I. Die subjektive Täterlehre und ihre Bedeutung für die Mittäterschaft
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Ausgehend von einer kausalen Handlungslehre, nach der alle notwendigen objektiven Bedingungen gleichwertig sind, kann eine Unterscheidung zwischen verschiedenen Beteiligungsformen auf objektiver Unrechtsebene nicht erfolgen,[69] auf dieser Ebene ist damit auch eine Differenzierung zwischen Alleintäterschaft und Mittäterschaft nicht möglich.
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So sind z.B. nach von Buri auf objektiver Unrechtsebene alle Beteiligungsformen gleichgestellt: „(J)ede mitwirksame Handlung (ist) eine den Erfolg ausführende Handlung – also Ausführungshandlung.“[70] Auf der Schuldebene differenziert von Buri dann zwischen Gehilfen- und Urheberwillen: Der Urheber wolle die Tat, der Gehilfe nur seinen Gehilfenbeitrag. Der Gehilfe ordne also seinen Willen dem des Urhebers unter, er mache seinen eigenen Willen vom verbrecherischen Willen des Urhebers, der insoweit zumindest in seiner Vorstellung existieren müsse, abhängig.[71] Entscheidend sei nicht die objektive Wirksamkeit für den Erfolg, sondern die Beschaffenheit des Willens des Handelnden. Bedingt durch die bloße Differenzierung von Urheber- und Gehilfenwillen kann eine Unterscheidung zwischen Alleintäterschaft und Mittäterschaft nach von Buri nicht erfolgen, insofern konsequent hält er daher auch eine Normierung der Mittäterschaft für überflüssig. „Denn wer die Ausführungshandlung unternimmt oder mitunternimmt, muss ja schon ganz von selbst Thäter sein.“[72]
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Der kausale Handlungsbegriff reduziert menschliches Handeln auf ein bloß „äußerlich-objektives Ereignis“ und vermag daher personales Handeln nicht hinreichend zu erfassen. Was der Täter mit seinem Verhalten bezweckt, bleibt bei einem kausalen Handlungsbegriff unberücksichtigt. Auch das Selbstverständnis des Einzelnen in Bezug auf ein Zusammenwirken mehrerer Beteiligter bleibt unberücksichtigt. Die Möglichkeit, sich auch objektiv bereits in unterschiedlicher Weise in ein Geschehen zu integrieren, findet keine Beachtung. Vgl. hierzu näher → AT Bd. 3: Noltenius, § 50 Rn. 25 ff.
II. Die Mittäterschaft auf der Grundlage einer finalen Handlungslehre
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Die finale Handlungslehre, auf deren Grundlage sich auch die Tatherrschaftslehre entwickelte,[73] versuchte die Schwächen der Kausallehren zu überwinden, indem sie die Zwecktätigkeit menschlichen Handelns herausstellte (näher → AT Bd. 3: Noltenius, § 50 Rn. 43 ff.). Handlung ist demnach nicht bloß ein von einem Willensimpuls ausgelöster Kausalvorgang, sondern entscheidender Impuls sei ihre Zweckgerichtetheit.[74] Derjenige sei daher als Täter anzusehen, der die „finale Tatherrschaft“ innehat: „Der finale Täter ist Herr über seinen Entschluß und dessen Durchführung und damit Herr über ‚seine‘ Tat, die er in ihrem Dasein und Sosein zweckbewusst gestaltet.“[75] Bei der Mittäterschaft bestehe die Besonderheit darin, dass die Tatherrschaft über die einheitliche Tat bei mehreren gemeinsam liege. Mittäter sei derjenige, der „im Besitze der persönlichen Tätereigenschaften Mitträger des gemeinsamen Tatentschlusses ist und auf Grund dessen an der Durchführung des Verbrechens mitbeteiligt ist“.[76] Dabei beruhe die Mittäterschaft auf dem Prinzip der Arbeitsteilung, da jeder Mittäter mit seinem Tatbeitrag die Tatanteile der übrigen zum Verbrechensganzen ergänze und daher auch für das Ganze hafte.[77]
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Welzel
