»Lasst euch von mir nicht stören«, bat Anun. »Ich nehme nur als Überraschungsgast teil und bin zufrieden mit meiner Rolle.«
Nur kurz zögerte Eva, bevor sie nach dem Geschenk griff. Sie war einfach zu neugierig, was sich in dem flachen, einen halben Meter hohen Paket befand. Eine Aktentasche, schwarzer, fester Stoff mit einem kleinen Logo. Das doppelte A.
»Da du jetzt als Immobilienmaklerin durchstartest, dachte ich, deine Unterlagen wären darin besser aufgehoben als in deiner Handtasche«, verkündete Jul. »Natürlich weiß ich nicht, ob du jetzt noch dort arbeiten -«
»Ich habe nicht vor zu kündigen. Die Kasse muss gefüllt werden.« Eva hielt den Atem an. Hoffentlich verstand Jul das nicht als Vorwurf. Er lächelte weiterhin. Sie stieß die Luft aus. »Immobilienmakler ist mein Traumberuf. Die Tasche wird mir gute Dienste leisten. Vielen Dank.«
»Schön. Das letzte Päckchen öffnen wir lieber erst heute Abend vor dem Zubettgehen.«
Hitze wärmte bei dieser Andeutung Evas Gesicht. Sie wagte nicht, zu ihrem Vater zu blicken. Jul wusste, wie er sie rumkriegte. Er musste nur grinsend eine Augenbraue heben, um ihr Begehren zu wecken.
Eva blickte auf die Uhr. »Es wird ohnehin langsam Zeit. Die anderen warten im Passion auf uns.«
Anun erhob sich. »Dann wünsche ich euch einen schönen Abend.«
»Du kommst natürlich mit«, meinte Eva. »Einige der Brüder wollen Neuigkeiten mit dir austauschen. Und die anderen sind neugierig auf dich.«
Ihr Vater zögerte. »Unser Vater-Tochter-Gespräch verlief nicht allzu positiv.«
Eva machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich bin erwachsen. Ich komme schon damit klar, dass wir nicht einer Meinung sind. Es würde mich freuen, wenn du den restlichen Abend mit uns verbringen würdest.«
Ihr Vater nickte. »Es fällt mir nicht im Traum ein, dich zu enttäuschen.«
2. Kapitel
Bei ihrem Eintreffen konnte Eva die letzten Töne von Last Christmas von Wham! hören. Sie half Jul, seine Jacke abzulegen, und verstaute sie in der Garderobe. Dann nahm sie Jul am Arm. Ihr Vater folgte ihnen.
Das nächste Lied ertönte: All I want for Christmas. Mimi hatte eindeutig alle Klischees erfüllen wollen. Ob es wohl ein Fehler gewesen war, sie mit der Planung der Feier zu beauftragen? Eva musste lernen, Verantwortung abzugeben. Anders könnte sie ihren Job im Immobilienbüro, die Regelung der Belange der Bruderschaft und die Rettung von Jul nicht unter einen Hut bringen.
»Bist du bereit?«, erkundigte Eva sich bei Jul und verstärkte den Griff um seinen Arm.
»Wenn du es bist. Das ist deine Bühne.«
Ihre Blicke verschmolzen. Das Strahlen in Juls Augen wärmte ihr Herz. Sein Gesicht hatte sich verändert. Die Falten, die die Verantwortung für seine Brüder und die Besorgnis über das Schwinden der Macht in seine Stirn gegraben hatten, waren verschwunden. Wie sehr Eva ihren Jul liebte! Ihren Dunklen Lord, den sie vor einem gefühlten Herzschlag im Passion kennengelernt hatte. »Ich wollte nur sichergehen, dass du dich nicht überanstrengst.«
»Küss mich, Schatz. Dann kann ich meinen Akku aufladen, um den Rest des Abends durchzustehen.«
»Den Wunsch erfülle ich dir gerne, Geliebter.« Eva ignorierte ihren Vater, der sich räuspernd an ihnen vorbeidrängte. Stattdessen zog sie Juls Kopf zu sich heran. Ihre Lippen berührten sich und setzten damit den Wirbel der Macht in Bewegung. Eva spürte die Kraft, die jede Faser ihres Körpers durchdrang. Ob es sich für Jul ebenso wundervoll anfühlte?
Jul löste sich von ihr und lächelte sie an. Sein wundervolles Verführerlächeln.
