Nachtfunke 2. Marion Hübinger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marion Hübinger
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Год издания: 0
isbn: 9783946843962
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auch in deren Tal einfiel. Er hätte keinen besseren Zeitpunkt dafür wählen können. Die Fens waren zur Feier des längsten Tages auf den Berg gestiegen, um der Göttin Irsa mit einem großen Feuer zu huldigen. In letzter Sekunde hatte ich verhindern können, dass dieses Feuer weithin für jeden sichtbar gewesen wäre. Am Ende war uns nichts anderes als der Aufbruch geblieben.

      Behutsam setze ich einen Fuß vor den anderen. Ich fühle mich steif, die Muskeln in meinem Bein sind hart, als mute ich ihnen zu viel zu. Automatisch ziehe ich das Bein nach. Mein Atem geht schwer. Ich bin erleichtert, als wir die Ebene erreichen. Meine Kräfte sind unter dem Gewicht der alten Frau schnell geschwunden.

      Elin und die anderen Seherinnen wählen ein Lager in der Nähe des Seeufers, geschützt hinter einem Busch, und ich bette Asya vorsichtig auf das ausgebreitete Fell. Sofort bilden die Frauen einen Kreis und beginnen mit ihrem Gesang. Schwach und entkräftet die Körper, aber die Stimmen von Luna, Sori, Kala und Nasren tragen weit über das Wasser. Ich beobachte, wie die Fens innehalten, als würden sie sich in ihren Gedanken den Gebeten der Seherinnen anschließen. Mitten unter ihresgleichen meine Seelengefährtin. Sanftes Licht umgibt Elin. Sie ist von ihrem Volk auserwählt, zu Irsa zu beten. Dazu bestimmt, Asya zu folgen und den Rat der Seherinnen zu leiten. Die Luft ist erfüllt vom Gesang, ergreifend traurig und schön zugleich. Die Fens rücken zusammen, halten sich bei den Händen. Dieser Moment hat etwas Ehrfürchtiges an sich. Auch ich senke den Kopf und bete zu Irsa um ihren Segen, wie es bei uns Laxis Sitte ist.

      Anschließend begebe ich mich zum Ufer des Sees. Die intensive Dunkelheit seines Blaus lässt nicht erkennen, wie tief er ist. Obgleich der Wind hier unten nur schwach über die Hügel streicht, kräuselt sich das Wasser in seiner Mitte. Vorsichtig strecke ich die Zehen hinein. Angesichts der unerwarteten Kälte ziehe ich sie schnell zurück. Erst jetzt knie ich mich auf den Boden und schöpfe mit hohlen Händen die ersten kostbaren Schlucke.

      »Man kann den Grund nicht sehen.« Der Gesang ist verhallt, als Elin neben mir auftaucht.

      »Es sieht schön aus, wie sich die Felsen in ihm spiegeln.«

      Elin beugt sich tiefer und lässt die Hände sanft durch das Wasser gleiten. »Ich mag die Ruhe, die von ihm ausgeht.«

      »Wir sollten trotzdem vorsichtig sein.«

      »Keine Sorge, freiwillig wird niemand in den See steigen. Dafür ist er viel zu eisig.« Sie lacht hell und fast schon kindisch auf. »Meine Hände frieren fast ab.«

      Nasren, die schmächtige Seherin mit den faltigen Händen, füllt neben uns Wasser in eine Kelle.

      »Brauchst du Hilfe?«

      »Danke, es geht schon. Ich hoffe, Asya tut das kühle Wasser gut.«

      Mein Blick folgt ihr, über das Lager der alten Seherin hinweg, hin zu den Hügeln, auf denen sich die Menschen wie fleißige Ameisen verteilen. Sie prüfen den Boden, suchen nach Essbarem, nach Holz, nach einem geeigneten Schlafplatz, wie sie es an jedem Ort getan haben, an dem wir bisher gerastet haben. Nur, dass es dieses Mal für immer sein soll. Ich schenke Elin ein hoffnungsvolles Lächeln und nehme sie bei der Hand, während wir aufstehen.

      »Ist alles so, wie du hinter den Schleiern gesehen hast?«

      Elins kurzes Zögern führe ich auf ihre Ergriffenheit zurück. »Vergiss nicht, noch sind es Asyas Visionen, die uns lenken.«

      Nachdenklich schüttle ich den Kopf. »Aber deine Seherinnengabe ...«

      »Bildet sich erst voll aus, wenn ich ihren Platz eingenommen habe.«

      »Da hat mir dein Bruder aber ganz Anderes erzählt.«

      »Er hat übertrieben. Meine Visionen reichen längst nicht an die von Asya heran.«

      »Und trotzdem hast du uns hierher geführt.«

      Elin wendet sich zu mir und legt die Hände auf meine Brust. »Wir beide, Fino. Nur gemeinsam sind wir so stark wie ...«, sie lächelt verschwörerisch und ich sehe ihren Blick über meine Schulter hinweg wandern, »wie der mächtige Fels dort drüben.«

      Mir entweicht ein amüsiertes Glucksen. »Möge der Fels niemals ins Wanken geraten.«

      »Möge er uns seinen Schutz anbieten und wir uns in seinem Schatten betten. Nur du und ich.«

      Aufgewühlt nehme ich das Funkeln in Elins Augen wahr. In diesem Moment gibt es nur uns beide.

