3. Die sog. Scheinmittäterschaft
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An einem derart wechselseitigen Zusammenwirken fehlt es auch, wenn beispielsweise bei einem Diebstahl der eine Beteiligte dem anderen vorspiegelt, mit dem Einverständnis des Eigentümers zu handeln, der andere aber die Täuschung durchschaut und gleichwohl handelt.[127] Der Täuschende kann in diesem Fall ggf. als Anstifter und daneben jedenfalls als versuchter Mittäter strafbar sein. Umgekehrt kann ein innerer Vorbehalt des einen Beteiligten zwar die Bestärkung des anderen nicht hindern, führt aber dazu, dass der andere den Scheinmittäter nicht bestärken kann und daher ebenfalls ein gemeinsamer Tatentschluss nicht vorliegt. Dies bedingt es auch, dass dann, wenn einer der Planenden die Vollendung der Tat nicht will – insbesondere als agent provocateur – sowohl seine eigene Mittäterschaft ausscheidet,[128] als auch eine (vollendete) Mittäterschaft generell scheitern muss. Auch dem Überbleibenden fehlt nämlich (für ihn unerkannt), die durch eine echte Vereinbarung begründete Erweiterung der eigenen Tatmacht durch wechselseitige Mitbestimmung des anderen. Eine Zurechnung von Handlungen kann in dieser Konstellation nicht erfolgen. Daher bleibt auch hier nur eine versuchte Mittäterschaft. Diese setzt aber voraus, dass derjenige, der an den gemeinsamen Tatplan glaubt, selbst zur Deliktsverwirklichung ansetzt. Ein vermeintliches Ansetzen des Scheinmittäters begründet daher noch keinen Versuch.[129]
4. Das Aufgeben des gemeinsamen Tatentschlusses
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Der gemeinsame Tatentschluss kann auch von einem Mittäter wieder aufgegeben werden. Erfolgt diese Rücknahme nach Versuchsbeginn, so stellt dies allein freilich noch keinen Rücktritt dar (§ 24 Abs. 2 StGB). Aber selbst wenn der Rückzug aus dem gemeinsamen Tatplan vor Beginn der Ausführung der konkreten Tat erfolgt, will die Rechtsprechung eine Mittäterschaft bejahen, wenn der Aufgebende schon einen (vorbereitenden) Tatbeitrag erbracht hat.[130] Das soll sogar dann gelten, wenn der Aufgebende seinen Mittätern den Rückzug aus dem Tatplan kommuniziert hat[131] und selbst dann, wenn die Mittäter schon – wenn auch nur zum Schein – auf seinen Umstimmungsversuch eingegangen sind.[132] Erst wenn die Mittäter ebenfalls den gemeinsamen Tatplan aufgegeben haben und erst später aufgrund eines neu gefassten Tatplans tätig geworden sind[133] oder die ausgeführte Tat so wesentlich von dem ursprünglichen Tatplan abweicht, dass eine „andere Tat“ vorliegt,[134] scheide eine Zurechnung aus.
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Dies wirft Abgrenzungsschwierigkeiten auf, welche sich systemkonform nur dadurch vermeiden lassen, dass „die gleiche Tat“ nur eine in unmittelbar räumlich-zeitlichem Zusammenhang von den anderen Mittätern ausgeführte Tat sein kann.[135] Wird dagegen der ursprüngliche gemeinsame Tatplan trotz Rückzugs eines Mittäters ausgeführt, so soll nach der Rechtsprechung eine Mittäterschaft aber dann ausgeschlossen sein, wenn durch den Rückzug beim Rückziehenden zugleich vor Tatvollendung ein „notwendiges Tatbestandsmerkmal“ (wie z.B. die Zueignungsabsicht beim Raub) entfalle.[136] Unklar bleibt, warum nicht auch der Vorsatz ein derart notwendiges Tatbestandsmerkmal ist, mit der Folge, dass zumindest dann, wenn der Rückziehende nach einem vermeintlich erfolgreichen Umstimmungsversuch gar nicht mehr mit der Tat rechnet, eine Mittäterschaft ausscheiden müsste.[137]
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Richtigerweise muss in den genannten Fällen des Rückzugs aus dem gemeinsamen Tatplan eine Mittäterschaft scheitern. Für die Aufgabe im Vorbereitungsstadium folgt das schon daraus, dass vorbereitende Tatbeiträge keine mittäterschaftliche, „gemeinsame“ Tatausführung begründen können. Vor allem aber kann eine gegenseitige Bestärkung des Unrechtsentschlusses nicht mehr vorliegen, wenn sich der eine Beteiligte aus dem Tatplan zurückzieht und diesen Rückzug kommuniziert. Der andere erbringt dann seinen Beitrag gerade nicht mehr mit Rücksicht auf die Unterstützung durch den Aufgebenden. Aber selbst in den Fällen, in denen es an einer solchen Kommunikation fehlt, entfällt mit dem Rückzug aus dem gemeinsamen Tatentschluss die wechselseitige Erweiterung der Tatmacht, so dass danach ausgeführte Beiträge nicht mehr wechselseitig zugerechnet werden können. Eine mittäterschaftliche Zurechnung scheidet bei einem Rückzug im Vorbereitungsstadium damit unabhängig von der Kommunikation der Aufgabe des Tatentschlusses aus.[138]
