40
Darüber hinaus ist nach § 76a Abs. 4 StGB die selbstständige Einziehung möglich. Danach soll ein aus einer rechtswidrigen Tat herrührender Gegenstand, der in einem Verfahren wegen des Verdachts einer Katalogtat (§ 76a Abs. 4 S. 3 StGB) sichergestellt worden ist, auch dann selbstständig eingezogen werden, wenn der von der Sicherstellung Betroffene nicht wegen der Straftat verfolgt oder verurteilt werden kann. Zu den Katalogtaten zählen u.a. nicht nur Straftaten aus dem Bereich der Organisierten Kriminalität und der Terrorismusfinanzierung, sondern vor allem auch die Geldwäsche, was für Unternehmenszusammenhänge von großer Bedeutung ist.
41
Die Rechtsnatur der Einziehung von Taterträgen ist wie die des früheren Verfalls umstritten. Unter Geltung des Nettoprinzips war der Verfall eine quasi-kondiktionelle Ausgleichsmaßnahme,[149] da nur eine Gewinnabschöpfung stattfand. Seit dem Übergang zum Bruttoprinzip[150] war dagegen alles, was der Täter „für“ die Tat oder „aus“ ihr erlangt hatte, für verfallen zu erklären. Angesichts dessen wurde dem strafrechtlichen Verfall – sofern dem Täter ein Strafübel in Form nutzloser Aufwendungen auferlegt wurde – verbreitet Strafcharakter[151] attestiert. Dies gilt im Wesentlichen auch für die heutige Einziehung von Taterträgen, da das Bruttoprinzip lediglich abgemildert wurde. Konsequenz wäre, dass die Anordnung, soweit über die Gewinnabschöpfung hinausgegangen wird, nur bei einem Verschulden zulässig wäre und schuldangemessen sein müsste.[152] Entsprechendes hätte mit Blick auf den Ahndungscharakter für den ordnungswidrigkeitenrechtlichen Verfall zu gelten.[153] Der BGH[154] hat den Verfall dagegen als Maßnahme eigener Art begriffen, die primär einen Präventionszweck verfolgen soll: Es gehe allein um die Abschöpfung erlangter Vorteile, das Bruttoprinzip habe nur den Berechnungsmodus modifiziert, um die Regelungen für die Praxis „effektiver“ auszugestalten. Dies soll nach der Auffassung des Reformgesetzgebers auch für die Einziehung gelten.[155]
2. Mehrerlösabführung (§ 10 Abs. 2 WiStrG 1954)
42
Nach § 10 Abs. 2 WiStrG 1954 kann, sofern in einem Betrieb eine rechtswidrige Tat nach dem WiStrG begangen wurde, die Abführung des Mehrerlöses gegen den Inhaber oder Leiter eines Betriebs und, falls der Inhaber eine juristische Person oder eine Personengesellschaft des Handelsrechts ist, auch gegen diese selbstständig angeordnet werden. Die Abführung des Mehrerlöses tritt dann an die Stelle der Einziehung von Taterträgen (§ 8 Abs. 4 WiStrG 1954). Der Anwendungsbereich des WiStrG ist heute nur noch klein (i.E. §§ 1–5 WiStrG 1954). Außerdem handelt es sich – mit Ausnahme von § 1 WiStrG 1954 – nur noch um Ordnungswidrigkeiten. Täter
43
Die Rechtsnatur der Mehrerlösabführung ist umstritten, da der Mehrerlös nicht im Gewinn, sondern im Unterschiedsbetrag zwischen zulässigem und erzieltem Preis besteht (§ 8 Abs. 1 S. 1 WiStrG 1954). Damit kann dem Täter mehr genommen werden, als er durch die Tat gewonnen hat.[159] Nach einem Urteil des BGH von 1961[160] soll es sich um ein „Abschreckungsmittel“ handeln. Allerdings kann die Mehrerlösabschöpfung nicht anders als die Einziehung von Taterträgen, an dessen Stelle sie treten kann, beurteilt werden. Es muss sich im Duktus der Rechtsprechung also um eine Maßnahme eigener Art handeln, bzw. nach der Gegenauffassung ist ihr, soweit sie die Gewinnabschöpfung übersteigt, Straf- bzw. Ahndungscharakter zuzusprechen.