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Mit der Zweckgerichtetheit erfasst die finale Handlungslehre zwar ein wesentliches Moment menschlichen Handelns, jedoch wird der Wille als bloß abhängig von äußeren Zwecken gesetzt; unberücksichtigt bleibt damit die freie inhaltsbestimmte Entscheidung des Einzelnen hinsichtlich der konkreten Verletzung. Die besonderen Wirkverhältnisse mehrerer Beteiligter untereinander werden insoweit nicht hinreichend erfasst, sondern das Zusammenwirken von Personen wird auf Formen der gegenseitig beeinflussten finalen Gestaltung der Außenwelt reduziert[79] (vgl. näher → AT Bd. 3: Noltenius, § 50 Rn. 46). Das zeigt sich auch bei der Bestimmung der Mittäterschaft. Ist diese durch eine Gleichordnung der Handelnden geprägt, kann eine bloße Beteiligung im Vorbereitungsstadium – sei sie auch besonders intensiv – nicht genügen. Mag diese Person zwar die Planung beherrscht haben, hat sie doch nicht die Ausführungstat beherrscht, da sich die an der Ausführung Beteiligten nicht wie ein Kausalprozess final steuern lassen, sondern gerade selbstbestimmt zur Verletzung übergehen.[80]
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Auf der Grundlage der finalen Handlungslehre entwickelte auch Maurach seine Lehre von der Tatherrschaft. Täter sei, wer Tatherrschaft habe. Diese zeichne sich durch „das vom Vorsatz umfasste In-den-Händen-Halten des tatbestandsmäßigen Geschehensablaufs“ aus, d.h. die dem Handelnden bewusste Möglichkeit finaler tatbestandsgestaltender Steuerung. Tatherrschaft habe bei einem mittäterschaftlichen Handeln jeder Mitwirkende, der die Tatbestandsverwirklichung nach seinem Willen ablaufen, hemmen und abbrechen könne.[81] Maurach erkennt auch die Möglichkeit einer „intellektuellen“ Mittäterschaft an, wenn jemand, „ohne selbst Hand anzulegen, regelnd und beherrschend den Tatablauf“ überwache.[82]
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Fraglich ist bereits, ob das Merkmal der Tatherrschaft die Mittäterschaft überhaupt hinreichend kennzeichnen kann.[83] Die selbstzweckhafte Freiheit des Einzelnen als Vernünftigem verbietet es, ihn einem bloßen Werkzeug gleich als Mittel des anderen zu sehen. Die Herrschaft über ein Geschehen ist danach durch den Verantwortungsbereich des autonom Handelnden begrenzt.[84] Wie also bei der mittelbaren Täterschaft richtigerweise eine Tatherrschaft des Hintermanns über den frei Handelnden – und das heißt gerade auch: das Unrecht erkennenden – anderen ausscheidet, so kann auch bei der Mittäterschaft nicht behauptet werden, der eine besitze Herrschaft über den autonom erbrachten Tatbeitrag des anderen.[85]
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Folglich kann ihm auch keine Herrschaft über die ganze Tat bloß äußerlich zugeschrieben werden. Vielmehr hat jeder Beteiligte (auch der Teilnehmer) Herrschaft über die Tat nur in dem Maße, wie er einen eigenen verantwortlichen Beitrag erbringt.[86] Das Besondere der Mittäterschaft liegt in der Verbindung der Mittäter untereinander, die sich dennoch selbst und auch den anderen als jeweils freien Subjekt anerkennen. Es ist gerade die Autonomie der Einzelnen, die eine Erweiterung ihrer je eigenen Endlichkeit und eine Verbindung der Tatmächtigkeit erlaubt mit der Folge, dass das fragliche Verhalten des einen auch als Verhalten des anderen begriffen werden kann.[87]
III. Die Mittäterschaft als funktionale Tatherrschaft
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In der – die aktuelle Diskussion um die Bestimmung von Täterschaft und Teilnahme dominierenden – Tatherrschaftslehre hat sich eine materiell-objektive Lehre, insbesondere in der von Roxin herausgearbeiteten Form entwickelt. Während die formell-objektive Lehre als Täter nur denjenigen ansah, der den Tatbestand insgesamt durch eine eigenhändige Ausführung (formal) realisierte (vgl. näher → AT Bd. 3: Noltenius, §