Nachtfunke 2. Marion Hübinger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marion Hübinger
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения:
Год издания: 0
isbn: 9783946843962
Скачать книгу
hat Asya erzählt?« Sori, die jüngste der Seherinnen, erntet zustimmendes Nicken.

      Der Druck auf meiner Brust nimmt zu. Selbst das Atemholen fällt mir schwer. Darum fürchte ich, dass meiner Stimme die nötige Kraft fehlt, um überzeugend zu klingen. »Sie sprach plötzlich von einem Land der Weißen Steine, hier aber das falsche Weiß wäre.«

      »Hat sie auch gesagt, was sie damit meint?«

      Für Gundo steht viel auf dem Spiel. Er wird bald Vater. Ich mag gar nicht an die möglichen Strapazen für Myra denken. Außerdem ist Gundo dabei, die Kunst des Schmiedens zu erlernen. Ein Ortswechsel würde auch für ihn bedeuten, ein weiteres Mal mit dem mühsamen Bau der Schmiede zu beginnen. Die Felsen sind hartnäckig. Sie geben ihre Steine nicht einfach her. Das Graben braucht viel Zeit und noch mehr Geduld.

      Bedauernd schüttle ich den Kopf. »Leider nein. Aber sie hat mich immer wieder beschworen, auf den Himmel zu achten. Als käme von dort eine Gefahr, die wir nicht kennen.«

      »Und darum zweifelst du also an diesem Land? Nur wegen Asyas wirren Worten?« Dragon dreht sich im Kreis und sieht einen nach dem anderen eindringlich an. »Ich bitte euch, wir wissen alle, dass ihr Kopf nicht mehr klar ist. Elins Visionen sind viel wichtiger, und sie hat gesagt, dass wir hierbleiben, stimmt´s Elin?«

      Ich beiße mir auf die Lippe, um nichts Unüberlegtes zu erwidern. Dragons Ton lässt es an Ehrfurcht vor der Alten mangeln. Sofort spüre ich den Kloß in meinem Hals, der jedes Mal aufkommt, wenn ich mich mit ihm auseinandersetzen muss.

      »Stimmt das, Elin? Hat die Göttin diesen Ort längst gesegnet?« Myras leise Frage bringt alle dazu, ihre Blicke auf Elin zu richten.

      »Dragon hat recht«, erwidert Elin mit fester Stimme.

      »Das meinst du nicht ...«

      Mit erhobener Hand unterbricht Elin meinen empörten Ausbruch. Mein Blick verfinstert sich.

      »Was ich sagen möchte ... ich sehne mich wie ihr alle danach, hier zu bleiben, neue Kraft zu tanken. Asya hat von finsteren Zeiten in den Moragen gesprochen. Und davon, dass wir ein Volk der Bewahrer sind. Wir können säen, ernten, und überall neu beginnen.« Elins Züge verraten nichts, aber ich sehe das schnelle Heben und Senken ihrer Brust. »Ich fürchte nur, ich kann nichts von all dem sehen.« Sie senkt den Kopf.

      Auf einen Schlag fühle ich mich kraftlos. Als wären Elin und ich auseinandergerissen worden. Zwei Herzen, die im Gleichtakt schlagen sollten. Vielleicht hätte ich Elin meine Bedenken anvertrauen, sie nach ihren Visionen fragen sollen. Mit ihr gemeinsam nach Lösungen suchen müssen. Ihre Worte schmerzen, sie hinterlassen einen eigentümlichen Beigeschmack.

      Elins Weg ist wie meiner vorherbestimmt. Sie wird ihrer Großmutter nachfolgen und die Seherinnen leiten. Sie ist die Auserwählte. Dazu bestimmt, zu Irsa zu beten und dem Stamm der Fens auf diese Weise zu dienen. Erst jetzt erkenne ich mit Schrecken, dass sie diese Bestimmung irgendwo zwischen Bergen und Tälern verloren haben muss. Wenn ich meine Gefährtin doch nur beschützen könnte!

      Unverhofft durchbricht Gundo das Schweigen, schwarz und zäh wie Pech. Er stellt sich mit stolz geschwellter Brust in unsere Mitte. »Asya hat aber auch gesagt, dass man einst über uns Geschichten erzählen wird.«

      Wie recht du hast, mein Freund. Du schenkst dem Stamm der Laxis einen neuen Spross. Allein das ist es wert, am Feuer erzählt zu werden.

      »So wird es geschehen, Gundo, wenn nicht hier, dann an einem anderen Ort«, sage ich und stelle mich neben ihn. »Ich kann euch nicht erklären, warum mich meine Zweifel nicht ruhen lassen. Darum frage ich euch, wo sollen wir genügend Holz finden, um Hütten zu bauen? Womit auf lange Sicht Feuer machen, das uns in den kalten Nächten wärmt? Felsen, Gras und Gestrüpp genügen nicht, wenn wir ein ganzes Dorf erbauen wollen.«

      »Dafür haben wir Wasser so viel wir wollen«, wirft Dragon mit finsterer Miene ein.

