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Hinsichtlich der Qualität des mittäterschaftlichen Tatbeitrags gilt, dass sich dieser nicht auf eine rein untergeordnete Tätigkeit beschränken darf. Auch die Rechtsprechung geht grundsätzlich vom Leitbild des Mittäters als gleichberechtigtem Partner aus[144] und sieht eine nur untergeordnete Mitwirkung als Indiz gegen eine Mittäterschaft.[145] Es muss vielmehr ein dem Beitrag des anderen wesentlich gleichgewichtiger und gleichermaßen erforderlicher Beitrag geleistet werden. Nur dann kann davon gesprochen werden, dass dem Mittäter die Herrschaft über die Verletzung des in den Tatbeständen vertypten Unrechts (mit-)zukommt. Nicht notwendig ist eine physische Mitwirkung bei der Erfolgsherbeiführung. Auch Weisungs- und Organisationstätigkeiten können im Gewicht der eigenhändigen Tatausführung gleichstehen und folglich Mittäterschaft begründen.[146] Eine bloß untergeordnete Hilfe physischer oder psychischer Art stellt dagegen selbst dann, wenn sie am Tatort bei Ausführung der Tat geleistet wird, nur Beihilfeunrecht dar.[147] Das gilt entgegen der Rechtsprechung[148] besonders für psychische Unterstützungen wie Ratschläge und eine untergeordnete Bestärkung des Tatentschlusses.
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Eine mittäterschaftliche Zurechnung setzt eine Mitwirkung an der Unrechtstat voraus. Gemeint ist damit nicht notwendig eine physisch-kausale Mitwirkung im Ausführungsstadium, erforderlich ist aber eine gleichberechtigte Handlung, die auf einen gemeinsamen Zweck, die Realisierung des Tatbestandes gerichtet ist.
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Auch wenn man sich weitgehend darüber einig ist, dass der Mittäter einen wesentlichen Tatbeitrag erbringen muss, ist nicht geklärt, was im Einzelnen mit diesem Erfordernis gemeint ist. Zwei Fallgruppen bei denen sich diese Abgrenzung immer wieder als schwierig darstellt, sind die Fälle des Festhaltens des Opfers z.B. im Rahmen einer körperlichen Misshandlung und des „Schmierestehens“ bei einer Tat. Beide Fälle werden von der h.M. als mittäterschaftliche Beiträge eingeordnet.[149] Hier offenbart sich die verfehlte Reduktion der Mittäterschaft auf eine bloße „funktionale Abhängigkeit“. Allein dadurch, dass ein Beitrag für die Rechtsverletzung wesentlich war, folgt nicht automatisch die Mittäterschaft. Diese „Sicherungsfunktionen“ können zwar durchaus wesentliches Gewicht für die gemeinsame Tatverwirklichung gewinnen, sind aber nicht zwangsläufig mitbestimmende Tatbeiträge und lassen sich daher nicht pauschal der Mittäterschaft oder der Beihilfe zuordnen. Entscheidend ist, ob sich die Beteiligten gleichberechtigt-wechselseitig in ihren jeweiligen Unrechtsentschluss einbinden und sich so gegenseitig tatmächtig zum Mittel des gemeinsamen Zwecks setzen. Dabei ist differenzierend zu betrachten, ob demjenigen, der das Opfer festhält, kraft dieses Beitrags schon die Mitherrschaft über das Verletzungsgeschehen zukommt, ob also die „Sicherung“ Element der gemeinsamen, sich wechselseitig zum Mittel setzenden Zweckverfolgung ist oder der Tatausführung nur untergeordnet hinzugefügt ist. Hält jemand das Opfer fest, damit der andere ihm eine Sache wegnehmen kann, so verübt der Festhaltende Gewalt, der andere vollzieht die Wegnahme. Die Willensfreiheit und das Eigentum werden im gleichberechtigt-arbeitsteiligen Zusammenwirken beider verletzt, Mittäterschaft (am Raub) liegt mithin vor. Hingegen kann das bloße Festhalten des Opfers, damit ein anderer eine körperliche Misshandlungen begehen kann, nicht per se Mittäterschaft begründen. Entscheidend ist, ob das Festhalten auf der Basis des gemeinsamen Tatplans zur Erreichung des (dann gemeinschaftlichen) tatbestandlichen Erfolges notwendig ist. Bei den Fällen des sog. Schmierestehens ist ebenfalls zu unterscheiden: Soll das „Schmierestehen“, z.B. vor dem Haus bei einem Einbruchdiebstahl, nur die Flucht nach der Verletzungshandlung ermöglichen, ist nur Beihilfe anzunehmen. Ist das „Schmierestehen“ dagegen für das Gelingen auf der Grundlage des gemeinschaftlichen Tatentschlusses für die Verletzung wesentlich und der Erfolg der Handelnden ohne das „Schmierestehen“ gefährdet, so ist der Schmierestehende Mittäter. Das gilt namentlich dann, wenn der Schmierestehende seine Mittäter nicht nur warnen soll, sondern z.B. auch Vorbeikommende abwehren soll.