»Auf in den Kampf«, flüsterte Eva und trat mit Jul zu ihrem Vater, der ihnen von dem Durchgang in den Hauptraum des Passion aus entgegenblickte. »Worauf wartest du?«, fragte Eva ihren Dad.
»Es steht mir nicht zu, vor dir vor die Brüder zu treten.«
»Ganz neue Töne«, murmelte Eva. »Stützt du Jul?«
Anun nickte und gab den Weg frei.
Eva holte tief Luft. Weshalb klopfte ihr Herz bloß so heftig gegen ihren Brustkorb, dass sie Schwierigkeiten beim Atmen hatte? Das hier war doch nur eine Weihnachtsfeier mit ihrer Familie. Mit ihrer großen Familie. Der sie ein paar Änderungen schmackhaft machen wollte.
Sie trat einen Schritt in den Raum hinein.
Die Brüder verstummten und wandten sich ihr zu. »Willkommen, Gebieterin.« Auch die Mädels grüßten Eva winkend. Dann setzten alle Anwesenden ihre Gespräche fort.
Eva rollte mit den Augen und grinste Jul an, der mit Anun neben sie trat. Sie wurde übermütig. »Soll das die ganze Begrüßung gewesen sein?«
Die Macht strömte als sanfte Welle von ihr aus zu den Brüdern. Die Männer drehten sich neuerlich zu ihr um. Nun senkten sie den Blick zu Boden und legten eine Hand auf die Stelle ihrer Brust, unter der ihr Herz schlug.
»Seht den neuen Ältesten der Bruderschaft!
Sein Blut schenkt uns auf ewig jugendliche Kraft.
In deine Hände legen wir unser Leben.
Wir sind bereit, unseres für deines zu geben.
Wir folgen deinen Entscheidungen rund um die Welt.
Damit der Glanz der Brüder die Dunkelheit erhellt.
Lang lebe der Älteste!
Adolescentia Aeterna über alles!«
Die Untergebenen huldigten ihrer Königin. Eva musste aufpassen, dass ihr die Macht nicht zu Kopf stieg. Sonst endete sie wie einer der zum Abdanken gezwungenen Ältesten. »Ich danke euch. Macht weiter … mit was auch immer.«
Eva sah sich um. Ein riesiger Christbaum mit kleinen, glitzernden Diskokugeln stand in der Mitte der Tanzfläche, überall lag Engelshaar und Lametta auf den Tischen, riesige Kerzen, Girlanden, Blumengestecke schmückten alles. Mimi würde ihr eine gesalzene Rechnung präsentieren.
Ihre Freundinnen eilten auf sie zu. »Was für ein Auftritt«, lachte Ellen über das wieder einsetzende Gemurmel der Männer hinweg. Die Mädels wünschten sich frohe Weihnachten.
»Du hast es etwas übertrieben, Mimi. Dieser ganze Glitter und so. Was das kostet!« Eva bemerkte die Enttäuschung in Mimis Blick und fügte schnell hinzu: »Es gefällt mir. Danke für deine Mühe.«
Ein breites Grinsen erschien auf Mimis Gesicht. »Du solltest dir besser an deine eigene Nase fassen. Verlangst du demnächst, dass wir alle auf den Knien vor dir rutschen?«
»Das heben wir uns für die großen Feste auf.« Eva zwinkerte ihrer besten Freundin zu und griff nach Juls Arm. Anun wurde von Manus begrüßt und schien bei dem Bruder gut aufgehoben. »Setzen wir uns«, schlug Eva an Jul gewandt vor.
»Ich kann stehen«, grummelte der.
Eva lotste ihn trotzdem zu einem Sofa und nahm neben ihm Platz. Dann strich sie über seine Wange. »Diese Art von Spielchen bei der Begrüßung werden nicht mehr vorkommen.«
»Das ist eine Erleichterung.«
Die von ihm ausgehenden Wellen dieses Gefühls überraschten sie. »Du musst dir keine Sorgen machen. Ich habe die Macht unter Kontrolle. Ich bestehe nicht darauf, dass mir Ehrerbietung gezeigt wird. Das wäre albern.«
»Einen Moment dachte ich …« Jul verstummte.
»Nicht mehr als ein Scherz, Süßer. Ich bin kein Monster.« Sie beugte sich zu ihm und drückte ihm einen kurzen Kuss auf die Lippen. »Lass uns das Treiben ein paar Minuten genießen, bevor ich meine Rede halte.«
»Eine