Jul hielt kurz inne. »Ja, aber … was du im Passion gesagt hast … Willst du das mit den Jungs wirklich durchziehen?«
»Du meinst, weil sich deine Brüder von mir schlagen lassen möchten?«
Seine Hände begannen wieder mit festem Griff über Evas Rücken zu streichen. »Sie haben regelrecht darauf bestanden.«
»Das war nicht in meinen Plänen vorgesehen. Ich will das eigentlich gar nicht.«
»Eigentlich.« Er murmelte das Wort bemüht emotionslos.
»Ich will dich nicht verletzen.«
»Mir ist bewusst, dass durch deine Position Komplikationen in unserer Beziehung auftauchen werden. Ich bin gerne bereit, Kompromisse und Zugeständnisse zu machen. Schließlich hast du dich mir auch niemals in den Weg gestellt. Die Vorstellung von Einzeldates allerdings …«
Eva riss die Augen auf. »Was meinst du damit?«
»Meine Anwesenheit, wenn alle meine Brüder deinem Körper … huldigen, ist schwer zu ertragen. Aber dann kann ich wenigstens eine Verbindung zu dir bestehen lassen. Dein Mund gehört nur mir alleine. Wenn du jedoch jeden Bruder einzeln am Andreaskreuz bearbeitest -«
»Ich verstehe«, unterbrach sie und schloss wieder die Augen, als Jul die Massage fortsetzte. »Ich hatte vor, die Lösung dieses Problems auszusitzen. Ich spreche das Thema einfach nicht mehr an. Bis sich einer der Männer an mich wendet, ist mir vielleicht eine Möglichkeit eingefallen, die Sessions ausfallen zu lassen.«
»Das wäre meinen Brüdern gegenüber unfair. Versteh mich nicht falsch. Wenn diese … Abenteuer vermeidbar wären, würde ich freiwillig den Jakobsweg beschreiten. Du hast allerdings zugesagt, nach einer Lösung zu suchen. Das kannst du nicht einfach ignorieren.«
Juls Massage hatte Auswirkungen auf die Macht. Die geheimnisvolle Kraft begann durch ihren Körper zu fließen, durchdrang jede Faser mit einem strahlenden Licht. Die Vorstellung, alle neunzehn übrigen Brüder zu schlagen, verlor ihr Grauen. »Ist dir bewusst, was du da von mir verlangst?«
»Darf ich dich an das letzte Fest erinnern? Du hast mich gezwungen, mit mehreren Frauen zu schlafen … Ich allerdings bitte dich nur, dein Zugeständnis an meine Brüder genau zu überdenken.«
»In Ordnung. Das werde ich tun, obwohl ich nicht vorhabe, die Jungs wirklich zu schlagen. Wir werden einen Kompromiss finden. Das bedeutet noch einen Punkt auf meiner Liste mit Dingen, die mich im Augenblick verunsichern.«
Jul beugte sich vor und drückte ihr einen Kuss aufs Ohr. »Ich möchte dich vor allem Bösen dieser Welt beschützen. Und dass nicht nur, weil es sich um meine Aufgabe handelt, jetzt, da du der Bruderschaft vorstehst. Aber vor dem Monster in deiner Seele kann ich dich nicht bewahren.«
Sie drehte den Kopf, bis sie ihn ansehen konnte und lächelte ihn an. »Diese Monster wohnen in jedem von uns. Auch in den Menschen, die nichts von der Existenz der wahren Dunkelheit in dieser Welt ahnen.«
»Bei Adolescentia Aeterna handelt es sich nicht um die Dunkelheit.«
Sie senkte ihren Kopf und legte ihn auf der Matratze ab. »Nein. Das, was die Welt verschlingt, ist der Eigennutz. Niemand, der die Macht hat, wirklich etwas zu verändern, übernimmt Verantwortung.«
»Willst du mir vorwerfen, dass ich die letzten Jahrhunderte nicht besser genutzt habe?«
Die Wärme war einfach überall in Evas Körper. Jul kletterte von ihr und setzte sich neben sie. Dann begann er, ihre Füße zu massieren. Sie stöhnte wohlig auf.