      Mit der wilden Sehnsucht in unseren Herzen.

      Von Verlusten zerrissen.

      Von der einen Hoffnung zusammengeschweißt. Der Hoffnung auf einen Neuanfang.

      Ich überwinde den letzten Lufthauch, der uns trennt, und nehme Elin in die Arme. Umwinde sie mit der Kraft meines Brans, spüre das Zittern, das augenblicklich durch ihren Körper geht. Meine Hand fährt ihren Nacken hoch. Meine Nasenflügel blähen sich auf. Ich sauge den Geruch ihrer Haut ein, nach Erde, würzigen Kräutern und dem scharfen Schweißgeruch, der auf ihrem Hals liegt. Wie ein ausgehungertes Wild lechze ich nach mehr.

      »Später«, höre ich den Hauch von Elins Stimme, während sie sich sanft von mir löst. »Später, Fino.«

      Meine starke Gefährtin. Ich nehme einen tiefen Atemzug und richte den Blick auf den See. Das Licht verändert sich schneller als gedacht. Eben noch lag er verheißungsvoll vor uns, jetzt liegen die ersten Schatten des Abends über dem Wasser.

      Ich kneife die Augen zusammen, versuche mehr zu erkennen, womöglich unsere Zukunft zu sehen. Auf der einen Seite des Sees beginnt das flache Plateau, das bis an den steilen Felsen reicht. Er ragt weit in den Himmel. Ein stolzer Wächter, der mich an das Dorf der Fens und an die beiden Felsen an dessen Zugang erinnert. Hinter dem See steigen die Hügel wieder an. Das zarte Grün an vielen Stellen lässt auf fruchtbaren Boden hoffen.

      Ohne, dass wir uns absprechen müssen, folge ich Elin auf das Plateau. Wie auf ein unsichtbares Zeichen verstummen die Menschen und ich erhebe die Stimme. Gleich einem Blinden, der sich in der Dunkelheit zurechtfindet, fließen die Worte aus mir heraus.

      »Fens und Laxis, wir sind stolz auf euch. Euer Mut und eure Zähigkeit gehören belohnt. Lasst uns zur Ruhe kommen und diesem Ort freundlich begegnen. Noch heute Abend werden wir ein Feuer entzünden und Irsa Dank sagen.«

      In dem Moment, in dem Elin ihre Faust auf die Brust legt, weiß ich, dass ich die richtigen Worte gefunden habe. Mit bewegter Stimme spreche ich weiter.

      »Seid dennoch sorgsam und vorsichtig, niemand sollte sich zu weit entfernen und schon gar nicht allein. Möge Irsa, die Göttliche, diesen Ort segnen.«

      »Möge Irsa gnädig auf uns blicken», vollendet Elin meine Rede.

      »Möge Irsa gnädig auf uns blicken«, folgt es im Chor dreimal aufeinander.

      Ein Gefühl der Ergriffenheit erfasst mich, als ich zu den Menschen blicke, die fortan mein Stamm sein werden. Sie alle haben ihre Faust auf die Brust gelegt und jubeln uns zu.

      »Fino! Elin!«

      Mein Herz pocht und mein Bran summt für die Frau an meiner Seite.

      Gefährtin. Seelenpartnerin. Feuerfrau.

      Nachtfunke, die du mich zum Glühen bringst.

      Kapitel 3

      Fino

      Mit jedem Sonnenlauf wächst unser Lager zu etwas heran, das nach Bleiben aussieht. Jeder scheint zu wissen, was zu tun ist, ohne, dass Elin oder ich Anweisungen geben müssen. Nach und nach entspanne ich, dankbar um die schlichte Arbeit mit den Händen. Ich helfe, die provisorischen Zelte am See, in die sich die Seherinnen zurückziehen und um Asya kümmern, zu verstärken.

      »Noch ein, zwei Schläge, dann müsste der Ast tief genug stecken«, sage ich zu Nasren, die zwei weitere Äste hält, über die wir ein Tuch spannen werden.

      Plötzlich sehe ich den Jüngsten von Ferro auf uns zueilen.