II. Die Regelung der Mittäterschaft seit dem Reichsstrafgesetzbuch von 1871
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Das RStGB regelte die Mittäterschaft als einzige Form der Täterschaft ausdrücklich. § 47 RStGB bestimmte: „Wenn Mehrere eine strafbare Handlung gemeinschaftlich ausführen, so wird Jeder als Thäter bestraft.“ Diese Norm befand sich im Titel „Theilnahme“, was die historisch gewachsene Zwitterstellung der Mittäterschaft zwischen eigener Tatausführung (Täterschaft) und Teilnahme an fremder Tat deutlich macht.
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Das 2. StRG ersetzte den Begriff des „gemeinschaftlichen Ausführens“ durch das „gemeinschaftliche Begehen“. Die Motivation für diese Änderung lag darin, dass das „Ausführen“ vermeintlich auf Eigenhändigkeit hindeutete.[11] Die Rechtsprechung, nach der Mittäter auch der sein könne, der die Tat nicht eigenhändig ausführt, sollte aufrecht erhalten werden.[12] Indes bestand für eine solche Änderung keine Notwendigkeit: Das Merkmal „ausführen“ war weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur als Erfordernis von Eigenhändigkeit verstanden worden, zumal ein solches Erfordernis eine Regelung der Mittäterschaft überflüssig gemacht hätte, war doch der eigenhändig ausführende ohnehin schon als unmittelbarer Täter strafbar.[13] Allerdings wurde auch in § 25 Abs. 1 Alt. 1 StGB das Merkmal „begehen“ dem Merkmal „ausführen“ vorgezogen: Zum Teil wurde die Ansicht geäußert, aufgrund dieser Formulierung sollte jemand trotz eigenhändiger Tatausführung in bestimmten extremen Fällen nur als Gehilfe strafbar sein.[14] Das Aufrechterhalten der bisherigen Rechtsprechung („subjektive Theorie“) hatte insoweit eine strafbarkeitseinschränkende Wirkung, was auch für die Mittäterschaft gelten musste. Den Wortlaut der Regelungen von unmittelbarer Täterschaft und Mittäterschaft insoweit gleichlaufen zu lassen, war also durchaus konsequent.
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Für die Beteiligung auf dem Gebiet der damaligen DDR galt § 22 DDR-StGB.[15] Inhaltlich entsprach die Regelung der Mittäterschaft dem Merkmal des „gemeinschaftlichen Ausführens“ des § 47 RStGB. Die Mittäterschaft im Strafrecht der DDR weist in dogmatischer Sicht die Besonderheit auf, dass sie nach § 22 Abs. 2 Nr. 2 DDR-StGB als Teilnahme bestraft und in ihrer Intensität hinter die Anstiftung zurückgestuft wurde. Dies zeigte sich sodann konsequent in der Möglichkeit einer fakultativen Strafmilderung, wenn der Tatbeitrag des Mittäters im Verhältnis zur Gesamttat gering war (§ 22 Abs. 4 S. 2 DDR-StGB). Bei geringer Schuld und unbedeutendem Tatbeitrag konnte von einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Teilnehmers, also auch der des Mittäters, nach § 22 Abs. 4 S. 3 DDR-StGB gänzlich abgesehen werden. Wesentlicher Unterschied zum bundesdeutschen Recht war, dass aufgrund der in der DDR herrschenden formal-objektiven Theorie die Mittäterschaft eine Beteiligung im Ausführungsstadium erforderte.[16]
III. Reformüberlegungen
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Verschiedentlich wurde eine Reform der Lehre von der Beteiligung insgesamt und eine Verschiebung zum „Einheitstäter“ befürwortet (dazu → AT Bd. 3: Noltenius, § 50 Rn. 20 ff.). Von den Konzeptionen, die sich im Rahmen des differenzierenden Beteiligungssystems bewegen, fanden sich kaum inhaltlich divergierende Vorschläge für die Mittäterschaft. Abweichende Entwürfe für eine gesetzliche Regelung unterschieden sich von der lex lata nur durch zwei Punkte: Zum einen sahen Reformvorschläge die Mittäterschaft entgegen der Konzeption des § 25 Abs. 2 StGB schon als vom jeweiligen Tatbestand des Besonderen Teils erfasste Form der Täterschaft und wollten die gesetzliche Regelung so fassen, dass § 25 Abs. 2 StGB ein rein deklaratorischer Charakter zukommt.