»Vielleicht. Ich wollte nur von dem Monster ablenken, das tatsächlich in mir wütet. Die Macht fühlt sich immer noch wie ein fremder Teil von mir an. Sie bestimmt meine Handlungen. Das lässt mich an all meinen Entscheidungen zweifeln. Wo höre ich auf? Wo beginnt die Macht? Das Monster lauert in einer Ecke meines Gehirns und kann jederzeit seine Klauen in meinen Verstand schlagen.«
»Du bist bereits ausgeglichener, weniger aufbrausend. Bald wirst du mit der Macht vollkommen eins sein. Du wirst dich nicht mehr fragen müssen, ob du oder die Macht die Führung deines Schicksals haben.«
Eva genoss, wie seine Daumen über ihre Fußballen kreisten. Trotzdem konnte sie die Zweifel in sich nicht gänzlich verdrängen. »Gab es Zeiten in deinem Leben, in denen du die Ewige Jugend gerne für ein wenig Normalität aufgegeben hättest?«
Sein Griff wurde sekundenlang fester. »Ich kam mehrmals an diesen Punkt. Einmal war es besonders schlimm. Ich habe dir bereits von meinem Freund erzählt, meinem Seelenverwandten. Ich wollte in seiner Nähe bleiben. Auch als die Zeit abgelaufen war, die mir zusteht.«
»Die sieben Jahre, bevor ihr umziehen müsst?«, erkundigte sich Eva.
»Wir nahmen es damals nicht so genau. Aber es wurde bereits offensichtlich, dass ich mich nicht veränderte, während das Alter erste Zeichen auf seinem Gesicht hinterließ. Ich habe die Regeln gehasst, die verbieten, dass er ein Mitglied von Adolescentia Aeterna wurde. Ich vermisse ihn noch heute.« Jul ließ ihren Fuß los.
Eva rollte sich auf die Seite und setzte sich auf. »Das tut mir leid.« Sie schmiegte sich an seine Schulter.
»Er hatte keine Familie. Doch er wünschte sich nichts sehnlicher, als eine Frau zu finden und ein Dutzend Kinder in die Welt zu setzen. Er wäre als Bruder nicht glücklich geworden.« Jul strich über Evas Haar. Seine Stimme klang tiefer als sonst. »Wir haben alle Geheimnisse geteilt. Wie wundervoll die Jahre waren, die wir wie Brüder gelebt haben. Keine seiner Empfindungen war mir fremd. Lediglich der nichtmenschliche Teil meines Daseins stand zwischen uns.«
»Es war bestimmt nicht leicht, deine Unsterblichkeit vor ihm zu verbergen.«
»Ja, aber es war ohnehin umsonst. Er ist einsam gestorben. Sein Traum von einer Familie hat sich nicht erfüllt.«
Eva suchte seine Hände und verschränkte sie mit ihren. »Das ist nicht deine Schuld.«
»Schwer, das meinem Herzen glaubhaft zu machen.«
Sie drückte seine Hände fester. »Quäle dich nicht. Du hättest sein Schicksal nicht ändern können. In welcher Zeit hat dein Freund gelebt?«
»Im Mittelalter. Wir haben unseren Lebensunterhalt als Turnierritter verdient.«
Eva löste sich von ihm und blickte ihm in die Augen. »Das hätte ich gerne gesehen.«
»Diese Phase meines Lebens war nicht so wildromantisch, wie du vielleicht denkst. Der Alltag hielt viele Entbehrungen bereit. Überleg nur mal, auf welche Erfindungen wir verzichten mussten. Es stank, war schmutzig und zugig.«
»Sehr kurz zusammengefasst«, meinte sie mit einem Grinsen.
»Aber auf den Punkt. Die Mitglieder von Adolescentia Aeterna pflegten zwar enge Verbindungen zum Adel - hauptsächlich zur weiblichen Fraktion -, aber das reichte nicht, um das dunkle Zeitalter für uns angenehmer zu machen.«
Sie strich über seine Wange. »Du hast viel erlebt.«
»Das ist wahr. Und wenn ich mir aussuchen könnte, in welchem Jahrhundert ich leben darf, dann würde ich das 21. nehmen. Unabhängig davon, dass du hier auf mich gewartet hast.«
»Ich wäre dir überallhin gefolgt.« Die Wahrheit in diesen Worten brannte sich in ihr Herz. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte sie daran gezweifelt, dass es sich bei ihm um ihr Schicksal handelte. Das war nun vorbei.
»Du hättest jedes Jahrzehnt für mich heller gemacht.«
»Vorsicht. Das Schmalz tropft mir aus den Ohren«, beschwerte sie sich. »Aber ich liebe dich und deine unzähligen Leben trotzdem.«
»Und ich liebe dich und deine Dämonen.«
Das Schicksal hatte sie vielleicht zusammengeführt, aber ihre Herzen hatten sich füreinander entschieden. Sie waren verbunden durch ihre Liebe. Und Eva hatte vor, diese Verbindung