»Es ist immerhin ein Anfang«, sage ich und streife die Düsternis wie eine zweite Haut ab.
Elin lacht und schubst mich von der Seite. »Na endlich, ich dachte schon, du freust dich nie.«
»Wer freut sich nicht?« Der Schmied tritt zu uns und reibt sich die klammen Hände. »Wir haben es geschafft, Fino. Endlich Wasser. Und das reichlich. Wenn der See kein Grund zur Freude ist, dann weiß ich auch nicht weiter.«
»Du hast recht, Schmied.« Ich bemühe mich um eine überzeugende Mimik und lege die rechte Faust auf die linke Seite meiner Brust. »Wir haben es geschafft.« Zumindest bis hierher.
»Sehe ich genauso. Ich hoffe nur, dass mein Feuer es nicht zu schwer haben wird. Der Wind zieht über den Kamm wie eine Horde ungestümer Wildpferde.«
»Du kannst es wohl kaum erwarten, wieder über dem Feuer zu arbeiten, was?« Elins Bruder Aso, der ebenfalls zu uns aufgeschlossen ist, klingt ausgelassen.
Elin nickt ihm zu. »Arbeit und eine Aufgabe sind genau das, was wir brauchen.«
Ein Strahlen tritt in ihr Gesicht. So als hätte sie eine plötzliche Eingebung, eine Vision. Zu unser aller Überraschung wendet sie sich um und sieht über die Reihen der Wartenden.
»Hört mich an, Fens und ihr Letzten der Laxis. Dieser Ort wird uns freundlich empfangen. Schon heute Abend werden wir zusammen sitzen, zu essen haben und uns an einem Feuer wärmen. Wir können nicht viel unser Eigen nennen, aber dies wird unsere dringlichste Aufgabe sein. Seid stolz darauf, dass ihr es so weit geschafft habt.«
Lauter Jubel brandet auf. Fäuste werden auf die Brust geschlagen, Frauen stampfen auf die Erde und ihre Kinder hüpfen schreiend herum. Ich verschränke meine Finger mit Elins. Es ist alles gesagt.
Inmitten dieser Unruhe schultert der Schmied sein Gepäck. »Ich gehe als Erster, nur damit das klar ist. Wenn sich am See nichts rührt, strecke ich die Faust in die Höhe.«
Verwundert blicke ich zu diesem großen bärtigen Mann, dessen Unerschütterlichkeit ich am meisten schätze. »Du wirst auf keinen Fall allein da runter gehen.«
»Das sehe ich genauso«, eröffnet uns Elin und winkt Dragon, den besten Späher der Fens, zu sich. »Dragon und auch du, Aso, ihr werdet den Schmied zum See begleiten.«
Der Schmied gibt ein lautes Schnauben von sich.
»Geduld, mein Freund, der erste Eindruck kann trügen«, mahne ich ernst.
Aufgebracht fährt sich der Schmied über den vollen Bart. »Alles wirkt friedlich. Einen besseren Ort wird es kaum geben.«
»Ich bin mir sicher, dass du uns in deiner Vorstellung bereits hier siedeln und endlich wieder die Glut anfeuern siehst.« Ich schenke dem treuen Laxis ein Lächeln.
»Ist es nicht endlich an der Zeit, Fino?« Er sucht meinen Blick, bevor er weiterspricht. »Mit jedem Schritt, den ich gegangen bin, habe ich mein Leid hinter mir gelassen. Zu wissen, dass ich meine Tochter niemals aufwachsen sehen werde, schmerzt. Trotzdem denke ich an all die Kinder, die in den Wiesen herumspringen und das Lodern der Flammen mit großen Augen bestaunen werden, und an all die heldenhaften Geschichten, die wir uns am Feuer erzählen werden.«
Eine Schmiede, Werkzeug, neue Waffen, um der Fremde nicht vollkommen wehrlos gegenüber zu stehen ... wie leicht sich dieses Bild heraufbeschwören lässt. Dieser Ort verspricht viel. Die Felsen umrahmen den See von drei Seiten. Sie bilden einen natürlichen Schutz vor möglichen Gefahren. Wobei ich sowohl an wilde Tiere als auch an Fremde denke. Wellenartig setzen sich die Felsen dahinter fort, hier und da etwas schroffer. Auf einigen Hügeln haben sich Bäume und Buschwerk festgewachsen, andere sind lediglich von Flechten oder Gras überzogen. Die Senke lässt sich von hier oben bestens einsehen. Nichts deutet darauf hin, dass ein anderer Stamm in der Nähe lebt.
In die Menschen um uns herum kommt plötzlich Bewegung. Sie rücken näher zusammen. Ich höre ein helles Kinderlachen in meinem Rücken. Leises Diskutieren. Die Leute beginnen sich zu regen. Vielleicht spinnen sie ihre Träume genau wie der Schmied.