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Erfolgt der Rückzug erst im Ausführungsstadium, gelten für den Rücktritt vom Versuch die allgemeinen Rücktrittsregeln (vor allem § 24 Abs. 2 StGB). Zu beachten ist aber, dass es stets nur um das Ausführungsstadium eines konkreten Delikts gehen kann. Deshalb kann danach versuchtes Unrecht, mit dessen Ausführung noch nicht begonnen wurde, dem Aufgebenden nicht mehr zugerechnet werden. Gibt ein Mittäter während der Ausführung eines Diebstahls den gemeinsamen Tatplan auf, ohne dass dies einen wirksamen Rücktritt darstellt, so ist ihm zwar die versuchte Wegnahme, nicht aber eine erst nach seinem Rückzug begonnene Gewaltanwendung zuzurechnen, selbst wenn sich diese im Rahmen des ursprünglichen Tatplans hielt. Doch selbst hinsichtlich des schon begonnenen Unrechts liegt bei einer Aufgabe des gemeinsamen Tatplans keine Mittäterschaft mehr vor. Deshalb scheidet eine Mittäterschaft am vollendeten Diebstahl auch dann aus, wenn die Aufgabe des Tatentschlusses nach Versuchsbeginn aber vor der Wegnahme liegt. Bei der Wegnahmehandlung besteht die mittäterschaftsspezifische wechselseitige Erweiterung der Tatmacht dann nämlich nicht fort. § 24 Abs. 2 StGB schließt den Rücktritt vom Versuch aus, soweit nicht die speziellen Voraussetzungen der Norm erfüllt sind, besagt aber nichts über die Auswirkungen der Tataufgabe auf die Mittäterschaft.[139] In Betracht kommt stets nur eine Beihilfe zu der vom anderen allein begangenen Tat.
5. Mittäterschaft mit einem schuldlos Handelnden
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Nicht einheitlich beurteilt wird, ob eine „isolierte Mittäterschaft“ in dem Sinne möglich ist, dass ein voll verantwortlich Handelnder die Tat gemeinsam mit einem schuldlos Handelnden ausführt. Entgegen der überwiegenden Ansicht ist der voll verantwortlich Handelnde, selbst wenn er die Schuldlosigkeit des anderen kennt, solange jener Einsicht in die Verletzung hat und damit hinsichtlich dieser Verletzung als freies Subjekt handelt, bezogen auf dessen Handlung nicht als mittelbarer Täter, sondern als Anstifter zu sehen.[140] Aber auch eine Mittäterschaft ist in dieser Konstellation denkbar.[141] Denn auch mit einem schuldlos Handelnden ist ein gemeinsamer Unrechtsentschluss ebenso möglich wie eine wechselseitige Erweiterung der jeweiligen Tatmacht. Ob sich der voll verantwortlich Handelnde einen schuldlosen oder einen schulhaft handelnden Mittäter vorstellt, ist danach unerheblich. Erkennt allerdings der andere den Tatentschluss nicht als Verletzungsentschluss, muss eine Mittäterschaft ausscheiden und eine Zurechnung kann allenfalls nach § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB erfolgen. Gleiches gilt, wenn beide Mittäter keinen Unrechtsentschluss vereinbaren, weil einer der beiden in Kenntnis und aufgrund einer Rechtfertigungslage handelt.[142]
III. Die gemeinsame Tatausführung
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Objektive Voraussetzung der Mittäterschaft und zugleich Bezugspunkt der Willensübereinstimmung ist die gleichwertig-gemeinsame Ausführung der Tat. Zu verlangen ist keine eigenhändige Verwirklichung der einzelnen Tatbestandsmerkmale durch jeden Mittäter. Erforderlich ist aber, dass die Mittäter bei der Tatausführung Beiträge erbringen, die in gleichgewichtiger Abhängigkeit zueinander stehen.[143] Der Tatbeitrag des einen wirkt mit dem Tatbeitrag des anderen in einer Weise zusammen, dass sich die Verletzung als Erfolg aller Mittäter ansehen lässt. Diese Grundlegung bedarf der Präzisierung