[17] Zum anderen wurde eine größere Regelungsdichte des Gesetzes gefordert, dabei aber nicht eine grundsätzlich abweichende Regelung für notwendig erachtet, sondern dafür plädiert, die hinter dem „gemeinschaftlichen Begehen“ stehende Dogmatik im Gesetz festzuschreiben.[18] Auch im Rahmen der Strafrechtsreform blieben die in der „Großen Strafrechtskommission“ vorgeschlagenen Regelungen zur Mittäterschaft inhaltlich (zur begrifflichen Änderung s.o. Rn. 8) durchgehend am damals wie heute geltenden Recht orientiert.[19]
12. Abschnitt: Täterschaft und Teilnahme › § 51 Mittäterschaft › B. Die Entwicklung der Rechtsprechung
B. Die Entwicklung der Rechtsprechung
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Die Rechtsprechung des Reichsgerichts sah die Mittäterschaft lange als wechselseitige mittelbare Täterschaft an,[20] ohne freilich darzulegen, warum in diesen Fällen eine teilweise mittelbare Täterschaft anzunehmen sein sollte, obwohl beim jeweiligen Tatmittler kein Strafbarkeitsdefizit, sondern eine prinzipiell freie Handlung vorlag.[21] Hinsichtlich der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme vertrat das Reichsgericht auch bei der Mittäterschaft eine subjektive Lehre. Grundlage der subjektiven Theorien bildete die Äquivalenztheorie, nach der alle kausalen Tatbeiträge für den Erfolg objektiv gleichwertig sein sollen, so dass sich die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme notwendigerweise auf die subjektive Ebene verlagern musste.[22] Auf dieser Ebene wurde dann zwischen dem mit Täterwillen („animus auctoris“) handelnden Täter und dem mit bloßem Teilnehmerwillen („animus socii“) handelnden Teilnehmer unterschieden. Nach den vom Reichsgericht grundsätzlich in unterschiedlichen Entscheidungen vertretenen Ansätzen[23] sollte Täter derjenige sein, der die Tat als eigene will (formell-subjektive Theorie)[24] bzw. im eigenen Interesse will (materiell-subjektive Theorie).[25] Teilweise wurden beide Punkte verbunden[26] oder darauf abgestellt, ob der Beteiligte mit der Tat einen selbstständigen oder nur vom Haupttäter abhängigen Willen zur Geltung bringe.[27]
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Das Reichsgericht nennt mit der subjektiven Seite des Handelnden ein wesentliches Element. Als Abgrenzungskriterium reicht sie indes nicht aus, da grundsätzlich jeder, auch der Teilnehmer, jedenfalls seinen Tatbeitrag als eigenen erbringen will.[28] Zudem kann jemand eine Tat auch in fremdem Interesse selbst begehen (vgl. § 216 StGB und seit 1998 auch die Dritt-Zugeignungs-/Dritt-Bereicherungsabsicht).[29] Schließlich bestimmt gerade der Anstifter regelmäßig aus Eigeninteresse den unmittelbaren Täter zur Tat.[30] Die entsprechenden Abgrenzungen bleiben insoweit letztlich unbestimmt.
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Entgegen (weniger) anderslautender Entscheidungen vertrat das Reichsgericht jedenfalls im Grundsatz keine extrem-subjektive Lehre, nach der allein der Wille maßgeblich sein sollte, so dass auch derjenige, der die Tathandlung eigenhändig ausführt, als bloßer Teilnehmer in Betracht käme – eine Möglichkeit, die von Buri ausdrücklich abgelehnt hatte.[31] Der prominente Fall, in dem mit dieser rein subjektiven Abgrenzung die Höchststrafe für täterschaftlichen Mord vermieden wurde, war die sog. Badewannen-Entscheidung.[32] Diese Rechtsprechung des Reichsgerichts blieb allerdings eine Ausnahme, während zur Zeit des NS-Regimes der VGH die extrem-subjektive Theorie exzessiv zur Strafbarkeitsausdehnung nutzte, um das nationalsozialistische Willensstrafrecht zu verwirklichen.[33] Das Reichsgericht nahm hingegen eine Täterschaft an, wenn der Handelnde die Tat selbst ausführte. Dementsprechend wurde bei eigenhändiger