»Mir war nicht klar, dass deine Nase so groß ist«, unterbrach Mimi das andächtige Schweigen. »Sie wirkt wie eine Skisprungschanze.«
Zwei Sekunden lang war es still, dann brachen alle fünf in Gelächter aus. Die Leichtigkeit des Moments breitete sich in Evas Körper bis zu ihrem Herzen aus.
»Du scheinst in Gedanken weit weg«, stellte Mimi fest. Vor einer halben Stunde waren sie in ein Kaffeehaus eingefallen. Inzwischen hatte jede ein Stück Torte verputzt und auf dem Tisch standen Sektgläser, schließlich gab es etwas zu feiern. Die anderen Mädels besorgten Kaloriennachschub. »Ist alles in Ordnung?«
Eva hob ihre Mundwinkel zu einem Lächeln. »Ja, klar.«
»Das mit dem Lügen hast du immer noch nicht drauf. Gibt es Probleme im Job oder den teuflisch gutaussehenden Göttern?«
Der neue Spitzname, den Mimi sich für die Brüder ausgedacht hatte, gefiel Eva. »Das Zweite. Wobei … Die Eifersucht der Jungs ist nicht das, was mich augenblicklich besorgt aussehen lässt.«
»Eifersucht auf wen?«
»Auf Jul. Auf Manus. Auf euch.«
»Ich kann nachvollziehen, dass sie gerne alle an Juls Stelle wären. Und dass wir ohne lange Vorbereitungszeit Teil von Adolescentia Aeterna geworden sind, gefällt ihnen sicher nicht. Aber warum der Neid auf Manus?«
Eva blickte in Mimis neugierig wirkende, blaue Augen. Eva rückte näher an ihre Freundin heran. Die Aufmerksamkeit der anderen Mädels war auf die Auswahl in der Tortentheke konzentriert. »Ich habe Manus beim letzten Fest der Bruderschaft geschlagen.«
»Brutal! Darauf sind sie eifersüchtig?«
»Manus war am Andreaskreuz. Ich habe ihn ausgepeitscht und anschließend …« Sie verstummte.
Mimis Augen weiteten sich. »Weiß Jul, dass du ihn betrogen hast?«
»Ich habe nicht mit Manus geschlafen. Ich habe ihn nur … mit der Hand … du weißt schon.« Alleine die Vorstellung, sie hätte diese Grenze überschritten, ließ Evas Herz brennen.
»Dir ist schon bewusst, dass man das auch Sex nennt.«
»Jul hat davon erfahren, und für ihn ist es okay. Jedenfalls wurde die Macht durch diese Aktion stärker. Ich musste vor einem Monat auch die anderen Männer … beglücken, damit ein Ausgleich geschaffen wurde.«
Mimi schüttelte den Kopf. In ihrem Gesicht stand Unmut.
»Sieh mich nicht so an. Ich trage Verantwortung. Fast wie eine Mutter für ihre Kinder.«
»Sehr mütterlich war dein Verhalten nicht.«
»Ich hatte keine andere Wahl. Und es wird garantiert nicht wieder vorkommen.«
»Lass mich noch einmal zusammenfassen: Du machst mit zwanzig Jungs rum, obwohl du eine glückliche Beziehung führst. Aber das ist nicht das Problem, welches dich augenblicklich so beschäftigt, dass du geistesabwesend wirkst?«
Eva seufzte. Das klang tatsächlich nicht nach ihr. Hatte sie schon erwähnt, dass ihr Leben verdammt kompliziert geworden war? »Ich versuche, die Geschichte mit den Brüdern nicht an mich heranzulassen. Ich mache mir Sorgen wegen dieser verflixten Prophezeiung.«
»Hat dein Vater inzwischen etwas über den Verbleib der Schriften herausgefunden?«
»Nein«, seufzte Eva. »Wir haben gemeinsam versucht, das Rätsel in den Überlieferungen zu lösen, die ein afrikanischer Stamm über das Erscheinen eines Fremden verfasst hat. Anun ist der Meinung, dass es sich bei diesem Wanderer um seinen Freund Jusuf handelt, der die Aufzeichnungen der Bruderschaft verstecken sollte. Der Wanderer hat laut dem Stamm Wunder vollbracht. Für wahrscheinlicher halte ich, dass es ihn niemals gegeben hat.«
Mimi runzelte die Stirn. »Willst du etwa aufgeben?«