      »Wasser ist wichtig, ohne Wasser kann ich kein Werkzeug herstellen«, gibt der Schmied zu bedenken.

      »Aber wir brauchen so viel mehr. Mächtiges Wild, das wir jagen und uns Felle daraus machen können. Genügend Stroh, auf dem wir liegen werden ...«

      »Wir haben begonnen, nach Höhlen zu suchen«, fällt mir Dragon ins Wort. »Und wir nutzen die Steine, um Hütten zu bauen.« Um seinen Mund verläuft ein verkniffener Zug.

      Sein Einwand erntet zustimmendes Nicken.

      »Auch die Felsen werden uns Schutz bieten.« Sori klingt aufgeregt wie ein kleines Kind. »Sobald wir genug Werkzeug haben, graben wir mit vereinten Kräften einen Unterschlupf. Dort, oberhalb des Plateaus.« Ihre Hand zeigt in Richtung der Felswand. »Wir haben genug Wasser und du, Myra, hast schon viele Kräuter gefunden. Genug, um Heilpasten daraus zu machen und Sud gegen Krämpfe.«

      Nasren hustet. Sie steht leicht gekrümmt in unserem Kreis und breitet die Hände aus, als wolle sie beten. »Wir haben alles, was wir brauchen, Fino, wozu also noch weiterziehen? Was versprichst du dir davon?«

      Trotz aller Einwände versuche ich, mich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen, und doch schwingt in meiner Stimme ein leiser Zug der Verzweiflung mit. »Aber ihr seid kein Volk der Berge. Was ihr braucht, ist ein Tal mit saftigen Wiesen. Wo das Vieh leben kann und die Bäume wieder wachsen werden.«

      »Du bist kein Krieger, sondern ein Träumer, Fino«, schnaubt Telman mit finsterer Miene.

      »Ich sehe es genauso wie Fino.«

      Überrascht wende ich den Kopf zu Elin. Ihre Augen sind in die Ferne gerichtet.

      »Was nutzt uns Wasser in Hülle und Fülle, wenn wir keine Felder haben, die wir bewässern können? Erinnert ihr euch noch an unsere Bäume? Wie saftig die Früchte an ihren Zweigen hingen? Wie wir gestaunt haben, dass sie mit jedem Sonnenlauf größer und kräftiger wurden? Ich vermisse all das. Und unser Dorf.«

      Mehrere Seufzer sind zu hören.

      »Nirgendwo steht geschrieben, dass wir es nicht auch anders schaffen. Ich bin dafür, hier zu bleiben. Wenn ich mich umsehe, gibt es da nichts als noch mehr Berge, nichts, wofür es sich lohnt, sich weiter zu quälen. Wir wissen nicht, was uns anderswo erwartet«, erwidert Telman in einem Atemzug.

      Ich schlucke. Streng genommen spricht Telman für viele der Fens. Diejenigen, die ihm ihr Vertrauen geschenkt und ihre Lager auf der anderen Seeseite aufgebaut haben. Nicht einmal Elin konnte verhindern, dass es so gekommen ist. Letztendlich haben wir ihn gerade darum in den Rat berufen. Eine versöhnliche Geste, die ich fast wieder bereue.

      »Du hast recht, Telman, ich sage nicht, dass es leicht wird.«

      Der Schmied sieht mich nüchtern an. »Was ist dein Plan?«

      Danke, forme ich mit den Lippen. Es ist immerhin ein Anfang.

      »Genau«, stimmt ihm Aso zu. Bisher hat er sich mit seiner Meinung zurückgehalten. »Worüber genau sollen wir im Rat abstimmen?«

      »Ich suche ein paar Männer, die mit mir kommen wollen. Ich möchte über diesen Bergkamm, um mir einen besseren Überblick zu verschaffen. Einem Gipfel folgte auf unserem Weg auch immer ein Tal. Oder zumindest ein Einschnitt. Wir gehen am Tage, eine Handvoll Nächte werden wir durchhalten. Dann kommen wir zurück.«

      »Ich bin dabei«, sagt der Schmied, ohne lange nachzudenken. »Du kümmerst dich solange darum, dass der Bau der Schmiede voranschreitet, Gundo.«

      »Danke, Mann, du bist ein treuer Gefährte.« Die Loyalität des Schmiedes rührt mich. Er ist ein tapferer Laxis, wenn nicht sogar der Tapferste. Trotzdem spüre ich, dass er nicht an einen anderen Ort glaubt.

      Telman hingegen sieht eisern zu Boden. Vielleicht nimmt er an, dass er sich mir als Ratsmitglied anschließen muss, sobald er meinem Blick begegnet. Dabei sind mir wenige vertraute Begleiter lieber als ein lauter und ungestümer Fens.

      »Auf mich kannst du auch zählen.« Prompt stellt sich Aso auf meine Seite, als wäre das ein Zeichen.

      »Das habe ich befürchtet», sagt Elin leise.

      Schnell