigten Organe anordnen. Hierbei entscheidet das Gericht bei mehreren Vertretungsberechtigten nach pflichtgemäßem Ermessen, ob gegen alle Erzwingungshaft anzuordnen ist, wobei die Dauer der Haft sechs Wochen bzw. – wenn gegen das Organ zugleich wegen einer im verbundenen Verfahren verhängten Geldbuße persönlich vollstreckt wird – drei Monate nicht übersteigen darf.[137]
1. Einziehung von Taterträgen (§§ 73 ff. StGB, § 29a OWiG)
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Vorschriften zur Vermögensabschöpfung waren im StGB lange Zeit nicht enthalten, da die Geldstrafe früher mit der Gewinnabschöpfung zu verbinden war (§ 27b StGB a.F.). Mit der Reform des AT zum 1. Januar 1975 ging das StGB allerdings zum Tagessatzsystem über, womit die Vorschriften zum Verfall (§§ 73 ff. StGB a.F.) geschaffen werden mussten. Im OWiG wurde die Verfallsvorschrift des § 29a OWiG (a.F.) jedoch erst sehr spät, zum 1. August 1986[138], eingeführt. Zuvor wies die Abschöpfung große Lücken auf, da Gewinne aus rechtswidrigen, aber nicht vorwerfbaren Wirtschaftsstraftaten sowie Gewinne, die nicht der Täter, sondern der Verband erlangt hatte, nicht der Abschöpfung unterlagen.[139] Seit dem 7. März 1992 bezog sich der Verfall nicht mehr (nur) auf den Wert des aus der Tat erlangten Vermögensvorteils, sondern auf das „erlangte Etwas“, womit nicht mehr (nur) der Nettogewinn abgeschöpft werden sollte (Nettoprinzip), sondern die „Gesamtheit des Erlangten“ (Bruttoprinzip).[140] Durch das „Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung“ vom 13. April 2017[141] wurde zum 1. Juli 2017 die Vermögensabschöpfung grundlegend neu geregelt. Anlass war, dass das Regelungswerk zum Verfall äußerst komplex, unübersichtlich und mit zahlreichen rechtlichen Zweifelsfragen belastet war, womit Entscheidungen in hohem Maße fehleranfällig waren.[142] Durch die Reform wurde der Terminus „Verfall“ in Anpassung an die europäische Terminologie („confiscation“) durch den der „Einziehung“ ersetzt.[143] Vor allem sollte aber die Bestimmung des „erlangten Etwas“ modifiziert und das Bruttoprinzip (angeblich) „gestärkt“[144] werden. Die Änderung des Wortlauts („durch“ die Tat statt „aus“ der Tat) beseitigte das Erfordernis eines unmittelbaren Kausalzusammenhangs zwischen Tat und Bereicherung. Das „erlangte Etwas“ wird nunmehr zweistufig bestimmt: Auf der ersten Stufe (§ 73 Abs. 1 StGB) werden mittels einer „rein gegenständlichen“ Betrachtungsweise alle Vermögenswerte erfasst, die einem Tatbeteiligten oder Drittbegünstigten durch die Tat zugeflossen sind; auf der zweiten Stufe (§ 73d Abs. 1 StGB) sind die Aufwendungen des Tatbeteiligten oder Drittbegünstigten abzuziehen.[145] Hierbei bleibt außer Betracht, was für die Begehung der Tat oder für ihre Vorbereitung aufgewendet oder eingesetzt wurde; Leistungen zur Erfüllung einer Verbindlichkeit gegenüber dem Verletzten der Tat sind hingegen stets abziehbar. Im Ergebnis gilt damit ein abgemildertes Bruttoprinzip.
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Erlangt eine juristische Person bzw. Personenvereinigung durch eine Straftat einen Vermögensvorteil, wird gegen diesen Verband – der weder Täter noch Teilnehmer ist – nach § 73b StGB die sog. Dritteinziehung angeordnet. Voraussetzung ist nach der komplexen Regelung des § 73b Abs. 1 S. 1 StGB, dass der Verband durch die Tat „etwas erlangt“ hat und (Nr. 1) der Täter „für ihn gehandelt“ hat oder (Nr. 2) ihm das Erlangte unentgeltlich oder ohne rechtlichen Grund übertragen wurde (lit. a); dasselbe gilt, wenn dem Täter das Erlangte übertragen wurde und er erkannt hat oder hätte erkennen müssen, dass es aus einer mit Geldbuße bedrohten Handlung herrührt (lit. b). Entsprechendes gilt, wenn der Verband – der nicht Täter ist – durch eine mit Geldbuße bedrohte Handlung etwas erlangt hat (§ 29a Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und Nr. 2 OWiG) und die Abschöpfung nicht bereits im Rahmen der Bemessung der Verbandsgeldbuße