»Mein Dad bereitet eine Reise nach Afrika vor. Er setzt sich mit all seinen Bekannten in Verbindung«, erzählte Eva. Ihr Herz wurde schwer. »Jul soll ihn begleiten. Obwohl mir diese Idee nicht gefällt, benötigen wir den genauen Wortlaut der Prophezeiung. Wir müssen den Langzeitfolgen entgegenwirken können, die die Übernahme der Macht durch mich vielleicht hat.«
»Geht es den Brüdern denn schlechter?«
»Eigentlich läuft es ausgesprochen gut. Jul hat zu seiner alten Stärke zurückgefunden. Ich fühle mich fit, als käme ich direkt von einer Kur. Und die Brüder scheinen durch die von mir gespendete Macht immer noch nicht negativ beeinflusst.«
Mimi legte eine Hand auf Evas Arm. »Dann mach dir nicht so viele Gedanken. Vielleicht klärt sich alles von alleine.«
»Du unverbesserlicher Optimist! Die Realität sieht anders aus. Man bekommt immer dann einen Tritt in den Hintern, wenn man sich in Sicherheit wiegt. Diesen Fehler werde ich nicht machen.«
Als die anderen Mädels mit ihren gefüllten Tellern zurückkehrten, zwang sich Eva zu einem Lächeln. »Habt ihr uns etwas mitgebracht?«
»Ein Stück Schwarzwälder Kirschtorte für Mimi und Zitronenkuchen für Eva.« Marianne stellte die Teller vor ihnen ab. »Ich hoffe, ich habe die richtige Wahl getroffen.«
»Perfekt. Vielen Dank.« Eva schob sich eine Gabel voll Zitronenkuchen in den Mund.
»Wie geht die Familienzusammenführung voran?«, fragte Sascha. »Weiß dein Vater, wo deine Brüder stecken?«
Gab es kein anderes Gesprächsthema als Evas Leben? »Nein. Und ich hoffe, ich höre nicht so bald von ihnen. Meine Familie ist auch ohne sie in den letzten Monaten größer geworden, als ich jemals angenommen hätte.«
»Die Bruderschaft hat unser aller Leben verändert.« Ellen grinste. »Sogar Marianne haben wir endlich unter die Haube gekriegt.«
»Dann gilt es nur mehr, eine geeignete Frau für dich zu finden.« Mimi zwinkerte Ellen zu. Als Ellen das Gesicht verzog, boxte Mimi sie spielerisch an den Oberarm. »Wenn du ein wenig flexibler wärst, könntest du dir einen von Evas Jungs aussuchen.«
»Das ist vielleicht eine Überlegung wert. Ich denke, die Jungs haben genug Ablenkungen auf Lager, die mich über ihre offensichtlichen Mängel hinwegtrösten könnten.«
5. Kapitel
Eva räusperte sich. »Haben Sie noch weitere Aufgaben für mich?«
Die Schönberg blickte von den Papieren auf ihrem Schreibtisch hoch. »Nein, danke, Frau Monden. Die Unterlagen zu dem neuen Projekt sehen gut aus.« Sie schob die Blätter zusammen und steckte sie in den dazugehörigen Schnellhefter. »Ich gratuliere Ihnen zum Verkauf der renovierten Immobilie. Der Kaufpreis übersteigt meine Erwartungen.«
»Das freut mich«, meinte Eva. Erst gestern hatten sie das Angebot der Käufer angenommen und plante heute schon den Ankauf ähnlicher grundsanierungsbedürftiger Häuser. »Aber Sie haben vorhin angedeutet, dass Ihnen etwas auf dem Herzen liegt.«
»Ach, ja. Das … das Problem.«
Eva zog die Augenbrauen zusammen. »Gibt es Schwierigkeiten mit einem meiner Objekte? Bislang wurde mir noch nicht …«
»Nein, nein. Ich bin mit Ihrer Arbeit mehr als zufrieden. Unsere Zusammenarbeit ist dennoch der Grund für mein leichtes … Unwohlsein.«
Eine eiskalte Welle schlug über Eva zusammen. Ihr Traum schien ihr aus den Händen zu gleiten. Sie hatte es doch so genossen, ihn zu leben. »Habe ich einen Fehler gemacht?« Das Blut wich aus ihrem Gesicht.
»Nein. Nein!« Katherina Schönberg griff nach Evas Hand. »Sie sind ja ganz blass. Tut mir leid, falls ich einen falschen Eindruck bei Ihnen erweckt habe.«
»Keine Kündigung?«, flüsterte Eva.
»Nein! Ich käme