3. Umsatzbezogene Geldbußen
44
Umsatzbezogene Geldbußen sieht das Kartellordnungswidrigkeitenrecht seit dem 1. Januar 2005[161] vor. Kartellordnungswidrigkeiten können nicht nur mit einer Geldbuße von bis zu 1 Mio. Euro geahndet werden, sondern darüber hinaus kann gegen ein Unternehmen oder eine Unternehmensvereinigung eine höhere Geldbuße verhängt werden, die 10 % des Gesamtumsatzes erreichen kann, der in dem Geschäftsjahr erzielt wurde, das der Entscheidung vorausging (§ 81 Abs. 4 S. 2 GWB). Zugrunde zu legen ist der „weltweite Umsatz aller natürlichen und juristischen Personen, die als wirtschaftliche Einheit operieren“ (§ 81 Abs. 4 S. 3 GWB). Auch der wirtschaftliche Vorteil gemäß § 17 Abs. 4 OWiG kann abgeschöpft werden (§ 81 Abs. 5 S. 1 GWB). Die Umsatzabführung hat die mehrerlösbezogene Bemessung abgelöst, die nur die Abschöpfung bis zur dreifachen Höhe des durch die Zuwiderhandlung erlangten Mehrerlöses gestattete (§ 81 Abs. 2 GWB a.F.). Anlass war, dass der Europäischen Kommission das neue Kartellrechtssystem die Verhängung umsatzbezogener Geldbußen ermöglicht hatte (vgl. Art. 23 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1/2003). Nunmehr musste sichergestellt werden, dass auch die deutschen Kartellbehörden hohe Bußgelder verhängen können, um der dezentralen Anwendung des europäischen Wettbewerbsrechts praktische Wirksamkeit zu verschaffen und die volkswirtschaftlichen Schäden durch einen Kartellrechtsverstoß zu kompensieren.[162] Darüber hinaus wurde in den vergangenen Jahren in weiteren Deliktsbereichen – in Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben – ebenfalls die Möglichkeit geschaffen, sehr hohe umsatzbezogene Verbandsgeldbußen zu verhängen, nämlich im Bilanzrecht (§ 334 Abs. 3a und 3b HGB) und im Wertpapierrecht (§ 120 Abs. 17–23 WpHG). Ebenso sieht das Datenschutzrecht umsatzbezogene Geldbußen vor (Art. 83 DSGVO). Es ist zu erwarten, dass diese Form der Geldbuße künftig in weiteren harmonisierten Rechtsbereichen Einzug halten wird.
45
Umsatzbezogene Geldbußen, die bei Großunternehmen hohe Geldbußen im Milliardenbereich ermöglichen, unterliegen im Schrifttum starker Kritik:[163] die dem Gesetzgeber obliegende Bestimmung des Bußgeldrahmens werde auf den Rechtsanwender übertragen (Gewaltenteilung); der Gesamtumsatz stehe in keinem zwingenden Zusammenhang zum Unrechts- und Schuldgehalt einer Tat und deren Auswirkungen (Schuldgrundsatz); extrem hohe Geldbußen, die den Höchstbetrag einer Geldstrafe um ein Vielfaches übersteigen, seien kein bloßes Ordnungsunrecht (Rechtsstaatsprinzip). Die Gerichte der EU[164] haben umsatzbezogene Geldbußen aber bislang nicht beanstandet, da hierdurch weder der allgemeine Rechtsgrundsatz der gesetzlichen Bestimmtheit von Tatbestand und Strafe noch der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Strafen (Art. 7 Abs. 1 EMRK) verletzt werde.
4. Einziehung von Gegenständen (§ 74e StGB, § 29 OWiG)
46
Weiter kommt nach § 74e StGB (§ 75 StGB a.F.), § 29 OWiG die Einziehung von Verbandseigentum in Betracht, wenn eine Leitungsperson gehandelt hat und unter den übrigen Voraussetzungen der §§ 74–74c StGB (Einziehung von Tatprodukten, Tatmitteln und Tatobjekten) bzw. §§ 22–25, 28 OWiG (Einziehung von Gegenständen) die Einziehung zulässig ist. Der Kreis der in § 74e S. 1 StGB, § 29 Abs. 1 OWiG genannten Organe und Vertreter sowie Verbände deckt sich mit § 30 OWiG, da er zum 30. August 2002 (Rn. 29) ebenfalls erweitert worden war. Dieser „Gleichklang“ sollte verhindern, dass Einziehungsanordnungen durch die Verlagerung der Verantwortung unterlaufen werden können.[165] Bei vorsätzlichen Straftaten ist die Einziehung von Tatprodukten und Tatmitteln stets zulässig (§ 74 Abs. 1 StGB), im Übrigen muss sie besonders