»Bruder, dir gebührt gemeinsam mit dem Schmied und Dragon die Aufgabe zu prüfen, ob wir uns an diesem Ort sicher fühlen können«, ergreift Elin in feierlichem Ton das Wort und legt die Hand auf Asos Schulter.
»Ich danke dir für das Vertrauen, Schwester«, erwidert Aso und seine Augen leuchten vor Stolz. »Möge Irsa, die Göttliche, uns ihren Segen geben und unser Vorhaben schützen.«
Elins Bruder trug bisher keine wirkliche Verantwortung für den Stamm, darum tut Elin gut daran, ihm diese Aufgabe zu übertragen. Dennoch höre ich das leise Zittern in ihrer Stimme.
»Seid trotzdem vorsichtig.«
»Lass das unsere Sorge sein, Elin. Dieser Ort schreit förmlich danach, dass wir hierher gehören.« In Dragons Gesicht klebt ein überhebliches Grinsen, als er mir einen Blick zuwirft.
Ich ziehe die Augenbrauen zusammen. Seit wir auf der Flucht sind, ruht sich Dragon darauf aus, dass er mich aus den Fängen der Thuns befreit und meine Leute gerettet hat. Darum hält er sich insgeheim wohl auch für den besseren Beschützer für Elin. Das reibt er mir allzu gern unter die Nase, sobald Elin nicht in der Nähe ist. Mir ist klar, dass ich diesen Zwist baldmöglichst aus dem Weg räumen muss. Doch jetzt geht es um die Sicherheit unserer Leute. Alles andere kann warten.
Nervös verfolge ich jeden Schritt der drei Männer. Hügel um Hügel, über Gestein, niedriges Gestrüpp und trockenes Gras. An einer Felskante rutscht Dragon aus und muss sich mit der Hand abstützen, um nicht zu fallen. Immer wieder suche ich mit den Augen dabei ihr Ziel, den See. Dunkelblau und unergründlich liegt er in der Senke. Noch immer streicht der Wind über mein Gesicht, zerrt an den Haaren, die kaum noch mit den Händen entwirrbar sind, an der spannenden Haut, trocken wie Pferdefell, das dem Staub für eine Ewigkeit ausgesetzt wurde. Meine Lippen sind rissig, in meinem Mund formt sich der eine Gedanke: Wasser.
Der See ist fast in Reichweite der drei Männer, als sie plötzlich stehen bleiben. Mein Atem stockt. Bitte lass es kein schlechtes Zeichen sein.
»Was haben sie entdeckt?«
Elin drückt meine Hand. »Sie sind vorsichtig, das ist alles.«
»Mir gefällt nicht, dass sich der Schmied von den anderen trennt.«
»Du bist hier, Fino, und sie entscheiden selbst, was zu tun ist.«
»Was, wenn es eine Falle ist?« Es fällt mir schwer zuzusehen, wie der Schmied hinter einem Hügel aus meinem Blickfeld verschwindet. Vermutlich will er sich dem See von der anderen Seite nähern.
»Sie prüfen die Umgebung, so wie du es wolltest.«
Elins Worte treffen mich. Mit einem Anflug von schlechtem Gewissen widme ich meine Aufmerksamkeit wieder dem Geschehen. Dragon und Aso steuern ebenfalls auf den See zu. Sie verschmelzen regelrecht mit der Umgebung. Dennoch klopft mein Herz so laut, als wäre ich an ihrer Stelle. Es ist die Stimme des Anführers, die ich höre. Was habe ich hier oben verloren? Ich hätte mit ihnen gehen sollen! Der Widder pulsiert.
»Vielleicht hat man uns längst entdeckt. Wir hätten besser in Deckung gehen sollen.« Den Krieger in mir im Zaum zu halten, kostet mich viel Mühe.
»Du wolltest mir vertrauen. Fino. Wir sind hier nicht in Gefahr«
»Ich weiß.«
Ich werfe einen schnellen Blick zu Elin. Ihr erhobenes Haupt, die Zuversicht in ihrer Haltung, mehr denn je beweist sie, dass sie zu Recht die Auserwählte und Führerin der Fens geworden ist. Ihre seherischen Fähigkeiten allein würden schon genügen, doch ich erkenne noch so viel mehr in der Frau, die mein Bran zum Leben erweckt hat. Stärke. Klugheit. Und die Weitsicht, die hinter ihren Entscheidungen liegt.
Sie ist die Frau an meiner Seite, die nicht ins Wanken gerät, wenn ich mich an sie lehne.
Eine tiefe Sehnsucht erfüllt jede Pore meines Körpers.
»Wie lange