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Für den Zeitpunkt der Beurteilung des Gewichts des Tatbeitrags ist auf eine subjektive ex-ante-Sicht, die Sicht der Mittäter beim Fassen des Tatentschlusses, abzustellen.[150] Grundlage der Mittäterschaft ist der gemeinsame Unrechtsentschluss, der von den Mittätern arbeitsteilig umgesetzt wird. Ob sich die Mitwirkung an dieser Umsetzung als wesentlich darstellt, ist demnach auf Grundlage des gemeinsamen Tatplans zu beurteilen. Dieser Tatplan kann sich freilich bis zur Ausführung verändern und (in Teilen) neu gefasst werden. Danach ist es für einen wesentlichen Tatbeitrag ausreichend, wenn dem Mittäter eine Funktion zukommt, die bedeutsam hätte werden können, selbst wenn sie es in concreto nicht war.[151] Unter diesem Blickwinkel kann auch ein bloßes Danebenstehen ausreichen, wenn sich die Funktion des Herumstehenden darauf beschränkt, notfalls wesentlich in das Geschehen einzugreifen. Umgekehrt scheidet Mittäterschaft aus, wenn der Beteiligte nur eine untergeordnete Bedeutung erhält, dann aber abredewidrig verstärkt eingreift. Insoweit fehlt dann der gemeinsame Tatplan. Zur ebenfalls mit dem Zeitpunkt der Beurteilung zusammenhängenden Probleme der sog. alternativen und sog. additiven Mittäterschaft s. Rn. 110 f.
a) Beiträge vor Versuchsbeginn
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Nicht einheitlich beurteilt wird, ob eine Mittäterschaft auch möglich ist, wenn ein Beteiligter nur im Vorbereitungsstadium der Tat, d.h. vor Versuchsbeginn tätig wird. Ist beispielsweise der sog. Bandenchef im Vorbereitungsstadium in besonderer Weise tätig, indem er die gesamte Tat plant und die einzelnen Tatbeiträge an die Ausführenden verteilt, während der eigentlichen Tatausführung jedoch nicht mitwirkt, mag er Organisator der Tat sein, ist jedoch – mangels Mitwirkung im Rahmen der Ausführung der Tat – nicht als Mittäter zu qualifizieren.
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Wie dargelegt, lässt die Rechtsprechung demgegenüber jeden nicht ganz untergeordneten Tatbeitrag genügen.[152] Auch eine Mitwirkung im Vorbereitungsstadium ist demnach hinreichend für die Begründung von Mittäterschaft.[153] Einige Vertreter der Tatherrschaftslehre folgen dieser Sehweise im Ergebnis. Nach der sog. „weiten Tatherrschaftslehre“ kann eine funktionelle Tatherrschaft auch dann vorliegen, wenn ein Täter nicht im Ausführungsstadium mitwirkt, soweit sein „Minus“ im Stadium der Tatausführung durch ein „Plus“ im Stadium der Tatplanung – insbesondere durch umfangreiche Mitgestaltung bei der Deliktsplanung – ausgeglichen wird.[154]
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Dagegen verneint die sog. „enge Tatherrschaftslehre“ die Möglichkeit einer Mittäterschaft im Vorbereitungsstadium. Mittäter kann nur sein, wer das unmittelbare Geschehen am Tatort beeinflussen kann. Ohne einen solchen Tatbeitrag im Ausführungsstadium – zwischen Versuchsbeginn und formeller Vollendung der Tat – ist Mittäterschaft nicht möglich.[155] Die Unterschiede ebnen sich insofern ein, als auch Vertreter der engen Tatherrschaftslehre jedenfalls zum Teil keine körperliche Anwesenheit am Tatort fordern, sondern es ausreichen soll, dass der Mittäter das konkrete Verhalten der Anwesenden (z.B. über dauernde Handykommunikation) steuern kann.[156]
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Aus dem Verständnis der Mittäterschaft als (Mit-)Herrschaft über die Verletzung des im „Tatbestand vertypten Unrechts“ ist mit der „engen Tatherrschaftslehre“ eine Mitwirkung im Ausführungsstadium zu fordern. Die Macht über die Verletzung darf nicht isoliert von der Herrschaft über die einzelne Rechtsgutsobjektsverletzung betrachtet werden. Wer das Delikt umfassend plant und „als eigenes will“, dann aber einen anderen bei der Tatausführung allein lässt, erweitert nicht seine eigene Tatmacht um die des anderen, sondern begibt sich gerade der Tatmacht über das Delikt. Die Gegenansicht verortet die Mittäterschaft zu nah an eine durch das Tatstrafrecht überholte Komplottlehre, in welcher die Verbrechensverabredung als solche schon strafrechtliches Unrecht begründen konnte, und verwischt die Grenze zwischen den Beteiligungsformen.[157] Die